WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Daniel Barenboim: Das Phänomen wird 80

Kultur Daniel Barenboim

Das Phänomen wird 80

Freier Feuilletonmitarbeiter
Daniel Barenboim an seinem Arbeitsplatz Unter den Linden in Berlin Daniel Barenboim an seinem Arbeitsplatz Unter den Linden in Berlin
Daniel Barenboim an seinem Arbeitsplatz in Berlin
Quelle: obs
Hier können Sie unsere WELT-Podcasts hören
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.
Daniel Barenboim ist ein einzigartiger Dirigent, Pianist, Meister des deutschen Repertoires und Friedensstifter. Seit 30 Jahren prägt er die Berliner Staatsoper. Es gibt vermutlich niemanden, der Musik so leicht und intuitiv versteht wie er. Eine Würdigung zum 80. Geburtstag.

Caterina Valente sang 1956: „Du bist Musik, die mich berauscht / Der mein Herz in Liebe lauscht.“ Das war zwar nicht auf den 13-jährigen Barenboim gemünzt, der zur gleichen Zeit bei Nadia Boulanger in Paris Harmonielehre und Kontrapunkt studierte, aber es passte ziemlich gut. Denn auch er war und ist Musik. Drei Jahre zuvor, bei einem Salzburger Klaviervorspiel, hatte ihn Wilhelm Furtwängler als „Phänomen“ bezeichnet hatte.

Heute ist Barenboim, an dessen altem Dienstsitz Staatsoper Unter den Linden, seit genau 30 Jahren zu einer Art zweiten Furtwängler herangereift. Zu einer Eminenz in Sachen Musik, zu einer Autorität im Fach deutsches Repertoire, zu einem Weltmeister der Töne. Aber anders als der legendäre, ein wenig verschusselt-solipsistische Dirigent ist der in Argentinien geborene Israeli, der zudem noch die spanische und palästinensische Staatsangehörigkeit besitzt sowie sieben Sprachen spricht, immer auch ein überwacher, engagierter, sich einmischender Weltpolizist der Musik gewesen. Der Klänge atmet, ein unermüdlicher Arbeiter, fleißig, rastlos, nicht zu stoppen.

Jetzt freilich schon. Kurz vor seinem heutigen 80. Geburtstag hat ihm einer die Gefolgschaft gekündigt, hat ihn ausgebremst und „Nein“ gesagt: Sein eigener Körper. Er hat mit Hautkrebs, kaputten Bandscheiben und schließlich mit einer Vaskulitis, einer Entzündung der Blutgefäße Alarm geschlagen und Daniel Barenboim angesichts der permanenten Überforderung seit sieben Jahrzehnten schachmatt gesetzt. Kein Ton ist heute von ihm live zu hören, er muss sich schonen, sämtliche Geburtstagskonzerte und -tourneen wurden abgesagt.

Lesen Sie auch

Das ist so traurig wie bedenklich. Und natürlich hoffen alle für den Übermaestro unserer Zeit, klein, aber riesig groß von Bedeutung, Sendungs- wie Machtbewusstsein, auf jede nur mögliche Besserung. Denn keinem ist zu wünschen, dass eine so spektakuläre Karriere so jäh gestoppt wird, dass plötzlich ein Dirigierstock nur noch in der Luft hängt, die Hand dahinter aber plötzlich fehlt. Ob Daniel Barenboim solches als Warnung begreift, nun wirklich etwas kürzerzutreten, abzugeben, anderen den Vortritt zu weisen? Den „Rosenkavalier“ hat der versierte Strauss-Dirigent nie geleitet, aber den Satz der Marschallin wird er wohl kennen: „Leicht muss man sein: mit leichtem Herz und leichten Händen, halten und nehmen, halten und lassen.“

Aber wie soll einer lassen, den das Leben so überreich beschenkt hat? Aufgewachsen ist er in einem behüteten kultivierten Buenos Aires der Nachkriegszeit, seine Eltern, russische, nach Argentinien ausgewanderte Juden, waren seine einzigen Lehrer, die Begabung des offenbar unkompliziert damit umgehenden Kindes schnell klar. Unter dem Flügel im Wohnzimmer wurde ein anderes Wunderkind seine beste Freundin: Martha Argerich.

