Die Ankündigung für das Buch „Der junge Häuptling Winnetou“ dürfte sich für viele Eltern harmlos lesen: „Die Geschichte dreht sich rund um Winnetou, den Sohn des Häuptlings. Als sein Stamm in Not gerät, muss Winnetou seinen Mut unter Beweis stellen und sich gemeinsam mit seiner Schwester und dem Stadtjungen Tom in ein gefährliches Abenteuer stürzen“, heißt es in dem Titel, den der Kinderbuchverlag Ravensburger seit Anfang dieses Monats eigentlich anbieten wollte.
Doch nun ist der Titel, ebenso wie ein weiteres Buch, ein Stickerheft und ein Puzzle zum gleichnamigen Film nicht mehr erhältlich – der Verlag selbst hat seine Produkte zurückgezogen. Der Grund: Proteste im Internet, aber offenbar auch redaktionsinterne Zweifel an der Neuauflage des Klassikers von Karl May.
Unter dem Hashtag #Winnetou wird seit Tagen bei Twitter über das Thema gestritten, diverse Medien berichten, unter anderem die „Schwäbische Zeitung“ hat recherchiert. Demnach habe der in Baden-Württemberg ansässige Verlag insbesondere über die sozialen Medien und seine Instagram-Präsenz zahlreiche Negativkommentare zu dem Titel bekommen, über hundert Kritiker hätten sich demnach zu Wort gemeldet.
„Verletzte Gefühle“
Bemängelt wurde unter anderem kolonialistische und rassistische Stereotypen, ein Twitter-Nutzer sprach gar von „romantisiertem Völkermord“. Andere Nutzer kritisierten die überholte Darstellung der Kultur indigener Völker. Zunächst äußerte sich der Verlag verhalten verständnisvoll: „Wir sind (...) sehr betroffen über die vielen negativen Kommentare, die hier gepostet wurden. (...) Sollte unser Buch zum Film – eine rein fiktionale Geschichte zu einem der beliebtesten Filmklassiker – die Gefühle anderer verletzt haben, bedauern wir dies.“
Am 11. August dann wurden Fakten geschaffen. Das Social-Media-Team von Ravensburger verkündete in einem neuen Posting bei Instagram, dass die Auslieferung des „Winnetou“-Werks gestoppt und die Ware aus dem Programm genommen wurde. „Euer Feedback hat uns deutlich gezeigt, dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben. (...) Wir entschuldigen uns dafür ausdrücklich“, heißt es.
Es sei nicht gelungen, heißt es weiter, „richtigen Umgang mit sensiblen Themen“ zu finden. Mehr noch: Mit heutigen Wissen würde man den Titel gar nicht mehr veröffentlichen.
Zerknirscht heißt es: „Wir haben zum damaligen Zeitpunkt einen Fehler gemacht und wir können euch versichern: Wir lernen daraus!“
Für besonders viel Zündstoff in den sozialen Medien sorgen die weiteren Passagen des Textes, in denen es heißt, dass sich die „Redakteur*innen“ des Verlags „intensiv mit Themen wie Diversität oder kultureller Aneignung“ beschäftigten.
Und weiter: Neben der internen Diskussion würden immer wieder auch „externe Fachberater“ zurate gezogen werden, daneben gebe es sogenannte „Sensitivity Reader“, die die hauseigenen Titel „kritisch auf den richtigen Umgang mit sensiblen Themen prüfen“ würden. „Leider ist uns all das bei den Winnetou-Titeln nicht gelungen“, schreibt man abschließend.
Die Resonanz auf das Statement ist durchmischt: „Ist das ein Satirepost?“, fragt ein Nutzer, andere schreiben: „Warum knickt Ihr ein?“ Aber es gibt auch Lob: „Gute Entscheidung“, lobt eine Abonnentin. Der Verlag zeige Flagge und nehme dafür auch wirtschaftliche Verluste in Kauf. Das sei vorbildlich.
Kritik auch an andere Stelle
Bei den Twitter-Kritikern hingegen wurde das Vorgehen des Verlags nahezu einhellig unter den Stichworten „Cancel Culture“ und „Woke-Wahnsinn“ einsortiert. Einige Nutzer verkündeten, dass sie nun ihrerseits den Ravensburger-Verlag und seine Produkte „canceln“, sprich, seine Produkte nicht mehr kaufen würden. „Woker Irrsinn“, „Wir drehen völlig durch“, „Verrückt“ – auch solche Begriffe fielen.
Viele Twitter-Nutzer berichten zudem als Verteidigung des Films davon, dass die Werke von Karl May, auf denen die Winnetou-Verfilmung basiert, bei ihnen überhaupt erst das Interesse für die indigenen Völker Nordamerikas geweckt habe. Andere posten Fotos und Filmausschnitte, unter anderem aus den beliebten Verfilmungen mit Pierre Brice als „Winnetou“.
Ganz alleine allerdings steht der Ravensburger Verlag mit seinen Bedenken nicht, wie der Bayerische Rundfunk berichtet. Demnach habe es auch bei der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) zuvor eine „lange Diskussion“ über den Kinderfilm gegeben; die Entscheidung, ihm das Prädikat „besonders wertvoll“ zu verleihen, sei intern umstritten gewesen. Auch einige der Filmkritiken – hier die WELT-Rezension „Sagen Sie jetzt bloß nicht Indianer“ – äußerten Zweifel an Sinn und Qualität der Neuverfilmung. Bereits der Begriff „Indianer“ gilt vielen deutschen Kommentatoren als Diskriminierung.
Der US-Korrespondent des ZDF, Elmar Theveßen, relativierte genau diese Bedenken auf Twitter allerdings. Dort wies er darauf hin, dass „American Indian“ in den Vereinigten Staaten häufig als Selbstbezeichnung genutzt werde, im Alltag, aber auch im politischen Betrieb.
Dennoch verriss die „Frankfurter Rundschau“ erst jüngst den Film explizit wegen seiner misslungen Darstellung der indigenen Völker Nordamerikas und fragte: „Wie kann es sein, dass ein Film, der schon in seinem Drehbuch kolonialistische und rassistische Stereotypen transportiert, mit Bundes- und Landesmitteln in Millionenhöhe gefördert wird? Die Verantwortlichen hüllen sich in Schweigen.“
Fest steht aber auch, dass sich die Macher des Films über zusätzliche Gratis-Publicity freuen können: Derzeit gibt es noch keine Versuche, „Der junge Häuptling Winnetou“ aus den Kinos zu verbannen.