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Endlich – der radikale Bruch im Umgang mit NS-Raubkunst

Hannes Hartung, auf Raubkunst spezialisierter Rechtsanwalt Hannes Hartung, auf Raubkunst spezialisierter Rechtsanwalt
Hannes Hartung, Raubkunst-Experte und Rechtsanwalt
Quelle: Thorsten Jochim
Die Beratende Kommission wird abgeschafft, die Klärung von NS-Raubkunstfällen soll in Zukunft von einem Schiedsgericht verantwortet werden – ein Paradigmenwechsel in Deutschland. Für den ganz großen Wurf fehlt jetzt noch ein wichtiges Detail.

Nach dem Justizskandal „Schwabinger Kunstfund“ – am 6. Mai 2024 ist der zehnte Todestag von Cornelius Gurlitt – hatte die Bundesregierung versprochen, die Situation für Anspruchsteller auf die Restitution von Kunstgegenständen dramatisch zu bessern. Passiert ist dann ein Jahrzehnt lang so gut wie gar nichts.

Das entscheidende Gremium mit dem rekordverdächtig langen Namen „Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz“, hatte die letzten beiden ihr anvertrauten Fälle – die Gemälde „Die Füchse“ von Franz Marc und „Das bunte Leben“ von Wassily Kandinsky – ziemlich kritiklos als Raubkunst angesehen. Und das, obwohl gerade im letzten Fall doch sehr viel gegen Raubkunst sprach und einiges eher für eine freiwillige Einlieferung des Werks zum Verkauf (von einer von ihrem jüdischen Gatten Robert Lewenstein gehörnten Ehefrau in Amsterdam).

Bei Marcs „Füchsen“, welche als „Fluchtgut“ erst nach seiner Verbringung ins sichere Ausland nach New York von seinem jüdischen Eigentümer Kurt Grawi verkauft worden war, ist sogar ein Befangenheitsantrag gegen ein Mitglied der Kommission gestellt worden. Die Empfehlung zur Restitution, die sogar von einer Fortwirkung der persönlichen NS-Verfolgung für den jüdischen Eigentümer in den USA ausging, ging vielen Fachleuten definitiv zu weit und schlug richtig Wellen.

Beratende Kommission rief um Hilfe

Schon seit längerer Zeit wurde daher die Kritik laut, dass man solche auch juristisch sehr schwierigen Entscheidungen nicht allein verdienten Politikern und moralisch hochstehenden und integren Persönlichkeiten überlassen darf, sondern dass spezialisierte Fachleute zur Aufarbeitung der komplexen Raubkunstfälle eingeschaltet werden müssen. Dies wären neben spezialisierten Juristen auch erfahrene Provenienzforscher und Experten für Zeitgeschichte.

Zu ihrem 20. Geburtstag im September 2023 rief die Beratende Kommission selbst in einem Memorandum laut um Hilfe und mahnte dringende Reformen an. Sie wollte wichtiger, mächtiger werden und endlich auch mehr Fälle entscheiden als nur 23 in den vergangenen zwanzig Jahren. Jetzt wird sie wohl abgeschafft und mit ihr offenbar auch das unzureichende System der Freiwilligkeit und Unverbindlichkeit.

Denn: Claudia Roth, die Beauftragte des Bundes für Kultur und Medien (BKM), die Bundesländer und kommunale Spitzenverbände haben sich nun offenbar zusammengerauft, um an die Stelle der bisherigen Beratenden Kommission eine Schiedsgerichtsbarkeit zu setzen – das ist eine Institution, die mit Schiedsrichtern anstelle von Richtern eines staatlichen Gerichts einen rechtsverbindlichen Schiedsspruch fällt, der auch vollstreckbar ist.

Die Entscheidungen dieses Schiedsgerichts sollen gerichtlich überprüfbar sein und damit in einen verbindlichen rechtsstaatlichen Rahmen kommen. Das bedeutet nichts anderes als einen Paradigmenwechsel in Deutschland im Umgang mit Raubkunst. Bislang waren die Anspruchsteller darauf angewiesen, dass das Museum, in dessen Besitz sich ein fragliches Kunstwerk befindet, einem Verfahren um Rückgabe bei der Kommission zustimmte, was oft nicht der Fall war. Kernpunkt des neuen Verfahrens ist indes die Möglichkeit, auch gegen den Willen des gegenwärtigen Besitzers das Schiedsgericht einseitig anzurufen.

Sogar Bayern bewegt sich in der Raubkunstfrage

Deutschland ist damit weltweit das erste Land, welches sich einem verbindlichen und professionellen Schiedssystem in Raubkunstfragen stellt. Hierfür wird von Experten in ganz Europa geworben, während in anderen Ländern wie Frankreich, Niederlande, Vereinigtes Königreich und Österreich noch immer vergleichbare Mediationskommissionen das Sagen haben.

Und sogar Bayern bewegt sich nun: Im Besitz der Pinakothek der Moderne in München befindet sich das Gemälde „Madame Soler“ von Pablo Picasso, die Nachfahren des jüdischen Sammlers und ehemaligen Eigentümers Paul von Mendelssohn Bartholdy fordern seit Langem die Rückgabe. Der Freistaat und sein Kunstminister Markus Blume haben sich nun plötzlich doch bereit erklärt, an einem Schiedsverfahren für das Bild teilzunehmen.

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Dies hatte Bayern zuvor seit 2012 stets kategorisch abgelehnt. Aufgrund der jüngsten Empfehlungen der Beratenden Kommission gab es offenbar Bedenken, ein faires Verfahren zu bekommen. Bei einer Verhandlung vor dem neuen Schiedsgericht würde Bayern erst gar nicht mehr gefragt werden, ob sie sich der Teilnahme stellen wollen.

