WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Maurizio Pollini: Nachruf auf einen Pianisten für denkende Menschen

Kultur Maurizio Pollini †

Der Pianist für denkende Menschen

Freier Feuilletonmitarbeiter
Maurizio Pollini (1942 bis 2024) Maurizio Pollini (1942 bis 2024)
Maurizio Pollini (1942 bis 2024)
Quelle: picture-alliance / akg-images /
Maurizio Pollini war einer der großen Musiker der Gegenwart. Ein Aristokrat und Arbeiterfreund, der Musik in die Werkhallen brachte – und anschließend mit Industriellen Partys feierte. Jetzt ist der Mailänder gestorben. Er wurde 82 Jahre alt.

„Ich bin der Sohn eines Architekten, so interessiere ich mich immer auch für Strukturen. Denn gerade diese oft verborgenen Bauelemente der Musik sind so spannend, auch wenn die anderen Parameter – Dynamik, Rhythmus, Klang, Farbe – bisweilen ein wenig davon ablenken. Deshalb möchte ich sie bloßlegen, erfahrbar machen.“ Das sagte ein Intellektueller des Klaviers, einer, der erst dachte, dann spielte – Maurizio Pollini.

Er wollte nicht nur Wohlfühlmomente verbreiten, sondern in seiner besten Zeit auch aufrühren, vielleicht sogar verstören. Er brachte die Musik auch in Räume außerhalb der Konzertsäle. Konnte seine Überzeugungen auch in Worte fassen und machte sie publik.

Pollini war ein Pianist für denkende Menschen. Das war für lange Jahrzehnte am Ende des vergangenen Jahrhunderts eben nicht Igor Levit, sondern der 1942 in Mailand geborene Italiener. In einer anderen Zeit. Pollini spielte keine Hauskonzerte via Internet, verbreitete sich nicht auf Social Media.

Lesen Sie auch

Er wohnte in einem Mailänder Palazzo, trug im Alltag allerfeinstes italienisches Tuch, im Konzert immer nur Frack. Und hatte doch sehr dezidiert linke, ja kommunistische Ansichten. Eine wenig Kälte und Abstand war außerdem immer um ihn. Er war eine aristokratische Erscheinung, Kettenraucher freilich.

Doch kristallin fein, geradlinig, durchdacht und trotzdem von Wärme, nie Hitze emotionalisiert und beatmet, so war Maurizio Pollinis Beethoven- wie sein Chopin-Spiel. So interpretierte er Brahms, spät dann auch Bach, Debussy und natürlich Schönberg, Nono, Stockhausen.

Ein Monument, ein verlässliches, von Anfang an. Maurizio Pollini lebte stets ein extrem großbürgerliches Leben. In einem musikliebenden Elternhaus aufgewachsen, debütierte er schon mit neun Jahren in der Öffentlichkeit. Bereits mit 18 Jahren diplomierte er am Verdi-Konservatorium seiner Heimatstadt Mailand. Bei dem legendären Tastenphilosophen Arturo Benedetti Michelangeli holte er sich den letzten, musikantischen Schliff.

Maurizio Pollini spielt Chopin

An dieser Stelle finden Sie Inhalte aus YouTube
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Immer scheint diesem Pianisten alles leichtgefallen zu sein. Technik hatte er sowieso, keine unfehlbare für die Klangolympiaden Rachmaninows oder Liszts, Komponisten, die ihn eher wenig interessierten, aber doch genug, um gleich mal ein Bündel Wettbewerbe zu gewinnen, auf den internationalen Podien durchzustarten: Beim Pianistenwettbewerb in Genf wurde er 1957 (kein erster Preis) Zweiter. 1959 siegte er beim Ettore-Pozzoli-Wettbewerb in Seregno, 1960 entschied er den hammerharten Chopin-Wettbewerb in Warschau für sich.

Seither war Maurizio Pollini ein von manchen vergötterter, von Frauen umschwärmter, stets eleganter Tastenstar, den bald eine enge Freundschaft an zwei ebenfalls aufstrebende italienische Musiker band: Claudio Abbado, auch Mailänder, wurde sein Lieblingsdirigent, Luigi „Gigi“ Nono, der still-versonnene venezianische Komponist, Schwiegersohn von Schönberg, er wurde der Herzensmensch für den gedanklichen Austausch.

Kaschmirkommunismus

Gemeinsam konzertierte das Trio in den Seventies in norditalienischen Fabriken, wollten die Klassik neuerlich zu den Arbeitern bringen, diese mit der Moderne versöhnen. Doch es war auch kein Widerspruch, danach mit den Agnellis zu dinieren, glamouröse Partys zu feiern. Kaschmirkommunismus à la Italiana eben.

Anzeige

Von Anfang an war dabei die Deutsche Grammophon Maurizio Pollinis Plattenfirma, sie ist es noch heute. Eine Gemeinschaft auf Gegenseitigkeit. Er hat das traditionell die Chopin-Preisträger verpflichtende Label geprägt und dieses ihn. Sein Spiel wie deren Ästhetik, das war immer makellos, hochwertig und edel, klug, überlegt; vielleicht ein wenig überraschungslos. Er war eine Marmorsäule des Betriebs – stark, klassisch, zeitlos.

Und neben den klassischen großen Meisterwerken, die er aufregend neu zu hinterfragen verstand – der entsentimentalisierte Chopin, der traurig-tragische Schubert, der strenggliedrige Beethoven, der rätselhafte, ja skurrile Schumann – standen immer auch als vehemente Zeichen des Heute die zum Teil für ihn komponierten Stücke von Pierre Boulez, George Benjamin, Luciano Berio, Roberto Carnevale, Bruno Maderna, Giacomo Manzoni oder Salvatore Sciarrino.

Maurizio Pollinis weltweite Beethoven-Zyklen waren Konzertereignisse der Neunzigerjahre, ebenso seine mehrteiligen „Progetti“ in Salzburg, in London und New York. Selten konnte Pollini auch erstaunen, etwa als er plötzlich beim Rossini-Festival in Pesaro dessen naturromantisches Schottenstück „La donna del lago“ metiersicher dirigierte. Oder als er spät doch noch Bachs I. Buch des Wohltemperierten Klaviers aufnahm, als er sich mit seinem Sohn Daniele 2018 in Debussys Suite „En blanc et noir“ vernehmen ließ.

Das war freilich schon ein spätes Nachglühen. Denn zur ganzen, durchaus gloriosen Pollini-Wahrheit gehört leider auch, dass er schon seit seinen Sechzigern enorm nachließ, die Lust und den Elan verloren zu haben schien. Seine Konzerte, bis zuletzt im Großen Salzburger Festspielhaus ausverkauft, wurden zu Zelebrationen des Gestrigen, zur Erinnerung daran, was einmal war. Seine letzten CDs offenbaren graue Routine, die finalen, konfusen, zum Teil abgebrochenen Konzerte waren Trauerspiele eines fragilen, viel zu früh Gealterten.

Am 23. März ist Maurizio Pollini in Mailand gestorben. Er wurde 82 Jahre alt. Auf 63 DG-CDs wie DVDs tönt sein immer wieder überwältigendes Klangerbe.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema