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  3. Ende des Frankfurter „Tatort“: Vorletzter Fall – Wenn die Mutter mit dem Sohne

Kultur Frankfurter „Tatort“

Wenn die Mutter mit dem Sohne

Redakteur Feuilleton
Anette Baer (Jeanette Hain) und ihr Sohn Lucas (Béla Gábor Lenz) Anette Baer (Jeanette Hain) und ihr Sohn Lucas (Béla Gábor Lenz)
Anette Baer (Jeanette Hain) und ihr Sohn Lucas (Béla Gábor Lenz)
Quelle: HR/Pressestelle
Gerade wurde das Ende des Frankfurter „Tatort“-Teams bekannt gegeben. Wolfram Koch und Margarita Broich gehen 2024 in Rente. „Kontrollverlust“ heißt ihr vorletzter Fall. Warum man ihretwegen keine Petition unterschreiben sollte.

Fangen wir mal mit der – versprochen – letzten These zu Weihnachten an. Früher, das wissen wir dank Loriot, war ja mehr Lametta. Das könnte, jetzt kommt die These, daran gelegen haben, dass die Bäume damals einfach nicht so makellos waren und viel spilleriger und viel schneller nadelten als die Nordmann-Tannen, die heute in den Häusern und Wohnungen stehen. Und weil das so war, musste man einfach mit mehr Silberfäden arbeiten, um die Mängel im Geäst zu verdecken.

Und jetzt müssen wir ganz schnell zum neuen Frankfurter „Tatort“ kommen. Der erzählt eigentlich eine ganz makellose, gewissermaßen eine Nordmann-Geschichte. Auf die haben allerdings Elke Hauck und Sven S. Poser eine derartige Menge Subplot-Lametta geworfen, dass man irgendwann den Verdacht hat, die Nordmann-Geschichte könnte doch spilleriger sein, als gedacht.

Oder den, dass sich Hauck und Poser vielleicht gar nicht so sehr für das geradezu mythische, tragische Paar interessieren, um das sich eigentlich alles dreht. Und das ohne das ganze Blingbling an Nebengeschichten einem den Schlaf zwischen den Jahren noch mehr gestohlen hätten, als sie es ohnehin tun.

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Das fatale Paar sind Lucas und Annette. Beide Künstler. Er ist ihr Sohn. Sie ist eine Mutter wie es sich kein antiker Tragöde feiner hätte ausdenken können. Lucas ist ein Wunschkind, ihre Kreation. Annette wollte ihn unbedingt. Sie ließ sich Samen spenden.

Ansonsten brauchte sie keinen Vater. Der hätte nur gestört. Dabei, einen Menschen zu formen, wie sie sonst nur ihre Skulpturen aus Gips formt. Annette ist Prometheus. Dass Lucas irgendwann alle Gipshaftigkeit ablegt und wie ein Golem losgeht in eine Welt, in der sie ihn nicht schützen kann, nicht vor der Welt und nicht vor sich selbst, kam in ihrem Plan nicht vor.

Langweilig würd’s nicht werden

Nichts erzählt von der Gefangenschaft, in der Annette ihr Kind halten möchte, schöner, als es der herrlich lange ungeschnittene Anfangsschwenk durch die Wohnung tut. Eine wohlige und gruselige Höhle des Kreativen. Man würde sie gern gar nicht mehr verlassen. Einfach um zuschauen zu können, was sich Annette und Lucas da im Dämmerlicht antun. Das könnte, hätten sich Hauck und Poser nur auf ihr diabolisches Duo konzentriert, mühelos anderthalb Stunden füllen, würde einige kahle Stellen in der Psychologie von „Kontrollverlust“ füllen.

Und langweilig würde es nie werden. Weil man sich, das geht ganz schnell, dauert kaum mehr als die ersten fünf Minuten der Exposition, irgendwann kaum etwas Faszinierenderes vorstellen kann, als ohne Ablenkung durch die notwendige (vorletzte) Ermittlungsarbeit der Kommissare Brix und Janneke mit Jeanette Hain und Béla Gábor Lenz allein zu bleiben. Für die soll es Fernsehpreise regnen. Die sind geradezu gemeingefährlich. Zueinander und zu uns, die wir abhängig werden von ihnen.

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Möglicherweise war das auch der Plan von Hauck und Poser. Und dann kam – so stellt es sich der einigermaßen durch Erzählungen diverser Drehbuchautoren geprägte Mensch vor – die Redaktion und forderte die Einhaltung von Genreregeln. „Kontrollverlust“ sollte ja kein Mittwochabendfernsehspiel, sondern ein Sonntagabendkrimi werden. Und deswegen hängt da so viel Lametta überm Baum.

Und deswegen liegt da schnell die Leiche der Gamerin Cara in ihrem Blut, das sich dann auch auf dem Shirt von Lucas und an seinen Händen findet. Cara hat sich als feministische Spielerfinderin und -Kommentatorin genauso wenig nur Freunde gemacht, wie dadurch, dass sie aus der ostdeutschen Provinz ins Herz des westdeutschen Kapitalismus zog.

Guter Rutsch ins „Tatort“-Jahr 2024

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Brix und Janneke ermitteln los, ziehen im Schatten der Geschichte von Lucas und Annette von Subplot zu Subplot. Das machen sie sehr solide, man bedauert sie ein bisschen, weil man nach ungefähr einer halben Stunde weiß, was geschah. Vielleicht deswegen klingt, was Margarita Broichs Janneke aufsagt, deswegen ungefähr so lebendig wie die Gans am Weihnachtsmittag im Ofen aussah.

„Kontrollverlust“ liefert jedenfalls kein besonders schillerndes Argument, warum man eine Unterstützer-Gruppe zur Fortsetzung ihrer Tätigkeit am Main gründen sollte. Früher war mehr Furor, mehr Mut zur Seltsamkeit in Frankfurt. Und damit Schluss mit unserm Lametta-Lamento. Wir wünschen einen guten Rutsch ins neue Sonntagabendkrimi-Jahr.

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