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Kultur So war der Zürcher „Tatort“

Ein Krieg endet nicht, wenn er zu Ende ist

Redakteur Feuilleton
Kommissarin Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und ihre einzige Zeugin (Maura Landert) Kommissarin Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und ihre einzige Zeugin (Maura Landert)
Kommissarin Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und ihre einzige Zeugin (Maura Landert)
Quelle: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek
Im neuen Zürcher „Tatort“ fliegen Drohnen, Schüsse fallen, Großkapitalisten sind schmierig und dreißig Jahre alte Schulden eines Massakers werden eingetrieben. Kann gar nicht gut gehen? Tut es aber. Durch einen simplen Trick.

Wenn man sich mal verrannt hat, in den Bergen zum Beispiel, wenn man nicht mehr weiterweiß, hilft es manchmal, ein paar Schritte zurückzugehen und einfach den nächstgelegenen Weg zu nehmen, den schon viele gegangen sind. Mit dem Geschichtenerzählen verhält es sich eigentlich ganz ähnlich. Der ehemals in Luzern ansässige Schweizer „Tatort“, vor gut drei Jahren zumindest mit dem Anspruch neu gestartet, nicht länger mehr das im Durchschnitt schwächste Sonntagabendkrimifranchise zu sein, ist ein gutes Beispiel.

Angetreten ist er nun endlich in Zürich, in der Metropole, mit einem Frauenteam, das zumindest auf dem Papier wunderbar biestig gegeneinander aufgestellt war, mit Kommissarin Ott und Kommissarin Grandjean, der Aufsässigen und der Stillen, dem Geldadelsspross und der Menschenrechtsermittlerin, der Dunklen und der Blonden. Zwei Frauen, die sich auch nach drei Jahren noch mit Nachnamen anreden, wie Verkäuferinnen an der Supermarktkasse (im Gegensatz zu denen duzen sie einander immerhin inzwischen) und, was die Charakterentwicklung angeht, immer noch ziemlich auf der Stelle treten.

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Was ihnen zu lösen aufgegeben wurde, machte ihnen aber auch das Zusammenleben und -wachsen schwer. Man vermisst Luzern, das graue und meistens grauslige, nicht sehr. Ganz glücklich wurde man in Zürich aber auch nicht.

Die irrten da, was das Geschichtenerzählen angeht, ziemlich herum. Da wurde – filmisch wenig aufregend und ästhetisch häufig angetan mit einem geradezu luzerngrauen Mäntelchen – mit ziemlich schweren Geschützen hantiert, mit Großkapitalisten und Großverbrechen, gern so international, wie die Stadt an der Goldküste halt so ist. Tot am Boden lag am Ende nicht nur das durchweg handelsübliche Mordopfer, sondern auch eine ziemlich kleine Geschichte.

Dass „Blinder Fleck“, der sechste Fall für Grandjean und Ott, thematisch nun mit Handfeuerwaffen statt mit den bisherig üblichen Bazookas operieren würde, lässt sich nicht unbedingt behaupten. Dass die Geschichte, die keine kleine ist, am Ende in langweilige Fetzen zerfasert herumliegt, wie das in Zürich gern passiert, allerdings auch nicht.

Drei Tote im Oberland

Und jetzt müssen wir leider kurz auf das Heilmittel gegen das Verrennen, das Nichtmehrweiterwissen zurückkommen. „Blinder Fleck“ – geschrieben von Claudia Pütz und Karin Heberlein, in Szene gesetzt von „Tatort“-Routinier Tobias Ineichen – nimmt einen sattsam bekannten Plotpfad, um dem Dilemma des Zürcher-Erzählens zu entrinnen. Einen, mit dem man eigentlich immer sicher ans Ziel kommt. Nennen wir ihn den „Der einzige Zeuge“-Weg.

Der Fall ist folgender: Eine Familie fährt im schönen Zürcher Oberland im Wald herum. Der Vater muss noch was erledigen. Dann ist es mit der Idylle vorbei und er auch schon tot. Und die Mutter auch. Und ein Radfahrer. Erschossen. Sieht nach Hinrichtung aus. Ella ist das Mädchen, das überlebt. Unterm Rock der Mutter versteckt.

