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Literatur Auszeichnung

Ana Marwan gewinnt den Ingeborg-Bachmann-Preis

Redakteur im Feuilleton
Ana Marwan setzte sich unter 14 Mitbewerbern durch Ana Marwan setzte sich unter 14 Mitbewerbern durch
Ana Marwan setzte sich unter 14 Mitbewerbern durch
Quelle: dpa/APA/Harald Schneider
Drei Tage wurde um die Wette gelesen und kritisiert in Klagenfurt am Wörthersee. Am Ende gewinnt die aus Slowenien gebürtige Autorin Ana Marwan. Auch die weiteren Preisträger boten zum Teil witzige Geschichten.

Ana Marwan hat den Ingeborg-Bachmann-Preis 2022 gewonnen. Die 1980 geborene und in Slowenien aufgewachsene Autorin beeindruckte die Jury mit ihrer Geschichte „Wechselkröte“. Darin geht es um eine Ich-Erzählerin, die irgendwo weit draußen alleine lebt, außer Postbote und Gärtner kaum Kontakte hat. Im Garten ihrer Mietwohnung steht ein vergessener Pool, dort entdeckt sie eine Kröte und freut sich über Gesellschaft. Die Ich-Erzählerin bringt das Tier zur Donau und setzt es aus. Dann erfährt sie, dass sie schwanger ist und stellt sich das Kind vor.

Die Jury sah in der Geschichte den Text einer Eremitin, die ein klassisches Motiv der feministischen Literatur sehr kunstvoll variiere. Juror Klaus Kastberger, der die Autorin eingeladen hatte, sprach in seiner Laudatio von einem „sehr feinen und zarten Text“.

Durch solche und ähnliche Kritikerprosa muss man durch, wenn man den dreitägigen Wettbewerb um den heute mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis, den Marcel Reich-Ranicki anno 1977 im Gedenken an Ingeborg Bachmann ins Leben gerufen hatte, komplett verfolgt. Die „Tage der deutschsprachigen Literatur“ sind das, was der Name sagt: drei Tage Lesungen und literaturkritische Diskussionen am Stück.

Drei Tage Lesungen und Kritik

Dieses Jahr fand der Wettbewerb zum ersten Mal nach zwei Pandemiejahren wieder „physisch“ statt, sprich: neben 14 Autoren (darunter WELT-Autor Hannes Stein) und sieben Juroren (darunter Mara Delius, Leiterin des WELT-Feuilletons und Herausgeberin der „Literarischen Welt“) waren auch wieder zahlreiche Berichterstatter, Verlagsfunktionäre, Agenten und Groupies angereist. Das Event hat Fans, die jedes Jahr eigens dafür Urlaub in Klagenfurt machen. Besser als hier kann der Literaturbetrieb nicht netzwerken.

Kenner halten den „Bewerb“, wie er in Österreich heißt, mit all seiner Folklore ohnehin für die entspanntere Version der Frankfurter Buchmesse. Man trinkt Grünen Veltliner, geht zum Bürgermeisterempfang und hat ein Leihfahrrad für die Spritztour an den See. Auch bei Social Media sind die „Tage der deutschsprachigen Literatur“ unter dem Hashtag #tddl zum Event geworden. Der Autor Elias Hirschl, der unter @eliashirschl twittert und seinen Account mit Blick auf den Bewerb sogar temporär in „Hirschi in Klagenfurt“ umbenannt hat, gewann konsequenterweise den mit 7000 Euro dotierten Publikumspreis, über den die Online-Groupies abstimmen dürfen.

Die weiteren Preise

Der wiederum von der Jury vergebene Deutschlandfunk-Preis (12.500 Euro) ging an Alexandru Bulucz. Der 1987 in Rumänien geborene und heute in Berlin lebende Autor verhandelt in seiner Geschichte mit dem Titel „Einige Landesgrenzen weiter östlich, von hier aus gesehen“ die Themen Herkunft und Heimat, die für die zunehmende Zahl an nicht nur deutschsprachig sozialisierten Autoren in der deutschsprachigen Literaturszene schon seit Jahren zu einem festen literarischen Sujet bei den Literaturwettbewerben und Preisen geworden sind.

Der am dritthöchsten dotierte Kelag-Preis (10.000) ging an Juan S. Guse, der auf Einladung von Mara Delius, der Leiterin des WELT-Feuilletons und Herausgeberin der „Literarischen Welt“, in Klagenfurt gelesen hatte. Der in Hannover lebende Soziologe und Schriftsteller, der mit seinem Debüt-Roman „Miami Punk“ bereits vor einigen Jahren die deutschsprachige Kritik begeistert hatte, las beim Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis eine witzige Geschichte über eine unbekannte Zivilisation, die im Taunus entdeckt wird und dort, unbemerkt von der Welt, den Frankfurter Flughafen inklusive Duty-Free-Shop nachgebaut hat.

