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Kultur Ruhrtriennale

Kann die Kunst nicht mehr?

„Das weite Land“ in der Inszenierung von Barbara Frey „Das weite Land“ in der Inszenierung von Barbara Frey
Virtuosen der Armseligkeit: „Das weite Land“ bei der Ruhrtriennale
Quelle: © Matthias Horn/Ruhrtriennale 2022
Die Ruhrtriennale war früher ein Ort der Utopien, der kraftvollen Gegenentwürfe. Doch Barbara Frey inszeniert Arthur Schnitzlers „Das weite Land“ steril und mutlos. Vielleicht hätte ein anderer Dramatiker besser in die Zeit gepasst.

Die Sessel stehen weit voneinander entfernt. Sonst gibt es keine Möbel. Wer stehen muss, sieht erbärmlich aus. Die Arme hängen, die Schultern wirken verkrampft. Menschen, die in ihren Körpern nicht zu Hause sind. Keiner fühlt sich wohl im Haus des Glühlampenfabrikanten Hofreiter, am wenigsten er selbst. Arthur Schnitzlers Stück „Das weite Land“ beginnt kurz nach einer Beerdigung. Ein Pianist ist gestorben, vielleicht ein Geliebter von Hofreiters Gattin Genia, noch vielleichter ein Selbstmord. Nichts ist klar, alles verkrampft.

Barbara Frey inszeniert bei der Ruhrtriennale Arthur Schnitzlers Tragikomödie „Das weite Land“ als Schattenspiel mit kleinen Andeutungen eines garstigen Humors, staubtrocken wie der Boden der Bochumer Jahrhunderthalle, der mit dunklem Sand bedeckt ist. Kohlestaub? Es wäre der einzige Hinweis darauf, dass der Ort bei der Inszenierung eine Rolle gespielt hätte. Neben einem großen Industrierad, das aber erst ganz am Ende sichtbar wird.

Erst am Schluss der Inszenierung kommt ein altes Industrierad ins Spiel
Erst am Schluss der Inszenierung kommt ein altes Industrierad ins Spiel
Quelle: © Matthias Horn/Ruhrtriennale 2022

Die Aufführung ist eine Koproduktion mit dem Wiener Burgtheater, wo sie ab September auch zu sehen sein wird. Einem schnellen Umzug steht nichts im Wege. Oft gab es bei einer solchen – an sich im Geiste der Nachhaltigkeit sinnvollen – Zusammenarbeit den Verdacht, dass die Aufführungen im Ruhrgebiet nur als Preview für die eigentliche Premiere im Haus zu verstehen sind. Er ist auch diesmal nicht von der Hand zu weisen. Denn Martin Zehetgrubers Bühnenbild lässt kaum eine Auseinandersetzung mit der Jahrhunderthalle erkennen.

Ein Vorhang begrenzt die Spielfläche nach hinten, Je nach Beleuchtung wird er durchsichtig. Die Menschen, die sich dahinter bewegen, haben etwas Geisterhaftes. Wenn sie verschwinden, geht manchmal das Licht aus, nicht langsam, sondern abrupt, als habe jemand auf einen Schalter gedrückt. Das wirkt wie eine kleine, ironische Pointe.

Blick in die Trostlosigkeit: Dorothee Hartinger als Frau Wahl in „Das weite Land“, inszeniert von Barbara Frey
Blick in die Trostlosigkeit: Dorothee Hartinger als Frau Wahl in „Das weite Land“, inszeniert von Barbara Frey
Quelle: © Matthias Horn/Ruhrtriennale 2022

Die Regie von Barbara Frey spürt – wie man es von ihr gewohnt ist – akribisch genau den Textschichten nach. Da ihre Inszenierung körperlich über weite Strecken sehr statisch bleibt, liegt eine Menge Gewicht auf dem Text. Michael Maertens und Katharina Lorenz haben als Ehepaar Hofreiter die Kunst, sich mit Worten zu verletzen, in Jahren der Missgunst unendlich verfeinert. Besonders gemein ist es, dass sich irgendwo in den versteinerten Herzen eine Restliebe verbirgt. Da legt er ihr kurz die Hand auf den Hals, sehnt sich nach einer Reaktion, die sie natürlich verweigert.

