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Literatur Halloween verstehen

„Sag mir nur, dass ich ewig leben werde“

Feuilletonredakteur
All the fun of the fair All the fun of the fair
Mit jeder Runde ein Jahr älter: Karussell des Lebens
Quelle: Getty Images
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Halloween-Hasser schimpfen auf Zucker, Amerika, den Kapitalismus, das neue Heidentum und erpresserische Gören an der Haustür. Wer die Geisternacht verstehen will hingegen, sollte dem ewig unterschätzten Ray Bradbury zuhören. Ohne ihn gäbe es weder Stephen King noch „Stranger Things“.

Was trennt die Kindheit vom Erwachsensein? Vielleicht am ehesten das Verhältnis zur Zeit. Ist man ein Kind, dann steht sie; ist man erwachsen, vergeht sie. Und auf dem Weg vom einen zum andern muss es von Poesie wegen Ende Oktober sein. „Wenn um den Zwanzigsten ein rauchiger Duft in der Luft liegt und der Himmel in der Dämmerung organgefarben schimmert“, so steht es in Ray Bradburys fantastischem Roman „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“, „dann glaubt man, die Geisternacht vor Allerheiligen würde nie hereinbrechen.“

Doch die Geisternacht kommt so gewiss wie der Winter, dessen böser Clown sie ist. Sie kommt so gewiss wie der „uralte“, „totenschwarze“ Zug einen gruseligen Jahrmarkt in ein mittelwestliches Präriestädtchen bringt, das Ray Bradbury (1920 bis 2012) seinem Geburtsort Waukegan in Illinois nachempfunden hat.

Ray Bradbury 1970 daheim in Los Angeles
Ray Bradbury 1970 daheim in Los Angeles
Quelle: Getty Images

Tatsächlich dürfte „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“ (1962) der prägendste Halloween-Roman von allen sein; ohne seine eigentümliche Mischung aus Melancholie und Karneval gäbe es wohl weder die ungleich weiter verbreitete Ästhetik Stephen Kings noch Straßenfegerserien wie „Stranger Things“. Doch manchmal, etwa wenn der geheimnisvolle Blitzableiterverkäufer in seinem „sturmfarbenen Mantel“ erscheint, wenn die schattenhaften Gondeln des Riesenrads die Sterne verdunkeln oder der grausige Zug schwarzes Konfetti verstreut, liest sich Bradbury auch wie ein Rainer Maria Rilke aus dem Autokino: „Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, / und auf den Fluren lass die Winde los.“

Die Kunst der Geisternacht

Und genauso ist es auch irgendwann zu Beginn des amerikanischen Jahrhunderts, irgendwo in der Prärie: Jim Nightshade und Will Halloway, Bradburys jugendliche Helden, trudeln wie Herbstlaub durch die Geschichte, während Charles Halloway, Wills vom Alter schon gebeugter Vater, weiß, zu welchen geheimnisvollen Orten es sie weht – solchen, „die nie wieder so geheimnisvoll sein würden“. Für Will und Jim ist das nächtliche Karussell, das der Zug ins Städtchen gebracht hat, noch ein bunt beleuchtetes, bimmelndes Vergnügen, der alte Halloway aber hat bereits begriffen, dass es das Karussell des Lebens ist, das einen mit jeder Runde ein Jahr älter macht.

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Im Mondlicht des Romans scheinen Einfälle wie dieser gleich im bleichen Dutzend auf – da fliegt die Staubhexe mit den zugenähten Augen in ihrem atmenden Ballon, dort winden sich die eintätowierten Schlangen auf den Armen des Jahrmarktbetreibers. Zu sich selbst aber kommt die Geschichte in einem Vorgarten, wie es sich für eine letzte duftende Herbstnacht gehört. Vater und Sohn Halloway, die lange ein saures Verhältnis hatten, finden hier endlich zu einem süßen Miteinander. Wie er ihn glücklich machen könne, will der Junge wissen. „Sag mir nur, dass ich ewig lebe, dann bin ich schon zufrieden“, antwortet der Alte. Für so viel Ehrlichkeit braucht es die Kunst der Geisternacht.

Die Zitate aus Ray Bradburys Roman, der im Original nach einem „Macbeth“-Zitat „Something Wicked This Way Comes“ heißt, stammen aus der schönen Übersetzung von Norbert Wölfl. Da diese Übersetzung wiederum aus dem 1981 stammt, fällt das Wort „Halloween“ im deutschen Text nicht ein einziges Mal. So ändern sich die Zeiten.

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