WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. „The Zone of Interest“: Von Urlauben träumen, während nebenan menschliche Asche weht

Kultur „The Zone of Interest“

Von Urlauben träumen, während nebenan menschliche Asche weht

Sandra Hüller in „The Zone of Interest“ Sandra Hüller in „The Zone of Interest“
Sandra Hüller in „The Zone of Interest“
Quelle: dpa/LEONINE Studios
Hier können Sie unsere WELT-Podcasts hören
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.
Der fünffach Oscar-nominierte Holocaust-Film „The Zone of Interest“ von Jonathan Glazer zeigt, wie das Ehepaar Höss einen Alltag der Idylle lebte. Direkt neben den Mauern zum Konzentrationslager.

Der deutsche Autor W.G. Sebald sagte einst, kein ernsthafter Mensch solle je über etwas anderes nachdenken als den Holocaust. Der 2023 verstorbene britische Autor Martin Amis sah es genauso; nach „Times Arrow“ veröffentlichte er 2015 „Interessengebiet“ (engl. „The Zone of Interest“), eine satirische Antwort auf Hannah Arendts Frage nach der Banalität des Bösen. Arendt hatte 1961 in Jerusalem den Gerichtsprozess gegen den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann verfolgt und daraufhin „The Origins of Totalitarianism“ geschrieben.

Darin entwickelte sie den Gedanken, dass der blinde Gehorsam der Deutschen, die Befehle mit der Pedanterie von Bürokraten befolgten, die Terrorherrschaft der Nationalsozialisten ermöglicht hatte. Eichmann, so Arendt, war zu kritischem Denken unfähig, ordnete mit stumpfer prokuristenhafter Selbstverständlichkeit die Ermordung von Menschen an, was für Arendt die Banalität des Bösen ausmachte.

Die reine Idylle? Szene aus „The Zone of Interest“
Die reine Idylle? Szene aus „The Zone of Interest“
Quelle: Festival de Cannes

Martin Amis verlegte den Schauplatz des banal Bösen nach Auschwitz, im Buch „KatZet“ und „Kalifornien“ genannt. Es war die Zeit nach der Wannsee-Konferenz von 1942, auf der die „Endlösung der Judenfrage“ und endgültige Massenvernichtung jüdischen Lebens beschlossen wurde. In Auschwitz a.k.a. „Kalifornien“ – so stellte es Amis dar – herrschte hektischer Stress ob der „gewaltigen Aufgabe“, doch noch tummelten sich die Nazis, im Roman dümmliche, blonde Lulatsche mit Wagnernamen, tatsächlich als wären sie in den ewigen Ferien und versuchten, trotz Gestank, Todesschreien und Blutschlamm irgendwie Spaß zu haben, fraßen, feierten, frönten vor Hintergrund einer geheimen Liebesgeschichte: Golo Thomsen, SS-Offizier und Aufseher über den Bau der Auschwitz angegliederten Buna-Werke, verliebt sich in Hannah (Hedwig Höss), die Frau des Kommandanten Doll (Rudolf Höss), ein dicklicher Trunkenbold, der höchstens im Suff über die für ihn elenden aber nicht unerträglich grausamen Zustände im KZ nachdenkt.

Lesen Sie auch

Martin Amis’ englisches Originalwerk ist durchsetzt mit deutschen Einschüben, kleinen Floskeln, klischeehaften Worten; Jonathan Glazer, der Regisseur, der nun „The Zone of Interest“ verfilmte, wählte für den gesamten Film deutsche Darsteller, darunter Christian Friedel und Sandra Hüller, sowie die deutsche Sprache, vorgetragen im fistelig dürren Ton öder Sachbearbeiter.

Das Grauen von Auschwitz hinter der Gartenmauer
Das Grauen von Auschwitz hinter der Gartenmauer
Quelle: -/Leonine/dpa

Wie lebt es sich, wie gelingt der Alltag, wenn eine hasserfüllte Ideologie wie der Nationalsozialismus Herzen und Seelen deformiert? Glazers Filmversion ähnelt der Romanvorlage: Im Zentrum stehen das Ehepaar Höss, die fünf Kinder und ihr von polnischen Haushälterinnen umsorgter Familienalltag mit Sommerfesten, Kuchenessen, Rudern und Fischen. Die Sonne glitzert, das Wohnhaus ist blitzsauber und edel eingerichtet, im Garten – ihr „Paradies“ – riecht Hedwig Höss an wunderschönen Blumen, probiert vor dem Schlafzimmerspiegel versonnen den einer Jüdin gestohlenen Nerzmantel; im Kinderzimmer spielt der älteste Sohn mit den Goldzähnen ermordeter KZ-Häftlinge.