International wird zum 25. Geburtstag der Washingtoner Prinzipien (43 Staaten und 13 nichtstaatliche Organisationen verpflichteten sich darin, NS-verfolgungsbedingt entzogene Kunstwerke zu identifizieren und gerechte und faire Lösungen mit den Eigentümern oder ihren Erben zu finden) eine Verschärfung der Verfolgungsvermutung gefordert. So solle jeder Verkauf zwischen 1933 und 1945 als Zwangsverkauf angesehen werden. Diese Forderung geht sicher zu weit, wäre aber das Ende der „Madame Soler“ in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen.

Schiedsgericht ersetzt Kommission

Tatsächlich waren Verfahren vor der Beratenden Kommission intransparent. Jedes Gericht in Deutschland nennt den Berichterstatter, nicht so aber die Kommission. Deren Empfehlungen waren hingegen weder durchsetzbar noch vollstreckbar. Für die öffentliche Hand wirkten sie aber wie ein ordentliches Gerichtsurteil, weil man sich davor verpflichten musste, der Empfehlung des „Mediators“ Beratende Kommission verbindlich zu folgen. Das ist absolut unüblich in einer Mediation. Leider hat sich bislang keiner getraut, eine Empfehlung der Beratenden Kommission, die Juristen einen Ad-hoc-Schiedsspruch nennen, vom zuständigen Kammergericht in Berlin überprüfen zu lassen.

Das Schiedsgericht soll auf Grundlage einer neuen Verfahrensordnung und eines umfassenden ausdifferenzierten Bewertungsrahmens tätig werden. Eine bloße Überarbeitung der schwer defizitären Handreichung wird nicht genügen. Sie sollte seit 2001 eigentlich nur eine Empfehlung zum Umgang mit Rückgabefragen sein, wurde aber vielfach wie eine Art Gesetz verwendet, obwohl es keines war.

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Geplant ist jetzt der große Wurf. Das von vielen geforderte Raubkunstgesetz mit klaren Kriterien, wann ein verfolgungsbedingter Entzug vorliegt und wann eben auch nicht, ist dringend notwendig. Und sicher gab es auch in der Nazizeit noch einige wenige freiwillige Verkäufe, die so auch außerhalb des Nationalsozialismus stattgefunden hätten. Auch wenn diese Fälle selten sind, darf dies nicht ausgeklammert werden.

Hinter den Kulissen stellt sich indes die spannende Frage, wie dieser Kompromiss, ja, der große Wurf, überhaupt zustande kommen konnte, nachdem Deutschland hier diesen gordischen Knoten über Jahre nie lösen konnte. Bayern hatte die einseitige Anrufbarkeit wegen des Gemäldes „Madame Soler“ stets blockiert, andere unionsgeführte Länder hatten nichts dagegen.

Offensichtlich waren nun im BKM unter der Amtsleitung von Andreas Görgen gute Berater am Werk: Was die Politik in einem langwierigen Gesetzgebungsverfahren oft nicht hinbekommt, wird nun elegant gelöst – zunächst über ein Verwaltungsabkommen und dann in zweiter Stufe über einen Staatsvertrag unter Einbeziehung der Kommunen.

Kommt auch ein differenziertes Raubkunstgesetz?

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Ob der Staatsvertrag dann wirklich kommt, wird man sehen. Das Schiedsgericht kommt aber bestimmt. Und damit hat man alle Möglichkeiten der modernen Schiedsgerichtsbarkeit, dessen Schiedsrichter dann hoffentlich nicht mit der unverbindlichen Handreichung, sondern einem differenzierten Raubkunstgesetz arbeiten können. Daher wird es wichtig sein, einen guten Pool aus erfahrenen Schiedsrichtern zu stellen, in dem auch die Mitglieder der Beratenden Kommission agieren können, aber auch andere Fachkundige von den Parteien gewählt werden können.

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Endlich soll zudem die Provenienzforschung proaktiv in den Entscheidungsprozess auf Staatskosten einbezogen werden. War diese bislang allein Aufgabe der Parteien, wird das Schiedsgericht hoffentlich Fachgutachten vom Staat anfordern können. Vorbild ist das System in den Niederlanden, wo dies schon lange sehr gut in der Königlichen Akademie der Wissenschaften funktioniert. Nur sollte man den Gebührenrahmen für dieses Schiedsgericht niedriger setzen als üblich, weil sonst das Verfahren schon an den Kosten scheitert.

Für den Kunstmarkt bringt die neue Schiedsgerichtsbarkeit nun erstmals Rechtssicherheit und eine starke Professionalisierung der Entscheidungsprozesse. Dies wird der vom Kulturgutschutzgesetz und der hohen Mehrwertsteuer arg gebeutelte deutsche Kunsthandel sicher begrüßen. Das Schiedsgericht ist also nicht nur eine Reform oder Stärkung der Beratenden Kommission, sondern es ersetzt sie – damit wird ein radikaler Bruch mit dem bisherigen System der Unverbindlichkeit vollzogen. Möge es Raubkunst endlich zu ihren berechtigten Erben nach Hause bringen und unberechtigte Forderungen entspannt ablehnen: Die Beratende Kommission ist tot, lang lebe das Schiedsgericht!

Der Autor ist seit 2004 Rechtsanwalt in München und war in zahlreichen Raubkunstfällen (unter anderem Gurlitt, „Sumpflegende“, „Das bunte Leben“) als Parteivertreter involviert.

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