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Kultur Zeitschrift „TransAtlantik“

Das beste aller Enzensberger-Projekte

Redakteur im Feuilleton
Ein deutscher „New Yorker“: „TransAtlantik“ Ein deutscher „New Yorker“: „TransAtlantik“
Ein deutscher „New Yorker“: „TransAtlantik“
Quelle: Getty Images/Mieke Dalle, Kai Sina, Montage WELT
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Bei Zeitschrift und Enzensberger denken viele an das legendäre „Kursbuch“. Doch ein anderes, nur kurzlebiges Zeitschriftenprojekt sagt viel mehr über Enzensbergers intellektuellen Esprit aus. Medienhistoriker feiern die „TransAtlantik“ schon jetzt.

Ideen in konkrete Projekte umsetzen: Auch dafür stand das facettenreiche Leben von Hans Magnus Enzensberger (HME). Für jeden Feuilletonhistoriker ist es ein Glücksfall, nun auch Zufall, dass erst kürzlich eines der interessantesten publizistischen Unternehmungen von HME mit einer eigenen Monografie gewürdigt wurde: die Zeitschrift „TransAtlantik“. Sie war von 1980 an für zwei Jahre lang der monatliche Versuch Enzensbergers, eine Art „New Yorker“ für Deutschland zu etablieren. Eine Zeitschrift für gute Reportagen, Essays – und, der konsumkritischen Kulturlinken sicher ein Dorn im Auge, auch für Konsumfreude und Lebenslust. Die Herausgeberschaft lag bei Enzensberger und dem aus Chile stammenden Gaston Salvatore, der später „Stern“-Reporter wurde.

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Der Literaturwissenschaftler Kai Sina hat der „TransAtlantik“ im Wallstein-Verlag gerade eine brillante kleine Studie gewidmet. Brillant, weil Sina die Verdienste dieser „Lektüre-Zeitschrift“ für das literarische und publizistische Feld der Bundesrepublik klug würdigt, ihr elegantes Layout bespricht und auch Enzensbergers schlaue Rückbesinnung auf das „Journal des Luxus und der Moden“ nicht außen vor lässt – eine Art goethezeitliches „How to spend it“.

Das Konzeptpapier der TransAtlantik

Sina hat zudem das im Deutschen Literaturarchiv Marbach liegende Konzeptpapier für die „TransAtlantik“ eingesehen und im Anhang seiner Studie abgedruckt. Rund 30 Schreibmaschinenseiten, auf denen das „Projekt einer Zeitschrift für das westliche Deutschland“ skizziert wurde. Neudeutsch könnte man von einem Pitch sprechen. Hier sind tolle Funde zum Selbstverständnis der „TransAtlantik“ zu machen – mit viel Enzensberger-Sound:

„Unsere Lieblingslaster wären: eine Spur von Blasiertheit, ein Hauch von (unzeitgemäßem) Dandytum, eine Scheu, das Offensichtliche anzusprechen. Für diese Haltung, gibt es, soviel wir wissen, auf der ganzen Welt nur ein Vorbild: den New Yorker“. An anderer Stelle heißt es: „Das (kaum einzuholende) Vorbild einer solchen Essayistik ist Heine.“ Heinrich Heine, der nie kunstreligiös wahrgenommen werden wollte, passt natürlich ganz hervorragend zum Anti-Pathos Enzensbergers.

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Auch zur „Haltung“ der Zeitschrift werden in dem Konzeptpapier aufschlussreiche Merksätze gelistet:

„Überlegen (aber nicht arrogant)

Intelligent (aber nicht akademisch)

Böse (aber nicht hämisch)

Elegant (aber nicht selbstgefällig)

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Sophisticated (aber nicht esoterisch)

Kritisch (aber ohne Besserwisserei)

Ironisch (aber nicht patzig).“

Was für angenehm unprätentiöses Selbstbild für eine deutsche Zeitschrift! Dass das Magazin trotz aller guten Vorsätze nicht lange in der Ursprungskonzeption bestand, hat verschiedene Gründe, nicht zuletzt Kostengründe. Das Blatt machte Verluste, die Verkaufszahlen blieben weit hinter den Erwartungen des New-Mag-Verlags zurück, der das Magazin im Oktober 1980 mit einer Startauflage von 150.000 Exemplaren lanciert hatte. Nach nur zwei Jahren Herausgeberschaft zogen sich Enzensberger und Salvatore Ende 1982 aus dem Projekt zurück. Ursache waren Konflikte um die Kosten, die bislang noch jede ambitionierte Print-Gründung auf den harten Boden der Tatsachen zurückgeholt haben. Die „TransAtlantik“ gab es – unter neuer Redaktionsleitung und mit verwässertem Konzept – zwar noch bis 1989, sie erschien ab 1984 jedoch nur noch vierteljährlich.

Was bleibt von „TransAtlantik“?

Auch wenn Enzensberger die „TransAtlantik“ 2011 nonchalant in seine Sammlung „Meine Lieblings-Flops“ einreihte, können sich die historischen Hefte mit ihrer kongenialen Mischung aus Anspruch, Esprit und Welthaltigkeit sehen lassen. Sina stellt – unter Rückgriff auf die Zeitschriftenforschung – Bezüge zu mondänen Zwanzigerjahre-Magazinen wie „Der Querschnitt“ her. Und er betont, dass in der „TransAtlantik“ Autoren schrieben, die Anfang der 1980er Jahre noch gar keinen Namen hatten, später aber reihenweise Büchnerpreise gewannen. Wilhelm Genazino beispielsweise. Martin Mosebach. Oder Rainald Goetz – der veröffentlichte in der „TransAtlantik“ im August 1981 einen seiner allerersten Artikel überhaupt: „Eine Reise durch das deutsche Feuilleton“, mit Hausbesuchen bei Joachim Kaiser, Raddatz, Reich-Ranicki, tutti quanti!

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Vor allem aber, und das scheint enzensbergertypisch, verstand sich die „TransAtlantik“ laut Sina als Journal, das den dogmatischen Welterklärungshabitus der 68er hinter sich lassen und sich der neuen „Epoche lädierter Utopien“ (Hermann Korte) andienen wollte. Sina führt aus, wie sich das Programm der Zeitschrift in einem der Postulate des Konzeptpapiers besonders kristallisierte: „Abschied vom Prinzipiellen“. Man könne die „TransAtlantik“ nur verstehen als „Medium eines Denkens und Schreibens, das sich von allen unzulässig vereinfachenden Dichotomisierungen befreit hat“, die „erzählerische und essayistische Vermittlung“ sei „an die Stelle der manifestartigen Verkündigung“ getreten. Der Zeitgeist der politisierten 1970er Jahre mündete bereits in die 1980er, das Jahrzehnt der Postmoderne.

Wo Lyotard 1979 das „Ende der großen Erzählungen“ postulierte, hat Enzensberger es als Zeitschrift im Geiste des New Journalism projektiert und für eine kurze Phase praktiziert. Man kann die „TransAtlantik“-Episode seines Lebens als Hinwendung zum Postidologischen verstehen. Nicht alle seiner linken Zeitgenossen mochten diese Wendung mitgehen – weswegen es nicht verwundert, dass bis heute seine andere Zeitschriftengründung, das „Kursbuch“, im kollektiven Gedächtnis viel präsenter geblieben ist. Die besseren Texte stehen wohl aber ohne Zweifel in der „TransAtlantik“.

Kai Sina: TransAtlantik. Hans Magnus Enzensberger, Gaston Salvatore und ihre Zeitschrift für das westliche Deutschland. Wallstein Verlag, 219 Seiten, 20 Euro

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