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Kultur So war der Münchner „Tatort“

Wo die Transfrau Königin wird

Redakteur Feuilleton
Josef Gehrling (Wolfgang Fierek) mit der Altöttinger Mehlkönigin (Corinna Blädel, l.), der Tirschenreuther Teichnixe (Franziska Wagner, M.) und der Gunzenhausener Krautkönigin (Corinna Grimmeißen) Josef Gehrling (Wolfgang Fierek) mit der Altöttinger Mehlkönigin (Corinna Blädel, l.), der Tirschenreuther Teichnixe (Franziska Wagner, M.) und der Gunzenhausener Krautkönigin (Corinna Grimmeißen)
Trügerische Idylle: Treffen der Agrarregentinnen
Quelle: BR/Odeon Fiction GmbH/Luis Zeno
Ein Fall von Kommissar-Landverschickung: Die „Tatort“-Ermittler Batic und Leitmayr bekommen es in der tiefsten bajuwarischen Provinz mit Kraut- und Zwiebel- und Kartoffelköniginnen zu tun, schöner Tradition und giftiger Männlichkeit. Das ist lustig und garstig. Eine veritable Revolution findet auch statt.

Man kann am Sonntagabend Kommissare zum Austesten ihrer Fremdelgrenzen und Schärfung ihrer Wahrnehmung natürlich zu den Sternen schicken. Da fliegen sie dann selig lächelnd – wie vergangenen Sonntag Felix Murot auf der Suche nach dem Glück – ein paar Minuten herum, während „An der schönen blauen Donau“ durchs All walzert und ein knochenförmiges Uralthandy angesegelt kommt, das eine telefonische Verbindung zu Gott herstellt. Kann man machen.

Oder man schickt sie – wie um die über Murots kosmisch-philosophische „Tatort“-Entgrenzung immer noch hochkochende Sonntagabendkrimikundenseele zu beruhigen – als ermittelnde Ethnologen oder ethnologische Ermittler in die tiefste bayerische Provinz. Batic und Leitmayr, die Weißkopfkommissare aus der bajuwarischen Hauptstadt, müssen in „Königinnen“, ihrem 93. gemeinsamen Fall, nach Gmeining. Viel Fremder wäre für die Münchner auch das All nicht.

Blau-weiß der Himmel, grundgrün die Wiesen, Kühe muhen, Schafe blöken, Bier fließt. Menschen werden mit Traktoren auf Anhängern durchs Dorf gefahren. Die Dirndl-Dichte wird nur von der beim Oktoberfest übertroffen.

Sie sind – das Ende der 378 Jahre währenden Wittelsbacher-Monarchie vor 105 Jahren ist eine immer schwärende Wunde im Land der Bayern – alle da für den Königinnentag. Die Altöttinger Mehlkönigin, die Gunzenhausener Krautkönigin und fast fünfzig andere, voll stolze, voll demokratisch gewählte Heimat- und Produktrepräsentantinnen (Kartoffel, Hopfen, Spargel, Zwiebel) geben sich in Gmeining die Ehre, richten sich ihr Krönchen und bewerben sich mit schwindelerregend präsentiertem Dekolleté darum, im alljährlichen Kalender des „Bavaria-Bundes“ vertreten zu sein.

Gmeining gibt’s natürlich so wenig wie den Königinnentag. Aber beide sind eine ziemlich prima Idee. Robert Löhr, von dem das „Königinnen“-Buch stammt, dient das dramaturgische Komödienstadl-Kostüm seiner Geschichte als schicke Verpackung einer Verhandlung über den gegenwärtigen Stand einiger gesellschaftlicher Dinge, da wo kaum ein Großstädter hinschaut, wenn nicht gerade Wahl ist, Hubert Aiwanger sich die Demokratie zurückholen will. Oder ein wirklicher Mord geschieht.

