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Wie man mit der Mandoline zum Liebescoach wird

Freier Feuilletonmitarbeiter
Avi Avital lebt in Berlin Avi Avital lebt in Berlin
Avi Avital lebt in Berlin
Quelle: Marlene Gawrisch/WELT
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Avi Avitals Instrument ist uralt und wurde doch lange nicht für voll genommen. Bis der israelische Virtuose die Mandoline fast im Alleingang zu musikalischem Weltruhm erhoben hat. Er ist ein vielbegabter Sonnenkönig. Auf die Gegenwart seines Heimatlandes reagiert er ganz besonders.

Die Wohnung liegt in einer versteckten, aber gut erreichbaren Straße in Berlin-Mitte. Hinterhof, ziemlich weit oben. Hell ist es schon draußen, dabei ist Sonne im Berliner Winter eine Seltenheit. Und hell strahlt es auch im Berliner Zimmer. Da stehen viele Glasvasen und einige trockenen Gräser, Äste und Disteln. Die werfen interessante Schatten auf die weißen Wände.

Die Fotografin ist begeistert. Der Hausherr macht gerade Kaffee, er ist allein. Seine Frau arbeitet als Professorin an der Barenboim-Said-Akademie, der zehnjährige Sohn ist in der Schule, und an dessen weißem Wollknäuel, der vorgibt, ein Wachhund zu sein, haben wir uns schnell vorbeigeschlängelt. Avi Avital seufzt entspannt: Er hat einen Morgen – fast – für sich.

Avi Avital spielt Vivaldi

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„Den brauche ich auch“, sagt der 45-Jährige und lacht. Denn Avital ist so etwas wie ein Musikkreisel in Dauerumdrehung, und das in allerhöchster Geschwindigkeit. Kein Wunder, lastet doch quasi die Weltverantwortung der Mandolinenoptimierung auf seinen durchaus kräftigen Schultern. Natürlich gibt es auch noch andere bedeutende Spieler dieses eigentlich vertrauten, dabei exotischen Instruments. Doch der Israeli hat wie kein Zweiter vor ihm diesen plingelnden, angenehm warmen Klang in die Klassik gebracht.

Zwar gibt es ein paar Mandolinenkonzerte aus der Barockzeit, allen voran die von Vivaldi. Den größten Opernauftritt hält ihr immerhin Mozart bereit: „Don Giovanni“, zweiter Akt, „Deh, vieni a la finestra“. Der ewige Verführer, der vorher nur eine hektische Arietta hatte und danach auch keine Solonummer mehr, er greift zum volkstümlichen Instrument, um der noch im Zimmer befindlichen, vermeintlichen Zofe der Donna Elvira (dabei ist es die verkleidete Herrin selbst) melodisch mit einer Serenade zu schmeicheln und sie zu locken.

„Das sind zweieinhalb sehr besondere Minuten, die ich während einer gewissen Zeit in den Opernorchestergräben von ganz Oberitalien gespielt habe und die mir beinahe mein Studium finanzierten. Denn glauben Sie mir, dieser Mozart ist dort sehr beliebt.“ Nach so vielen amourös angenehm wie aufgeladen gezupften Liebesliedern kann Avital selbst als Verführungscoach durchgehen.

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Offiziell darf sich Avi Avital „Botschafter der Mandoline“ nennen, 2023 wurde sie zum „Instrument des Jahres“ ausgerufen, jetzt folgte die Tuba. War das seinetwegen? „Ich weiß es nicht, ich wurde selbst davon überrascht, aber natürlich habe ich die Gelegenheit genutzt, meine Kleine noch ein wenig mehr zu promoten.“

Das kann er sehr gut. Seine Lieblingsmandoline, schwarz, verkratzt und sehr abgeschrabbelt, ruht gerade auf seinem Schoß. „Die ist eigentlich nichts Besonderes. Mandolinen reichen zum Glück nicht an Geigenvermögenswerte heran, aber es hat einst mit ihr ganz subjektiv ,klick‘ gemacht. Und wenn ich sie, nein, einen Namen, auch einen Spitznamen hat sie nicht, verlieren würde, dann wäre es für mich schon eine Tragödie wie ein Stradivari-Verlust. Nicht finanziell, aber emotional.“

Der Israeli ist ein Emotionsmusiker. Er will aus seinem Instrument, das keineswegs zu leise für den Konzertsaal ist, mit seinen Metallsaiten und dem Plektrum, das sie anschlägt, das Maximum herausholen. „Ja, es ist ein volkstümliches Instrument, aber es kann auch elegant und streng sein. Alles eine Frage des Spiels und der Attitüde.“ Er hat ihr jedenfalls diverse Haltungen beigebracht und entlockt ihr weit mehr Klangfarben als man denken würde, etwa auf seinem jüngsten Album, das diverse Vivaldi-Violinkonzerte der Mandoline anvertraut.

100 Werke in Auftrag gegeben

Avitals jüngstes Baby ist freilich eine eigene Formation, das Between Worlds Ensemble, mit dem er im Berliner Boulez Saal auftritt, um unterschiedliche Genres, Kulturen und musikalische Welten auszumessen und zu vereinen: „Im ersten Jahr haben wir uns klassische und folkloristische Musik von der Iberischen Halbinsel, dem Schwarzen Meer und aus Italien vorgenommen.“

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Inzwischen hat er mehr als 100 Solowerke in Auftrag gegeben für das Instrument, „das mich gewählt hat, nicht umgekehrt“. Darunter sind Orchesterkonzerte von Anna Clyne, Jennifer Higdon, Avner Dorman, David Bruce und Giovanni Sollima. Mit seinen echten, spontan unverstellten Gefühlen, seiner kumpelhaften, aber sich nie anbiedernden Ausstrahlung ist Avi Avital bei seinen vielen Musizierpartnern, aber eben auch bei seinen zahlreichen Fans sehr beliebt.