Familie Jedermann

Einziger Schauplatz sind Haus und Garten; die Sicht auf das KZ verhindert eine mit Weinreben umrankte Mauer, nur der rauchende Schlot des Krematoriums ist zu sehen. Doch das Grauen ist trotzdem da; aus dem Lager dringen furchtbare und noch lange im Zuschauer widerhallende Schreie aus Schmerz und Angst, Tag und Nacht, ohne Unterlass, manchmal weht Rauch herüber, jede Nacht glüht der Krematoriumsschlot. Nie erwähnt die Familie den sie umgebenden Horror, er wird ausgeblendet wie Autobahngeräusche, das Leben schwappt sonnendurchflutet vor sich hin.

Kurzfristig wird Höss in die Zentrale versetzt, Hedwig weigert sich, ihm mit den Kindern nach Berlin zu folgen, ist doch das Landleben als „Königin von Auschwitz“ genau das, was der Führer für seine Getreuen vorsah und die Erfüllung all ihrer Träume. Doch das „Happy End“ kommt: Nach kurzem Aufenthalt in Berlin wird Höss als Kommandant nach Auschwitz zurückversetzt.

Die Kritik lobt „The Zone of Interest“ intuitiv als einen der besten Holocaust-Filme aller Zeiten – vielleicht, weil Glazer die Täterperspektive annimmt, den Alltag hochrangiger Nazis darstellt, wir so das Böse in all seiner fiesen und erbärmlichen Plattheit erkennen und weil das Grauen gerade durch die Aussparung der Sicht auf die Qualen der Opfer umso grausamer wirkt, da wir die Klänge der Qual zwanghaft mit dunklen Bildern füllen.

Blinder Gehorsam, selektive Empathie, keinerlei Gefühl für die eigene Grausamkeit – bereits Höss’ Memoiren zeigten einen fantasielosen, tumben Menschen, der vehement überzeugt war, das Richtige zu tun. In „The Zone of Interest“ ist Höss (Christian Friedel) hühnerbrustig, weichschultrig, linkisch. Hedwig ist ebenfalls ungelenk, mit hart geflochtenem Bauernzopf und kleinem, bitteren Gesicht. Das Paar wirkt unscheinbar, Familie Jedermann eben, wie Glazer es in der „Financial Times“ formulierte, ohne landserhafte Schreierei oder die dem NS sonst immer zugeschriebene Turnfestästhetik, erscheint aber gerade in seiner kalten Gleichgültigkeit unfassbar grausam.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte von Drittanbietern
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.
Anzeige

Für Primo Levi erlaubte die unbegreifliche Bestialität des Holocaust kein abschließendes Urteil, doch das immerwährende Nachdenken darüber, so Levi, könne neue Facetten zutage bringen. Glazers Facette: Die Darstellung des Alltags, in dem das Ehepaar Höss seinen blinden Glauben auslebte, ihre Kombination aus menschlichen im Sinne von banalen Handlungen und unmenschlich grausamem Tun, das zusammen Spazieren, Angeln, Ausreiten, Kuchen verschlingen und von Urlauben träumen, während nebenan menschliche Asche weht.

Alles Taktiken der Verdrängung? Sicherlich. Vielleicht. Manchmal lacht Frau Höss grunzend und unerwartet hervorgestoßen. Angst, Nervosität unter der Oberfläche? Am Ende des Films und nachdem er Hedwig seine Rückkehr ins „Paradies“ Auschwitz verkündet hat, kotzt Höss in das leere Treppenhaus des SS-Hauptamtes. Vielleicht spricht sein existenzieller Ekel, vielleicht auch nur ein verdorbener Magen. Die Auflösung der Ambivalenz des Bösen überlässt Glazer dem Zuschauer.

„The Zone of Interest“ läuft ab dem 29. Februar im Kino.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema