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Kultur Grete Ring

Sie verkörperte die Neue Frau der Weimarer Republik

Grete Ring an der Seite von Alfred Flechtheim, um 1932 Grete Ring an der Seite von Alfred Flechtheim, um 1932
Grete Ring an der Seite von Alfred Flechtheim, um 1932
Quelle: Privatbesitz
Unkonventionell im Auftreten und die Avantgarde im Blick: So wurde Grete Ring die erste moderne Kunsthändlerin in Deutschland. Doch sie wurde vergessen. Der Ort ihrer Wiederentdeckung könnte nun nicht passender sein.

„Nicht alles, was lebt, ist lebendig, nicht alles, was vergangen, ist tot ...“ Das aphoristische Bonmot im Vorwort zur Ausstellungsreihe „Lebendige Deutsche Kunst“, die Alfred Flechtheim 1932/33 im legendären Kunstsalon Paul Cassirer als widerständiges Statement gegen die nationalsozialistische Kulturpolitik veranstaltete, lässt sofort aufhorchen. Es stammt von Cassirers weitgehend vergessener Mitarbeiterin und Geschäftspartnerin Grete Ring.

Sie war eine der ersten deutschen Kunsthistorikerinnen und Kunsthändlerinnen und trat zeitlebens für eine enge Verbindung zwischen alter und zeitgenössischer Kunst, Kunstgeschichte und Kunsthandel ein. In der Berliner Liebermann-Villa am Wannsee ist ihr bemerkenswertes Leben als Kunsthändlerin der Moderne nun in einer kleinen Kabinettausstellung und einem exzellenten Katalog wiederzuentdecken.

1887 in Berlin geboren, wuchs Grete Ring als Einzelkind in gesellschaftlich gehobenen und kunstsinnigen Kreisen auf. Die Unternehmer und Mäzene Oscar Hultschins und Eduard Arnhold gehörten zu den Freunden ihrer Eltern. Ihr Vater hatte es als Jurist bis zum Vizepräsidenten des Kammergerichts gebracht, ihre Mutter war die jüngere Schwester von Martha Liebermann, der Ehefrau des Malers Max Liebermann. Deren einzige Tochter Käthe war also Grete Rings wenig ältere Cousine. Aus den gegenseitigen Fotos von Käthe und Grete mit ihren weißen Sonnenschirmen, hochgeschlossenen Kleidern und langen Röcken strahlt deren privilegierte Jugend im Kaiserreich.

Die Kunsthistorikerin wird Kunsthändlerin

War das externe Abitur, das Grete Ring 1906 an einem Berliner Realgymnasium ablegte, schon ungewöhnlich für eine Frau dieser Zeit, so erst recht ihr Studium, das sie 1912 mit einer Promotion bei dem renommierten Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin abschloss. Ihre Doktorarbeit im Bereich der Niederländischen Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts und erste Publikationen brachten sie schon während des Studiums in Kontakt mit dem Niederländerexperten Max J. Friedländer, dem damaligen Direktor der Berliner Gemäldegalerie, mit dem sie eine lebenslange Freundschaft verband.

Grete Ring (neben Max J. Friedländer) bei einer Auktion, 1931
Grete Ring (neben Max J. Friedländer) bei einer Auktion, 1931
Quelle: Privatbesitz

Nach ersten Museumserfahrungen in der Berliner Nationalgalerie und der Alten Pinakothek in München, entschied sich die junge Frau jedoch für den Kunsthandel. Sehr zum Bedauern ihres Doktorvaters, der ihr schrieb: „Sie beschäftigen sich damit, Bilder Leuten abzukaufen, die sie nicht verkaufen wollen, und sie dann an andere zu verkaufen, die sie nicht haben wollen. Das haben sie bei mir nicht gelernt.“

Dennoch begann Grete Ring, nach dem Ersten Weltkrieg durch Friedländers Vermittlung für die führende Kunsthandlung von Paul Cassirer – mit Kunstsalon, Auktionen und Verlag – zu arbeiten. Zusammen mit Walter Feilchenfeldt wurde Ring schon bald Mitinhaberin der Firma. Vom französischen Impressionismus bis zur modernen zeitgenössischen Kunst reichte das Avantgardeprogramm, aus dem sich ein breites Netzwerk zu Künstlern, Sammlern und Kollegen ergab. Nach dem tragischen Suizid von Cassirer, der sich 1926 im Büro seines Rechtsanwalts erschoss, nachdem seine Frau, die Schauspielerin Tilla Durieux, kurz zuvor die Scheidung eingereicht hatte, führten Ring und Feilchenfeldt das Unternehmen erfolgreich weiter, bis sie der Nationalsozialismus in die Emigration zwang.

Grete Ring entlarvte falsche van Goghs

Bedeutende Ausstellungen und Auktionen der Sammlungen Huldschinsky, Spirido und Figor waren gesellschaftliche Ereignisse, wie sie Max Slevogt auf einem Gemälde von 1928 festgehalten hat. Es zeigt inmitten des voll besetzen Festsaals des Hotels Esplanade mit Kronleuchtern und rotem Samtvorhang Ring und Feilchenfeldt zwar nur skizzenhaft, aber direkt neben dem Auktionator im Zentrum des Geschehens.

Ihre unbestechliche Kennerschaft machte Furore, als Ring bei der großen Vincent-van-Gogh-Ausstellung 1928 die von der Familie Wacker angebotenen Fälschungen als solche entlarvte. Der Skandal mündete 1932 im Prozess, bei dem sie als Zeugin auftrat. Zwei der originalen Fälschungen sind in der Ausstellung zu sehen, die tatsächlich äußerst müde und blass erscheinen.

