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Literatur „Weihnachten in Bullerbü“

Das schönste Weihnachtsbuch aller Zeiten

Feuilletonredakteur
So wünschen sich Grüne die Berliner Friedrichstraße So wünschen sich Grüne die Berliner Friedrichstraße
So wünschen sich Grüne die Berliner Friedrichstraße
Quelle: pa/United Archives/kpa Publicity
Bullerbü ist zum Symbol für grünliche Entschleunigungsfantasien geworden. Zu Unrecht. Denn dass das Dorf autofrei ist, hat einen konkreten Grund. Auch das Bild von Familie und Kirche ist nicht linkskompatibel. Das Buch erzählt von einer harten Welt, die uns fern ist – und wunderbar zugleich.

Wenige Bücher der Weltliteratur sind so missverstanden worden wie die Bullerbü-Geschichten. Verfasst von Astrid Lindgren in Erinnerung an ihre eigene Kindheit im ländlichen Südschweden zur Zeit des Ersten Weltkriegs, werden sie heute von einer Generation, die die bäuerliche Realität der Bullerbü-Welt nicht mehr begreift, zum Symbol der Entschleunigungssehnsucht grüner Kleinbürger umgedeutet.

Wer wissen will, wie Bullerbü wirklich war, muss nur das Bilderbuch „Weihnachten in Bullerbü“ noch einmal mit neugierigem Blick anschauen. Das große Weihnachtsfest im tief verschneiten Minidorf, das aus Nordhof, Südhof und Mittelhof besteht, muss hart erarbeitet werden. Die Kinder werden zum Holzholen mit dem Schlitten eingeteilt. Autofrei ist man hier, weil sich nur reiche Städter ein Auto leisten könnten und das Fahrzeug im Winter sowieso nicht den Berg raufkäme. Als Ole sich erschöpft drücken will, weist ihn die Mutter zurecht: „Wir können hier keinen Faulpelz gebrauchen mitten in den Weihnachtsvorbereitungen. Jetzt müssen alle mithelfen.“

Die Hilfe ist bitter nötig, weil nur wenig mal so schnell im Laden gekauft werden kann – höchstens „Fleischwurst von der besten“, aber die auch nur, wenn genug Geld da ist.

Am Tag vor Weihnachten hat die sieben Jahre alte Erzählerin Lisa große Angst, dass ihre Mutter nicht mit den Vorbereitungen fertig wird: „Diesmal wird es wohl kein richtiges Weihnachten.“ Der Vater faulenzt natürlich auch nicht, sondern verdient sich den Winter über mit handwerklichen Arbeiten ein Zubrot – wie viele Bauern damals.

„Dann reiche ich für alle“

Von Großeltern ist keine Unterstützung zu erwarten. Denn es gibt nur einen einzigen Opa. Es ist der von Britta und Inga, aber er sagt: „Wenn es nicht mehr Kinder sind, als es hier in Bullerbü gibt, dann reiche ich für alle.“ Der Hintergrund dieses lustigen Satzes ist eine geringe Lebenserwartung. Und diejenigen, die alt wurden, waren oft regelrecht kaputt geschuftet wie der fast blinde Greis. Dadurch wurden sie zur Belastung für die Jüngeren. Denn bevor der Sozialstaat mit seiner Rente und seinen Altenheimen kam, mussten die Alten von der Familie zu Hause gepflegt werden.

Das alles lesen wir dennoch lieber als einen harten naturalistischen Roman aus dem gleichen Milieu. Denn Lindgren und ihre kongeniale Zeichnerin Ilon Wikland (die übrigens immer noch lebt) lassen die Härte des Bullerbü-Lebens im Hintergrund und stellen das Positive in den Vordergrund: Dazu gehört die Familie, die bei Lindgren kein Problemkomplex aus Missbrauch, Gewalt und Psychoterror ist, sondern eine Quelle der Kraft. Genau wie die Religion, die dezent bei der Schlittenfahrt am frühen dunklen Morgen zur Christmette ins Spiel kommt.

Vor allem aber erzählt das Buch von der Freiheit der Kinder, die fast immer unbeaufsichtigt sind. Der Eltern-Helikopter war noch nicht erfunden. Das tiefe Grundvertrauen in die Menschen, das Lindgren hatte, ist heute selten und kostbar geworden. Deshalb ist „Weihnachten in Bullerbü“ trotz allem ein utopisches Trostwerk. Und das schönste Weihnachtsbuch aller Zeiten.

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