Um nach Rheinsberg im Landkreis Ostprignitz-Ruppin zu gelangen, würde ein Berliner Liebespaar heute wohl vom Hauptbahnhof aus die S-Bahn nach Charlottenburg nehmen, dann in den Regionalexpress Richtung Wittenberge steigen und am Rheinsberger Tor in Neuruppin auf den Bus wechseln.
Als sich Kurt Tucholsky „die Claire“ und ihr „Wölfchen“ auf einer Landpartie ausdachte – vielleicht war ein Ausflug mit der späteren Ehefrau Else Weil Vorbild –, stand freilich an Stelle des Hauptbahnhofs noch der Lehrter Bahnhof. Wo seine Turteltauben losgefahren sind, verrät „Tucho“ aber eh nicht. Nur, dass das „Abenteuer“, erst zwischen D-Zug und Kleinbahn in Löwenberg seinen Anfang nahm, tief im Brandenburgischen.
Auf Abenteuerliches lässt schon der verlorene Reiseführer schließen – prompt brennt es in der terra incognita zwischen Löwenberger und Ruppiner Land. „Wölfchen“ hilft heldenhaft zu löschen. Aber wird’s noch abenteuerlicher in der Erzählung von den zwei unverheirateten Städtern, die Rheinsberg zum Liebesnest wählen, während Claires Familie sie ganz woanders wähnt? Küsse gibt es viele an diesem Wochenende, bissig sind manche Kommentare, seine zumindest („Verwirre die Begriffe nicht. Amor patriae ist nicht gleichzusetzen mit der ‚amor‘ als solcher.“), ihr Geplapper oft vorgetragen in piepsiger Babysprache („Nie nich erlaubsus mir wen. Ich möcht doch sooo gern ...“). Das Geschlechtliche aber bleibt angedeutet – dann schweigt die Claire nämlich.
Expertise zukaufen
Die zwei halten es mit einer Maxime, die Tucholsky später so formuliert: „Lass das Steuer los. Trudele durch die Welt“, im Ruderboot auf dem See, beim Blick durchs Fenster auf eine Provinzbühne oder, Einfall der Moderne ins Ruppiner Land!, vor dem Kinematographen.
Zweifelhaft, ob sich ein Wolfgang heute Wölfchen nennen ließe. Oder „mein Affgen“. Würden eine heutige Claire und ein heutiger Wolfgang aber ihr Wochenende in Rheinsberg verbringen, würden sie wohl wie ihre seit 1912 unsterblichen Vorgänger Schloss Rheinsberg am Ufer des Grienericksees, Perle des Friederizianischen Barock, besuchen. Mit im Gepäck wäre „Rheinsberg“, vielleicht mit den Illustrationen Kurt Szafranskis, die es zum „Bilderbuch für Verliebte“ machten. Zwei Stadtmenschen auf Schlossbesuch würden auch das Tucholsky-Museum nicht links liegen lassen, das hier seit 1993 zu finden ist. Und natürlich nur da ist, wegen Tuchos Erfolgsnovelle. Das Museum hat der Deutsche Kulturrat jetzt auf seine „Rote Liste“ gesetzt, weil man ab 2024 die Stelle des Museumsdirektors Peter Böthig, der in Pension geht, nicht wiederbesetzen will. Die Touristinformation könne übernehmen, Expertise, falls wieder Geld im Stadtsäckel wäre, zugekauft werden. Deutsche Verhältnisse 2023.
Doch jetzt tut sich was: Am 30. November will der Landrat dem Kreistag vorschlagen, die Trägerschaft für das Museum zu übernehmen, dem müsste die Rheinsberger Stadtverordnetenversammlung im Dezember noch zustimmen. Süh mir mal an!