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Unabhängig und unternehmerisch wie sie war, repräsentierte Grete Ring den Typus der „Neuen Frau“ der Weimarer Republik, die sich „für etwas derart Konventionelles wie eine Ehe nicht im mindesten eignete“, wie die mit ihr befreundete Fotografin Marianne Breslauer schrieb, die später Walter Feilchenfeldt heiratete. Unkonventionell und ungebunden reiste die selbsternannte „Hexe“ per Flugzeug auf ihrem „fliegenden Hexenbesen“ durch ganz Europa und ließ sich 1927 von Wilhelm Büning in Sacrow am Stadtrand Berlins ein kleines „Hexenhaus“ errichten, wo sie mit Pudel „Strohmian“ die Wochenenden verbringen konnte.

Grete Ring, hier mit ihrem Pudel im britischen Exil, ca. 1942
„Von allen bewundert, und auch ein wenig gefürchtet“: Grete Ring, hier mit ihrem Pudel im britischen Exil, ca. 1942
Quelle: Privatbesitz
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Der eingeschossige Klinkerbungalow mit seinen bodentiefen Fenstertüren und der von einer weißen Reling begrenzten Dachterrasse war nur sparsam mit den neuesten Möbeln von Mies van der Rohe eingerichtet, wie Fotos von Marianne Breslauer und Marta Huth zeigen. Noch heute strahlt das renovierte Haus ein Flair von minimalistischer Bauhausmoderne und unbeschwerter Sommerfrische aus.

Das Vermächtnis von Paul Cassirer

Wie für so viele markierte auch für Grete Ring die Machtübernahme der Nationalsozialisten einen tiefen Einschnitt. Während Walter Feilchenfeldt bereits 1933 nach Amsterdam ging, um von dort die Geschäfte der Firma Cassirer weiterzutreiben, verblieb Ring zunächst noch zur Abwicklung in Berlin, bis auch sie 1938 nach London emigrierte. Trotz mangelnder Sprachkenntnisse konnte sie sich schon nach wenigen Monaten mit der Dependance Paul Cassirer Ltd. eine neue Existenz mit neuen Geschäftsräumen aufbauen. Noch kurz vor Ausbruch des Krieges eröffnete sie im Sommer 1939 mit einer Ausstellung von Cézanne-Aquarellen, die für große Aufmerksamkeit sowohl bei den Emigranten als auch beim britischen Fachpublikum sorgte.

Es war ihr sogar gelungen, ihre eigene Sammlung französischer und deutscher Zeichnungen des 19. Jahrhunderts mitzunehmen, da sich die Papierarbeiten relativ leicht transportieren ließen. Unter den ausgestellten Blättern großer Namen wie Ingres, Millet, Blechen, Menzel und Liebermann ragt die braune Sepiazeichnung von Caspar David Friedrich heraus, die eine flache Landschaft mit Obelisk zeigt. Das gesamte Konvolut gelangte posthum als Schenkung ihrer Erben, der Familie Feilchenfeldt, an das Ashmolean Museum in Oxford, dem Grete Ring schon zuvor drei Blätter ihres Onkels Max Liebermann übereignet hatte – in Gedenken an ihre Tante Martha, die ihrer Deportation 1943 nur durch Suizid zuvorgekommen war.

Oskar Kokoschka, „Bildnis Grete Ring“, ca. 1923
Oskar Kokoschka, „Bildnis Grete Ring“, ca. 1923
Quelle: Privatbesitz

Obwohl der Krieg mit den Bombardierungen Londons ihre Arbeit erheblich erschwerte und sie zu mehrfachen Umzügen zwang, setzte sie ihre kunsthistorischen Forschungen, Korrespondenzen und Publikationen fort. Sie veröffentlichte nicht nur Beiträge in renommierten Fachzeitschriften, sondern unterstützte auch noch ihren alten Freund Max Friedländer bei der englischen Übersetzung seines Buchs „Von Kunst und Kennerschaft“, das zu einem Klassiker der Kunstliteratur wurde. Zum engsten Freundeskreis gehörte die ebenfalls emigrierte Künstlerin Katerina Wilczynski, von der gezeichnete Gruß- und Umzugskarten für die Paul Cassirer Ltd. erhalten sind, sowie eine Porträtzeichnung, die Ring nach dem Krieg 1949 nachdenklich mit aufgestütztem Kopf im Sessel sitzend zeigt, als würde sie ihr Leben Revue passieren lassen.

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Drei Jahre bevor Grete Ring 1952 an Leukämie starb, konnte sie trotz aller Widrigkeiten nicht nur auf eine beeindruckende Karriere, sondern auch auf eine Vielzahl und Vielfalt von Publikationen zurückblicken, die in ihrem Standardwerk über die französische Malerei des 15. Jahrhunderts auf Englisch und Französisch gipfelte. Das Credo ihrer Lebens- und Kunstauffassung, das sie 1931 in ihrer nüchtern-brillanten Kunstmarktanalyse formulierte, lag in der „gleichmäßigen Anerkennung des künstlerischen Schaffens aller Zeiten, selbst aller Völker“. Ihr Credo überzeugt noch heute.

„Grete Ring. Kunsthändlerin der Moderne“, Liebermann-Villa am Wannsee, bis 22. Januar; Katalog, Sandstein, 26 €

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