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Als Grimmelshausen in den Krieg verschleppt wurde

Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1622 bis 1676) Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1622 bis 1676)
Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1622- 1676)
Quelle: akg images
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Im Kriegswinter 1634/35 nähern sich Reiter der Festung Hanau. Auf dem zugefrorenen Wallgraben spielen Flüchtlingskinder. Die Kroaten entführen sie. Manche von ihnen kommen gegen Lösegeld frei – doch eine Waise löst niemand aus.

Die Reiter, die sich im Kriegswinter 1634/35 Hanau nähern, führen nichts Gutes im Schilde. So kalt ist es, dass die Kinzig zugefroren und der Festungsgraben von Eis bedeckt ist. Hier hat der schottische Generalmajor Jakob von Ramsay den Oberbefehl. Er steht in Diensten des protestantischen Schwedenkönigs. Stadt und Festung sind überfüllt mit Geflüchteten.

Auch eine Waise ist unter ihnen. Geflohen war der zwölf- oder 13-jährige Hans Jakob aus dem verwüsteten Gelnhausen, wo er, nachdem der Vater jung gestorben und die Mutter sich wiederverheiratet hatte, beim Großvater aufwuchs. Hans Jakob ist bei den Kindern, die sich aufs Eis auf dem Wallgraben wagen. Sie wollen Enge, Hunger und Elend für kurze Zeit entkommen, müssen nun aber noch Schlimmerem ins Auge sehen. Denn die Reiter unter Oberst Marco von Corpes, der später in Schillers „Wallenstein“ einen Auftritt haben wird, ergreifen und verschleppen die Kinder ins nahe Büdingen, von wo aus die meisten zwar bald gegen ein Lösegeld ihrer Eltern den Rückweg antreten dürfen. Doch niemand löst eine Waise aus. So kommt Hans Jakob, den der Krieg bereits aus der großväterlichen Backstube vertrieben hatte, selbst in den Krieg. Er bleibt bei den Reitern, Kroaten im Dienste der Kaiserlichen. Der Krieg wird ihn bis zum Friedensschluss 1648 – und darüber hinaus – nicht mehr hergeben.

Ein fürchterliches Schicksal, ohne Frage. Zu Recht verurteilen bis heute Normaldenkende militärische Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ohne Wenn und Aber – ganz unabhängig von Kriegszielen. Dass Hans Jakob, wäre er nicht „unter die Reiter“ gekommen, nicht der geworden wäre, der er wurde, ist aber auch klar. Es wäre ein Schaden gewesen, für die Literatur, aber auch für den Jungen, der auf den Nachnamen Grimmelshausen hörte und mit seinen Büchern, publiziert unter anagrammatischen Pseudonymen wie Melchior Sternfels von Fuchshaim oder Illiteratus Ignorantius Idiota, zum ersten deutschen Bestsellerautor wurde.

Johann Jakob von Grimmelshausen hat uns mit seinem „Abenteuerlichen Simplicissimus Teutsch“, erschienen 1688 unter dem Namen German Schleifheim von Sulsfort, den noch Goethe für eine historische Person hielt, etwas Großes hinterlassen. Nämlich „wahrhaftigere Bilder aus der deutschen Vergangenheit“, so hat es Hans Magnus Enzensberger formuliert, „als alles, was Gustav Freytag und Felix Dahn uns beschert haben, ja als der ganze Ploetz von vorn bis hinten: nicht Rekonstruktion, sondern Anschauung ohne Hinterabsicht, und Zeugenschaft von unten.“

Den Krieg zu überleben, war die eine Voraussetzung dafür, die andere war Bildung. Die, so mutmaßen es Heiner Boencke und Hans Sarkowicz in ihrer hinreißenden Grimmelshausen-Biografie, stammte auch aus den Büchern, die Hans Jakobs Stiefgroßvater, ein Frankfurter Buchhändler, verlegte. Überleben, das war eine andere Schule. Ob Hans Jakob wie sein pikaresker Held bei den Kroaten auch das „Fouragieren“ lernte, wissen wir nicht. Dass es heute als Kriegsverbrechen gelten würde, ist gewiss, bestand es doch darin, dass man „auf die Dörfer ausschwärmt, um zu dreschen, zu mahlen, zu backen, zu stehlen und zu nehmen, was man findet, auch um die Bauern zu quälen und zu ruinieren und sogar ihre Mägde, Frauen und Töchter zu schänden!“

Simplicius verlässt den Oberst Corpes, der immer lachte, „wenn ihm jemand eine Laus von der Jacke las“, irgendwann still und heimlich, wirbelt weiter im Strudel des Dreißigjährigen Krieges herum. Sein Autor könnte sich unter denen gefunden haben, die hessische Truppen am 12. März 1635 den Kroaten abnahmen. Ihr Obristleutnant jedenfalls berichtete nach Kassel: „Ich habe der deibischen jungen 10 und 4 kerls noch alhir sitzen, sie kosten mir mehr als die deibe wehrt sein“.

Alles Schriftstellerleben sei Papier, heißt es. In dieser Reihe treten wir den Gegenbeweis an.

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