Seit über zehn Jahren wurde diese irgendwann abgerissene Beziehung auch wieder künstlerisch intensiviert. Doppelabende dieser beiden, intuitiv aufeinander eingehenden Wundertiere sind wirklich immer Sternstunden des Betriebs, Weißhaarig, überhöflich jeweils dem anderen den Vortritt lassend, ereignet sich gerade bei Daniel Barenboim eben nicht nur, wie so oft Musikmachen auf hohem Niveau, sondern inspiriertes Musizieren, Geben und Nehmen, sich Forttragenlassen, Hinwegschweben über die Gewöhnlichkeit. Wie Philemon und Baucis ist hier ein altvertrautes Pärchen zu erleben, dass niemandem, am letzten sich selbst etwas beweisen muss, das gänzlich eintaucht, sich forttragen lässt von einem Strom der Noten, den es doch scheinbar spontan zu lenken weiß.

Lesen Sie auch
Der „Holländer“ als Taschenlampen-Oper in Hamburg
„Der fliegende Holländer“

Und da ist dann die alte Daniel-Barenboim-Magie wieder da. Die, mit der er in Fünfzigern als Wunderknabe die Welt hinriss, in den späten Sechzigern mit seinen Freunden Zubin Mehta, Itzhak Perlman und Pinchas Zukerman den Klassikbetrieb mit Glamour und Temperament aufmischte. Dies steigerte sich, als er 1967 das It-Girl des Cellos, die ungemein populäre, unkonventionelle Jacqueline de Pré heirate. Man feierte in Israel, musizierte gegen den Sechstagekrieg. Die beiden waren das Golden Couple der Nicht-Woodstock-Kultur.

Schon damals war Daniel Barenboim häufig auf dem Dirigentenpodium zu finden, er legte bis heute spannende Edward-Elgar-Aufnahmen vor, versenkte sich in Mendelssohns „Lieder ohne Worte“, spielte Schubert mit Dietrich Fischer-Dieskau, leitete das English Chamber Orchestra vom Klavier aus in einem bis heute perfekt ausbalancierten Plattenzyklus aller Mozart-Konzerte.

Die Achtzigerjahre waren das Zeitalter des Überflusses des hektischen Tour-Jetsettens, das neue, attraktive Medium CD wirkte als Beschleunigungsmedium. Aber schon 1973 hatte Jacqueline du Pré ihre Karriere aufgeben müssen – sie litt unter Multipler Sklerose. 1975 wurde Barenboim Chefdirigent des Orchestre de Paris, verlagerte seinen Lebensschwerpunkt an die Seine. Von 1981 bis 1999 wirkte er bei den Bayreuther Festspiele, wo er seine Wagner-Kompetenz strahlend scheinen ließ. Doch Jackie blieb krank, er lebte in Paris, bald mit einer zweiten Familie, der russischen Pianistin Elena Bashkirova, der geschiedenen Frau Gidon Kremers, und den beiden Söhnen David (heute DJ) und Michael (heute Geiger). Er heirate neu erst 1988, ein Jahr nach dem Tod von Jaqueline du Pré.

Rauswurf in Paris, Glücksfall für Berlin

Anzeige

Dann kam der Glücksfall des Rauswurfs an der Pariser Oper, weil Daniel Barenboim mit deren Oberboss, dem bestens vernetzten Yves-Saint-Laurent-Gefährten Pierre Bergé, erstmals einen fand, der ihm über war. Ein guter Tag freilich für ihn wie für Berlin, wo er parallel zu seinem Amtsantritt beim Chicago Symphony Orchestra 1991 ein Jahr später als allmächtiger künstlerischer Chef die von der DDR kleingehaltene Staatsoper Unter den Linden und vor allem die gegenüber dem Leipziger Gewandhausorchester und der Dresdner Staatskapelle als Devisenbringer der Ost-Klassik vernachlässigte Staatskapelle Berlin blankzupolieren begann.

