Als wir klein waren, Mitte der Sechziger war das, waren Lokomotivführer noch tolle Hechte. Sie standen vorne im Führerhäuschen bei den dampfenden Loks, die den Rhein hoch stampften. Sie trugen Blaumann, jedenfalls will es uns in der Erinnerung so scheinen.
Sie rauchten Pfeife, konnten Rauchringe in die Luft blasen, einen Looping spucken. Und wenn ihnen eine Eisenstange krumm kam, bogen sie die zu einer Schleife. Wir wussten das alles über Lokomotivführer aus Michael Endes „Jim Knopf“-Büchern und aus den schwarz-weißen Filmen der Augsburger Puppenkiste.
Dass unsere Helden, die wir im Keller durch unsere Märklin-Landschaften dampfen ließen, ein bisschen aussahen wie Claus Weselsky, das konnten wir natürlich noch nicht wissen. Weil der gebürtige Dresdner Lokomotivführer-Führer, den Kinder heute in Ermangelung anderer Lokomotivführer-Leitbilder für den einzig wahren Zugpiloten halten, gerade mal ein Jahr alt war, als Lukas in Stuttgart zur (Bücher-)Welt kam.
Nun könnte man sich zwar durchaus vorstellen, dass Weselsky, der gelernte Schienenfahrzeugschlosser, bei Verhandlungen sperrige Bahnvorstände notfalls mit seiner Linken zu Schleifen biegt, um anschließend triumphierend einen Looping in die Luft zu spucken.
Ansonsten dürfte er sich von Jim Knopfs bestem Freund, dem so friedfertigen wie mutigen Weltbereiser auf Emma, der geradezu menschlichen Dampflok, nicht nur dadurch unterscheiden, dass er ein bisschen größer ist, keinen goldenen Ring im linken Ohrläppchen trägt und keine Augen hat, die so blau sind wie der Himmel über Lummerland bei Schönwetter.
Mit der ganzen schönen Lokomotivführer-Romantik ist es sowieso längst vorbei. Blaumann trägt kein ICE-Pilot mehr, und dass einer heute noch seinen ICE über Nacht in ein Amphibienfahrzeug verwandelt, wie es Lukas vermochte, ist so unwahrscheinlich, wie dass ein Tesla-Besitzer sich an den Elektromotoren seines Stromers versucht.
Dass Lummerland, die Insel mit den zwei Bergen und den fünf Tunneln, die wir als Kinder immer gern mit Deutschland verwechselten, voller Bahngleise ist, lässt sich auch nicht behaupten.
Besonders brisant und aktuell macht das erste Ende-Buch natürlich König Alfons der Viertelvorzwölfte, der nach der Ankunft von Jim, dem schwarzen Baby, in bester AfD-Manier aus Angst vor der Übervölkerung seiner Insel beschließt, dass Lummerland zu voll ist und die Lok Emma abgeschafft werden muss. Damit geht ja alles los.
Es wird am Ende alles gut. Lummerland wird zum Reich, das allen bedürftigen Kindern der Welt Asyl gewähren soll. Und die Wilde 13, diese Piratenbande, die – jedenfalls offensichtlich in den Augen des Claus Weselsky – dem Bahnvorstand nicht unähnlich ist, erweist sich als Versammlung zwar grobianischer, aber doch im Kern herzensguter Kerle. Das macht doch Hoffnung für die kommenden Tarifauseinandersetzungen.