Starrer Regierahmen

Wenn man den starren Regierahmen akzeptiert, öffnet sich der Blick für unendlich viele Feinheiten. Eine Ahnung von Leben bringt Bibiana Beglau in den Abend. Sie hat eine Doppelrolle, als Hoteldirektor von Aigner und seine Ex-Frau, die er 20 Jahre lang nicht gesehen hat. Ein faszinierendes Spiel zwischen den Geschlechtern, Haltungen und Denkweisen. Frau Aigner und Frau Hofreiter nähern sich erotisch, deuten die Möglichkeit einer Liebe an. Ob sie eine Chance hat, bleibt ebenso offen wie viele andere Fragen des Stücks. Die Seele des Menschen ist eben ein weites Land, wie der Hoteldirektor sagt.

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Der Arzt und Dramatiker Arthur Schnitzler legt einem Stellvertreter auf der Bühne die Analyse der im Stück beschriebenen Gesellschaft in den Mund. Kennt man von Tschechow. Dieser Doktor Maurer (Itay Tiran) will raus, weg von diesen scheußlichen Menschen, die einander nur die Seelen vergiften. Doch immer wieder wird er gerufen, soll helfen, er habe ja mal einen Eid geschworen. Er findet viele Adjektive. „Trübselig“ und „grauenhaft“ sind zwei davon. Am Ende sagt der Fabrikant Hofreiter, den zwischendurch mal eine Leidenschaft gepackt und aus dem Trott geworfen hat, die Toten hätten es gut. Sie müssten nicht mehr leben. Die Botschaft ist bitter.

Und nun? Klar, wir leben in schwierigen Seiten, schlaffe Seelen gibt es überall, Hass und Sadismus ebenso. Anders ausgedrückt: So ein Wiener Schnitzler geht immer zur Gegenwartsanalyse. Schlimm, schlimm, schlimm.

Der Tod als Leitmotiv

Barbara Frey weigert sich, ihre dreijährige Intendanz bei der Ruhrtriennale unter ein Motto zu stellen. Doch es schält sich immer mehr heraus, dass sie sogar konsequenter als die meisten ihrer Vorgänger ein Thema umkreist. Den Tod, die Schwelle zu ihm, das Geisterhafte. Manchmal verbindet sich das ausgezeichnet mit den ehemaligen Industrieorten des Ruhrgebiets. Für die Eröffnungsinszenierung „Ich geh unter lauter Schatten“ hat Bühnenbildner Hermann Feuchter Stahlstege durch die Jahrhunderthalle gebaut. Die Inszenierung begann stark, versank dann aber in ihrer Überambitioniertheit. Doch die Halle erwachte zum geisterhaften Leben.

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Die Stege sieht das Publikum auf dem Weg durch die Halle zur Schnitzler-Inszenierung. „Das weite Land“ findet einer abgetrennten Ecke statt. Klar, die Aufführung muss ins kleine Wiener Akademietheater passen. Handwerklich ist alles großartig gemacht, das Ensemble ist toll, jeder Gedanke sitzt. Aber bei aller offensichtlichen Qualität hat die Inszenierung etwas Steriles und Mutloses. Wäre Ibsen nicht ein wichtigerer Autor als Schnitzler, weil es bei ihm um Aufbruch geht, um einen Kampf, um die Zukunft? Wenn man denn überhaupt einen Klassiker in der Jahrhunderthalle spielen möchte.

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Die Ruhrtriennale war früher ein Ort der Utopien, der kraftvollen Gegenentwürfe. In diesem Jahr suhlt sie sich im Siechen, zeigt mit großer Virtuosität die Hoffnungslosigkeit, gönnt sich höchstens einen kleinen, mühsam erarbeiteten Schimmer, dass es noch so etwas wie Leben geben könnte. Das Programm besteht auch sonst eher aus kleineren Projekten, kein großer Aufschlag ist in Sicht. Kann die Kunst nicht mehr, als einer auseinanderfallenden Welt perspektivlos den Spiegel vorzuhalten? Die Frage ist rhetorisch. Sie kann es. Vor allem in den Räumen der Ruhrtriennale.

22., 24., 25., 26. August Jahrhunderthalle Bochum, ab 2. September im Akademietheater Wien

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