Traumatisiert. Sprachlos. Sie tut, was alle Kinder in derlei Filmen tut, sie malt. Und sie hat, wie es alle Kinder in derlei Filmen haben, Angst vor ganz komischen Dingen. Bei Ella ist es ein Kanarienvogel. Der war mit im Auto. Der Vogel, sagt Ella, als sie wieder was sagen kann, der schießt.

Jetzt müssen wir auf die schweren Geschütze kommen, mit denen auch „Blinder Fleck“ operiert und auf deren Spur Grandjean und Ott erst allmählich kommen. Da es ohne schmierigen Kapitalisten nicht geht in Zürich, geht in „Blinder Fleck“ ein schmieriger Investor um, Joel Müller heißt das antikapitalistische Überhangmandat aus der Klamottenkiste klischierter „Tatort“-Figuren, und er sieht auch genauso aus.

Kommissarin Grandjean am Tatort im Zürcher Oberland
Kommissarin Grandjean am Tatort im Zürcher Oberland
Quelle: ARD Degeto/ SRF/S. Hlavacek
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Müller wollte Protected View, die Firma von Marco Tomic und Julie Perrier, an der er beteiligt war, möglichst meistbietend verkaufen. Marco und Julie sind die Eltern von Ella. Protected View ist ein Startup, dessen letztes und heißestes Projekt eine Software namens Blind Spot, war, mit dem es Gesichtserkennungsprogrammen weitgehend unmöglich gemacht wird, Gesichter zu erkennen.

Verkaufen wollte Müller Protected View ausgerechnet an Security Rumpf, die wiederum schweres Geld macht mit der Produktion von Drohnen zur Massenüberwachung. Ein Schelm, wer nicht schon ahnt, wozu der Verkauf gut sein soll. Drohnen liefern nicht nur einen Strang der Geschichte, sie liefern auch die Bilder. Ständig sind sie im Anflug, sie surren durch den Wald, durch die Stadt, durch die Flure der Firmen. Auf die Menschen zu, um sie herum. Sie werden ins Visier genommen.

Geradezu als würden sie mit ihrem eigenen Erzählklischee spielen, setzen Grandjean und Ott erst mal alles aufs Kapital (der dritte Tote an der Hochwacht war der Bankberater von Tomic und Perrier). Weil wir allerdings mit ganz anderen Drohnen unterwegs sind durch den „Blinden Fleck“, wissen wir, dass Tomic nicht zufällig Tomic heißt, dass da eine obskure Figur umgeht, die Schweizer ist, aber früher, dreißig Jahre um genau zu sein, als Söldner im Bosnienkrieg ein ziemlich schlimmer Finger war. Und so verknäulen sich Großverbrechen und Großkapital auch dieses Mal in Zürich.

Weil das alles aber besser aussieht, stringent, manchmal geradezu aufregend gefilmt ist, sinkt man nicht vor der Zeit in einen luzerngrauen Schlaf. Auch weil auf einer ganz entspannten, menschlichen Ebene die gern auf Kratzkatze gebürstete Ott und die immer ein wenig arrogante Grandjean sich ohne die bisherige Künstlichkeit näher kommen.

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Weil sie unter ihrem immer noch papieren raschelnden Charakterprofil gegenseitig ihre Gefühle entdecken: Grandjean, die familienlose, für die kleine Ella, die sich ihr gegenüber öffnet wie gegenüber keinem sonst. Ott für einen Drohnen fliegenden Mann im Wald, von dem sie zumindest ahnt, dass er seine Flugobjekte nicht nur zur Beobachtung von Rotmilanen in der Hochwacht herumsurren lässt.

So greifen das Sehen und das Verhindern von Erkennen ineinander, alte und neue Schuld. Und die Frage, ob ein Krieg jemals zu Ende ist, wenn er zu Ende ist.

So könnte es weiter gehen (sieht man mal von der leider nicht zu verhindernden Synchronisation ab, die als V-Effekt der besonderen Art noch den realistischsten Fall zu einer surrealen Veranstaltung verkommen lässt). Man hat am Ende nichts gegen eine zehnteilige Zürcher „Tatort“-Reihe von Variationen über bekannte Erzählmotive. Vielleicht sollte man Ott und Grandjean als Nächstes in einem Hochgebirgsdorf einschneien lassen. Eine Art Helvetic-Western, „Das fremde Tal“ reloaded sozusagen.

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