Luise (Phenix Kühnert) ist die erste Transfrau unter den Königinnen.Josef Gehrling (Wolfgang Fierek) wollte das verhindern
Luise (Phenix Kühnert) ist die erste Transfrau unter den Königinnen. Josef Gehrling (Wolfgang Fierek) wollte das verhindern
Quelle: BR/Odeon Fiction GmbH/Luis Zeno Kuhn

Das wiederum geschieht in „Königinnentag“ erst mal nicht. Was den Pathologen in München explodieren lässt. Die Leiche, wegen der Leitmayr und Batic nach Gmeining müssen, ist noch gar nicht tot. Josef Gehrling liegt im Koma, der Pathologe wird immer nervöser, will ihn endlich aufschneiden.

Einen anaphylaktischen Schock hatte der Gehrling und dann hat ihm wer ein Bolzenschussgerät an den Kopf gesetzt und abgedrückt. Man hat eine der Königinnen fluchtartig seine Hotelzimmer verlassen sehen, wobei sie in bester Aschenputtelmanier einen Schuh verlor.

Das mit dem Bolzenschussgerät kann man fast verstehen. Der Gehrling war ein Hund (Wolfgang Fierek gibt den Hund geradezu beängstigend gut). Chef vom „Bavaria Bund“, eine Art Bauern-Weinstein, ein misogynes, korruptes Fossil der vermutlich immer noch höchst lebendigen bajuwarischen Spielart giftender Männlichkeit.

Immer wieder tauchen wir ein in des Gehrlings Kopf. Rückblicke auf Szenen des Missbrauchs und des Übergriffs auf Spargel und Kartoffel und Zwiebel, wie Gehrling die Königinnen herablassend ruft, blendet Regisseur Rudi Gaul regelmäßig in die ansonsten ziemlich konventionelle Krimihandlung.

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Leitmayr und Batic, die weißen Männer aus der überall im Land verhassten Hauptstadt, werden von Löhr an die Grenzen nicht ihrer Aufklärungsfähigkeit, aber an die ihrer Aufgeklärtheit gebracht.

Batic landet irgendwann im Bademantel im Zimmer jener Zwiebelkönigin, die den Stadteiern bei der Orientierung im Gewirr der Gepflogenheiten, Empfindlichkeiten und Dialekte hilft, weil sie im Nebenberuf Polizeischülerin ist.

Leitmayr redet sich gegenüber der Sylvie (Veronika Ferres) um Kopf und Kragen. Die Sylvie organisiert das Regentenevent, und sie weiß, was die Gehrlings so tun, und lässt sie es tun. Weil es schon immer so war, weil es ja, sagt sie, zu dem, was der Gehrling so trieb, immer zwei braucht, weil sie, wenn die woken Moralisten erst mal die Macht über die Königinnen übernommen haben, ihren Laden dichtmachen kann, sagt sie, weil der Kürbis und die Kartoffel dann nur noch im Hosenanzug über den Laufsteg latschen könnten.

Die Moderne ist derweil natürlich längst in Gmeining angekommen und reibt sich aufs blutigste und lustigste an der Tradition. Die Regentinnen beginnen, die Macht der Gehrlings zu brechen. Und die erste Transfrau hat es zu einer Krone gebracht.

Was ihr geschah, wie der Gehrling unter Aufbietung aller Anti-Trans-Klischees verhindern wollte, dass sie auch nur in die Nähe eines Glitzerdings im Haupthaar kam, ist eine der berührendsten Episoden in diesem Stationendrama. Und zeigt gleichzeitig, dass sich der „Tatort“ nicht aufplustern sollte gegenüber dem gemeinen Gmeininger, was Aufgeklärtheit, Geschlechtergerechtigkeit angeht. Phenix Kühnert ist – anno 2023 – die erste Transperson, die in einem Münchner „Tatort“ mitspielen darf.

Während der Gehrling, vom sabbernden Pathologen beobachtet, in die ewigen Männergründe verdämmert, fältelt Löhr, von ziemlich feinen, ziemlich derben Scherzen auf einem geradezu übermünsteraner Komödienniveau gehalten, die Abhängigkeiten, Verkommenheiten, Altertümlichkeiten solcher Veranstaltungen auf, taucht in die Träume der stolzen und verletzten und wehrhaften Landfrauen und in den Mist des bajuwarischen Landlebens.

Man kann sich mindestens drei Jahrgänge „Rosenheim Cops“ sparen und zwei Tage auf der Wiesn – hier lernt man mehr über Bayern.

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