Er staunt immer noch darüber, lacht noch breiter, die schwarzen Augen glitzern noch dunkler. Und schon versteht man die magische Aura, die von ihm ausgeht, wenn er nun tief konzentriert über seinen vier Doppelsaiten hängt. Er strahlt auch bei den komplexesten Stellen. „Und meine Bearbeitungen sind nicht einfach“, schnaubt er.

Avi Avital macht Jazz

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Als Geige des kleinen Mannes ist die Mandoline uralt, aber selten ernst genommen. Man hört sie in der Folklore und im Bluegrass, sie hatte sich zu bescheiden. In der Klassik sorgte sie mal für Abwechslung, hatte als häusliches Instrument eine Blüte auch in der barocken Kammermusik. Im 20. Jahrhundert wurde sie bei den Komponisten der Neuen Musik wieder beliebter, erstmals auffällig bei Gustav Mahler, besonders im „Lied von der Erde“.

Damit hat sich Avi Avital nie befasst. Dafür war dann seine Solokarriere in Italien schon zu weit vorangeschritten. Und vorher war er nur ein später Ableger der europäischen Mandolinenorchester, die in den Gründungsjahren Israels eine wichtige Rolle spielten: weil sie europäisch klangen, aber mit keiner schlimmen Nazi-Erinnerung verknüpft waren wie für viele der Holocaust-Überlebenden der klassische Orchestersound.

Und der kleine Avi, der unbedingt irgendwie seinen Bewegungs-, Erkenntnis- und Spieldrang ausleben wollte, dabei gänzlich unmusikalische Eltern hatte, landete in Be’er Scheva bei einem nachbarlichen Geigenlehrer, der eben auch Mandoline unterrichtete. So wurde schnell größer, was eigentlich nur kindliche Ablenkung gewesen war. Das Konservatorium und der Militärdienst, der ihm dafür die Zeit ließ, ebneten den Weg zum Profitum. Klar war aber auch: „Ich muss nach Italien“. Dort liegt immer noch eine bedeutende Wiege des Mandolinenspiels.

Lehrer wollte er nicht werden

Avi Avital zog nach Mailand, um dort am Conservatorio Cesare Pollini di Padova seine musikalische Ausbildung zu vervollständigen und zu ergänzen. „Aber hier merkte ich, dass es irgendwann eine Grenze gab, über die kleinen Opernauftritte und selbstorganisierte Konzerte in Kirchen ging es nicht hinaus.“ Immerhin hatte er in Mailand perfekt italienisch kochen gelernt.

„Aber Mandolinenlehrer wollte ich nicht werden, für mich hatte das Instrument immer noch mehr, zu selten ausgeschöpftes Potenzial. Und mir war klar, ich musste weiter nach Berlin. Da waren viele Freunde, und hier laufen auch diverse Stränge des Musikgeschäfts zusammen.“ Seine tüchtige Agentin sitzt ebenfalls an der Spree.

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Ja, auch die Deutsche Grammophon war an ihm interessiert, hatte aber zunächst nicht so wirklich einen Schimmer, wie sie ihn einsetzen sollte. Avi Avital aber wusste es: „Ich wollte Bach aufnehmen, von Anfang an, zeigen, dass die Mandoline gerade in dieser Königsklasse auch glänzen kann, schließlich hat Bach selbst dauernd seine Musik und die anderer für die verschiedensten Instrumente bearbeitet. Es war gar nicht schwer.“

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Avital musste freilich seine ganzen Ersparnisse für ein Demoband mit Orchester in die Hand nehmen. Die Audiovorführung hat überzeugt. 2012 kam das Bach-Album auf den Markt, ein Jahr vorher war er immerhin schon mal als erster Mandolinist überhaupt für einen Grammy nominiert worden. Sechs weitere Veröffentlichungen sind inzwischen dazugekommen. Der Hunger nach Avi Avitals Mandoline scheint ungebrochen. „Heute ist ein ungewöhnlicher, ein ruhiger Tag. Ich muss nur noch Abrechnungen und Bürozeug machen.“

Vor allem ist Avi Avital unermüdlich unterwegs, mit Pianist, mit Cembalist, mit Cellist, Akkordeonspielerin, Countertenor, Puppenspielern, Streichquartett, Klezmertruppe, diversen Orchestern. Am 25. Februar tritt Avi Avital auch mal wieder mit seinen Freunden von Il Giardino Armonico und mit deren Chef Giovanni Antonini im Berliner Kammermusiksaal im Rahmen eines ganzen Wochenendes mit Barockmusik auf.

„Heute ist leider alles anders“

Überhaupt ist die Philharmonie so etwas wie sein zweites Berliner Wohnzimmer: „Hier kann ich unbeschränkt üben, ich habe sehr viele Freunde unter den Musikern und setzte mich einfach gern in die Orchesterproben. Das inspiriert mich immer.“

Wie ist in seiner Familie der Entschluss angekommen, nach Berlin zu ziehen? „Damals sehr gut, keiner hatte Bedenken. Heute ist das leider anders. Seit einigen Monaten hat sich auch für mich in meiner glücklichen Künstlerdiaspora das Leben verändert.“

Jetzt schweigt Avi Avital für einen Moment, hört in sich, schluckt. Wieder scheinen die schwarzen Augen noch schwärzer zu werden, obwohl doch gerade die Berliner Sonne noch heller durchs vorhanglose Fenster leuchtet.

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