Juan S. Gusem, Schriftsteller aus Deutschland, nimmt an der Auslosung der Lesereinfolge im Rahmen der "46. Tage der deutschsprachigen Literatur" im ORF-Theater in Klagenfurt teil. Nach zwei virtuellen Ausgaben findet das deutschsprachige Wettlesen erstmals seit Beginn der Pandemie wieder mit Autorinnen und Autoren vor Ort statt. Das Wettlesen findet vom 23.-25.06.2022 statt, die Preisverleihung am 26.06.2022. +++ dpa-Bildfunk +++
Juan S. Guse, eingeladen von Mara Delius
Quelle: picture alliance/dpa/APA

Der diesjährige 3-sat-Preis ging (7500 Euro) ging an Leon Engler. Wer den dreitägigen Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis heuer nur am Rande verfolgt und eben nicht drei Tage lang live via Fernsehen (3sat) oder Internet dabei war oder gar vor Ort in Klagenfurt am Wörthersee, der kann aus der Ausgabe 2022 drei Dinge für den Smalltalk mitnehmen:

Drei Dinge für den Smalltalk

Erstens: Pandemie isch over, dennoch spielt man weiter Bildschirmschalte. Früher saßen Autoren und Juroren gemeinsam im Kärntner ORF-Theater. Nun diskutieren drinnen nur noch die Juroren, während den Autoren die Lesebühne draußen im ORF-Garten bereitet ist. Das sorgt einerseits für eine entspanntere Vorlese-Atmosphäre, kappt aber auch die direkten räumlichen Vibes zwischen Lesung und Kritik. „Auch wir hier drinnen im sterilen Studio haben uns amüsiert“, ein Satz des Jury-Mitglieds Klaus Kastberger, brachte den Konflikt zwischen den beiden konkurrierenden Orten auf den Punkt. Durch die zwei realen Orte des Events hat der ORF auseinanderdividiert, was räumlich – wenn nicht gerade pandemische Notlage ist – eigentlich zusammengehört.

Die Mitglieder der Jury sitzen anlässlich der Auslosung der Lese-Reihenfolge im Rahmen der "46. Tage der deutschsprachigen Literatur" um den prestigeträchtigen Ingeborg-Bachmann-Preis im ORF-Theater. Das jährliche deutschsprachige Wettlesen findet nach zwei virtuellen Ausgaben erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie wieder mit Teilnehmern und Publikum vor Ort statt. +++ dpa-Bildfunk +++
Die Jury im ORF-Studio
Quelle: picture alliance/dpa/APA
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Zweitens: Durch die Live-Lesung hat Klagenfurt immer auch eine performative Dimension. Die Lyrikerin und Performance-Künstlerin Mara Genschel, 1982 in Bonn geboren, spielte diese Dimension am zweiten Vorlesetag mit einem Gimmick aus: Sie trug einen extragroßen aufgeklebten Schnurrbart bei der Lesung und fingierte einen amerikanischen Akzent, der zu ihrer Geschichte passen sollte. Die Jury zeigte sich amüsiert, aber auch skeptisch, ob die Performance nicht die mangelnden Qualitäten des Textes überlagere. Daraufhin brachte sich Genschel für einen kurzen Augenblick in die Jury-Diskussion ein (was in Klagenfurt grundsätzlich möglich ist). Ihr Auftritt sei keine Performance, sondern Style: „Ich hab nichts anderes getan als gelesen und mich schick gemacht“.

Können und dürfen Habitus und Auftritt in die Bewertung der Jury einfließen? Diese Frage ist beim Bachmannpreis so alt wie der Stirnschnitt von Rainald Goetz. Als der anno 1983 in Klagenfurt las und sich vor laufenden Kameras mit einer Rasierklinge die Stirn aufschlitzte und das Blut auf seinen Text tropfen ließ, ätzte Reich-Ranicki im Anschluss: Blut könne nicht in die Bewertung einfließen.

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Drittens: Es gibt einen neuen Modus der Preisermittlung. Früher wurde sonntags live im Fernsehen gevotet. Jetzt wählt die Jury schon geheim am Samstagnachmittag, und nur der in Klagenfurt immer schon wichtige Justiziar kennt das Ergebnis. Idee ist, dass die in der Punktzahl niedriger gerankten automatisch den nächstniedrigeren Preis erhalten. Früher waren Autorinnen und Autoren, die im Stechen um den Hauptpreis unterlegen waren, manchmal durchgereicht worden und am Ende ganz leer ausgegangen. Die entschlackte Preisvergabe am Sonntagvormittag macht das Streaming- und TV-Event trotzdem noch nicht frei von Pannen und Peinlichkeiten. Etwa, wenn Schriftsteller von 3sat-Moderatorinnen genötigt werden, ihre Texte zu kommentieren. Auf diese Zumutung hatte Ana Marwan, die frisch gekürte Bachmannpreisträgerin, nur eine und richtige Antwort übrig: „Mein Text spricht für sich selbst.“

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