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Kultur „Phaedra“ in Köln

Vorsicht, diese Aufführung könnte Spuren von Seneca enthalten

Volles Puppenhäuschen: „Phaedra“ am Schauspiel Köln Volles Puppenhäuschen: „Phaedra“ am Schauspiel Köln
Volles Puppenhäuschen: „Phaedra“ am Schauspiel Köln
Quelle: Birgit Hupfeld
„Phaedra“ ist einer der ganz großen Stoffe der Theatergeschichte, am Schauspiel Köln sieht man ihr – Verzeihung: ihm – das aber nicht an. Ersan Mondtag inszeniert lieber eine wilde Comic-Groteske mit Koks, Kunstkot und Klingelstreichen.

Klassiker stehen noch auf den Spielplänen. Doch häufig sind es nicht die alten Stücke, sondern Überschreibungen. Texte aus vergangenen Jahrhunderten stammen nämlich aus vergangenen Jahrhunderten. Sie entsprechen nicht heutigen Geschlechterbildern, enthalten Worte, die rassistisch oder sexistisch verstanden werden könnten und so weiter.

Andererseits sind die Titel bekannt und ziehen immer noch Zuschauer an. Deshalb boomen die Überschreibungen, Autorinnen und Autoren erzählen die Geschichten neu. Wie jetzt Thomas Jonigk am Schauspiel Köln mit der „Phaedra“. Warnhinweis: Die Aufführung könnte Spuren von Seneca und Racine enthalten.

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Jonigks These: Die Figuren wissen schon über ihr tragisches Ende Bescheid. Sie kommen aber nicht aus der immerfort neu erzählten Handlung heraus. Schicksal nannte man das früher. Das klingt interessant, man könnte die Geschichte als Thriller erzählen. Ähnlich wie im Film „Die Truman Show“ könnten Unbekannte die Fäden ziehen, die Figuren werden sich dessen bewusst und beginnen einen Freiheitskampf. Jonigk macht aus seiner Idee jedoch eine Satire des Theaters auf sich selbst. Phaedra fragt, ob sie denn so gut wäre wie Bibiana Beglau, Jutta Lampe oder Edith Clever. Und ob jemand angewandte Theaterwissenschaften in Gießen studiert habe.

Benny Claessens versus Ersan Mondtag

Benny Claessens spielt Phaedra, oft quasi halbnackt, in einem körperengen Bauch-Brüste-Suit. Der belgische Schauspieler ist dafür bekannt und berüchtigt, dass er auf mehreren Ebenen agiert. Er deutet seine Rollen an, kommentiert sie ironisch, geht auf das Publikum ein, springt zurück, ist sofort wieder woanders. Ein One-Man-Diskurstheater und ein radikaler Selbstdarsteller, dessen hemmungslose Eitelkeit durchaus produktiv sein kann. Vielleicht wäre die „Phaedra“ eine interessante Soloshow für ihn.

Nun kommt der Regisseur und Bühnenbildner Ersan Mondtag ins Spiel. Er schafft Gesamtkunstwerke aus großen Bildern und Musik, liebt den Trash und hasst psychologische Feinheiten. Texte spielen in seinen Inszenierungen eher eine Nebenrolle. Jonigks „Phaedra“ versetzt Mondtag in eine amerikanische Comicwelt. Die Bühne zeigt eine Vorstadtstraße mit drei Puppenhäuschen, die zu verschiedenen Schichten der Gesellschaft gehören.

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Phaedra – im Original Königin – ist eine Proletentussi, ein queerer Al-Bundy-Verschnitt. Mit ihrer Freundin – im Original Amme – Peggy – im Original Oenone – schnieft sie Koks, was das Zeug hält. Die beiden saufen, gibbeln, lästern in derber Gossensprache und ärgern ihre Mitmenschen mit Klingelstreichen und Fake-Telefonanrufen. Natürlich sind sie so geworden, weil sie in dieser grässlichen, von bösen, machtbesessenen Männern geschaffenen Welt leben müssen. Die Macho-Men dürfen im Lauf des Abends auch ein paar oberfiese frauenfeindliche Sätze sagen.

Alle doof, fast alle tot

Phaedra vergnügt sich während der langen Abwesenheit ihres Mannes Theseus mit einem Body-Builder, der nur einen goldenen Slip trägt. Sie liebt Hippolytos, den Sohn des Theseus, der nebenan wohnt und ebenfalls gendergeswapt mit Yvon Jansen besetzt ist. Wie alle anderen auf der Bühne spielt auch sie ein bis zum Anschlag übertriebenes Klischee.

Das Kölner Ensemble ist technisch virtuos, knapp zweieinhalb pausenlose Stunden bombardiert es das Publikum mit einer wilden Groteske im Stil von „König Ubu“ und lässt dabei nichts aus. Vom Kunstkoten bis zu softpornoesken Beischlafszenen. Ein Pipikackafickifurz-Getöse.

Gefühle sind Mangelware. Wenn Phaedra Hippolytos ihre Liebe gesteht, gibt es im Gesicht von Benny Claessens eine Art Andeutung, dass da etwas Echtes in ihm schlummert. Ebenso am Ende, wenn Phaedra wie ein Killer aus einem amerikanischen B-Movie der Achtzigerjahre alle niedermäht und nur die Nachbarin namens Chronik (Margot Gödrös) verschont. Doch das Töten tut nicht weh, es ist ja alles nur ein Spaß, Theater, das nichts will und nichts aussagt. Alle doof, fast alle tot. Aus die Maus, wir geh’n nach Haus.

Weitere Aufführungstermine am 27. November, 1., 4., 10. und 21. Dezember 2022 im Schauspiel Köln Depot 1.

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