Daniel Barenboim regiert in Berlin seit nun drei Jahrzehnten als absolutistischer Sonnenkönig der Hochkultur. Helmut Kohl wie Angela Merkel ließen dem Orchester Sondergratifikationen zukommen, Intendanten kamen und gingen auf sein Geheiß und blieben immer Fußnoten. Der Spielplan hatte seinem Auftrittskalender zu folgen, die Staatskapelle durfte auch mitten in der Opernsaison gastieren, ein Miteinander mit den anderen zwei Opern gab es nie. Er bekam die teure Renovierung des Hauses, er installierte nebenan seine Barenboim-Said-Akademie als dritte, Deutschen nicht zugängliche Musikhochschule, die der Staat trägt. Er initiierte den privatfinanzierten Boulez-Saal als idealen Kammermusikort, doch wer darin auftreten darf, entscheidet letztendlich auch er.

Vom Musikkindergarten (den gibt es auch in Ramallah), bis hin zum überall als friedensstiftendes, interreligiöses Vorzeigeprojekt auf Musikfestivals vorgeführten West-Eastern Divan Orchestra. In das hinzuleuchten es sich seit seiner altruistischen Gründung 1999 auch mal lohnen dürfte.

Lesen Sie auch

Einerseits war Daniel Barenboim auch in diesen späten Berliner Jahren (nach dem Ende in Chicago 2006, schulterte er zudem von 2007 bis 14 noch den Musikdirektoren-Posten an der Mailänder Scala) enorm kreativ, eroberte sich immer wieder neues, überraschendes Repertoire von Massenets „Manon“ über Busonis „Brautwahl“ bis Nicolais „Lustige Weiber“. Er pflegte seine zeitgenössischen Freundschaften zu Komponisten wie Boulez, Elliott Carter, dem Fehlgriff Jens Joneleit und heute Jörg Widmann. Er hat sich als engagierter Kritiker des Staates Israels im Umgang mit den Palästinensern etabliert, sein Freund Said hat ihm den Weg zum politischen Denker gezeigt. Doch die Berliner Philharmoniker erwählten ihn dreimal nicht zum Chefdirigenten, und den Friedensnobelpreis hat er auch nicht bekommen.

Er hat, wie kein anderer Dirigent unserer Zeit, eine enorme Fülle von Assistenten flugfertig gemacht: Antonio Pappano, Christian Thielemann, Simone Young, Philippe Jordan, Sebastian Weigle, Dan Ettinger, Thomas Guggeis; Gustavo Dudamel und Omer Meir Wellber hat er den letzten Schliff verpasst. Er hat Klaviertalente zumindest beobachtet, hat, wenn er mochte, vielfach gefördert. Er hat, nicht allein, am Staatsopernanfang ein wunderbares Sängerensemble mitaufgebaut und mit seiner eigenen Künstlerfamilie verschmolzen.

Doch inzwischen ist vieles in die Jahre gekommen, der Glanz wurde fahl, er selbst als autoritärer alter Mann von Musikern geschmäht. Und rückwirkend fragt man sich, ob man den Barenboim-Vertrag nicht doch hätte mutig 2022 auslaufen lassen sollen, um endlich den dringend nötigen Neuanfang zu wagen, die Nach-Barenboim-Ära einzuläuten; durchaus mit seiner weiterhin starken Präsenz an der Staatskapelle. Womöglich ist das jetzt vom Schicksal selbst in die Hand genommen worden.

Trotzdem kann Berlin und die Welt Daniel Barenboim unendlich dankbar sein. Für viele Stunden beseelten Musizierens, für das Erlebnis, wie ein Mensch in seiner Profession vollends aufgeht, als nachschöpfender Künstler in jeder Faser zum glanzvollen Mittelpunkt eines brillanten Klanguniversums wurde und wird. Es gibt vermutlich niemanden, der Musik so leicht und intuitiv versteht wie Daniel Barenboim. Und dieses Geschenk hat er stets großzügig geteilt: „Wenn ich zurück und nach vorne blicke, bin ich nicht nur zufrieden, sondern zutiefst erfüllt“, hat er kürzlich gesagt. Wenn er geprobt hat, inspiriert ist, der schöne Augenblick da ist, den man ewig festhalten möchte. Dann war und ist Daniel Barenboim – Musik.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema