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Literatur Peter Hacks in Groß Machnow

Der Oscar Wilde der DDR

Freier Mitarbeiter im Feuilleton
My home is my castle: Peter Hacks (1928-2003) My home is my castle: Peter Hacks (1928-2003)
My home is my castle: Peter Hacks (1928-2003)
Quelle: Eulenspiegel Verlag/LMN
Auch als Sozialist konnte man wie ein Dandy leben. Das beweist der Landsitz des Dramatikers Peter Hacks, dem sogar der westdeutsche „Playboy“ Respekt zollte. Ein Dichterhaus als Gegenthese zur DDR? Hier gehts zur Besichtigung.

Auf einer Schwarzweißfotografie sieht man Peter Hacks, die Zigarettenspitze hängt ihm lässig im Mundwinkel, während er nach einem Zündholz greift. Der Blick ist zur Kamera nach vorn gerichtet, obwohl ihm in den 1980er Jahren – als das Foto aufgenommen wird – die geschichtsphilosophische Heiterkeit abhandengekommen ist, die ihn knapp 30 Jahre zuvor aus München in die DDR hat auswandern lassen. Inzwischen hadert der Dichter mit dem neuen Zeitgeist im Sozialismus, mit Erich Honecker und Heiner Müller, die ihm als Verfallserscheinungen in der Staats- und Theaterkunst gelten. Doch für ihn persönlich beginnt mit dem eigenen Landsitz ein neues Kapitel.

Wie ein Schlossherr sieht Hacks auf dem Foto aus, im Hintergrund sieht man ein Backsteingebäude, ein Turm mit Zinnen ragt in die Höhe. Es ist die legendäre Fenne, die Hacks Anfang der 1970er Jahre erwirbt und zu seinem Landsitz ausbauen lässt. Später wird es sein Rückzugsort vor den Toren Berlins, wo er wie Machiavelli in San Casciano bei Florenz residiert. Und tatsächlich liegt ein Hauch von italienischer Grandezza über dem Hof, die Mauern mit Rosenspalier halten die Außenwelt auf Abstand. Und in der sommerlichen Hitze fühlt es sich tatsächlich eher wie in der Toskana als der Mark Brandenburg an.

Ein Hauch von Italien: Domizil von Peter Hacks
Ein Hauch von Italien: Domizil von Peter Hacks
Quelle: picture-alliance/ ZB

Holprig ist der mit Feldsteinweg, der zur Fenne führt. Hinter Groß Machnow geht er von der Landstraße ab, am Ende erahnt man das Gebäude mehr als man es sieht. „Ich möchte gern ein Holperstein / In einer Pflasterstraße sein“, dichtete Hacks einmal, es könnte von dem Fenneweg inspiriert sein. Die Pointe ist: „Und einer von den Kunsteunuchen / Aus Medien und Kritik / Käm beispielsweise Hacks besuchen / Und bräch sich das Genick.“ Als Kunsteunuch aus Medien und Kritik steht man nun vor dem kleinen Tor, durchgerüttelt zwar, aber mit heilem Genick. Auf dem Klingelschild steht noch der Name Hacks, der Dichter selbst ist vor 20 Jahren gestorben.

Empfangen wird man von Matthias Oehme, dem Vorsitzenden der Peter-Hacks-Gesellschaft und Leiter des Eulenspiegel-Verlags. 2003, kurz vor seinem Tod, hat Hacks bei Eulenspiegel mit 15 Bänden und über 5000 Seiten seine Werkausgabe veröffentlicht, in der von ihm gewünschten Form. Er nannte es seinen „autorisierten, authentischen und unabänderlichen Kanon“. Oehme, im gestreiften Sommerhemd und mit Strohhut, ergänzt seitdem behutsam diesen Kanon. Dieser Tage erscheint der fast 1200-seitige Briefwechsel zwischen Hacks und seinem engen Freund, dem Schriftsteller und Dramaturgen André Müller sen., von Fans und Forschern seit langem erwartet.

„Die Fenne liegt verwunschen da, mit ihren hohen Mauern, dem Turm, dem Garten vor dem Moor und der kleinen Straße, die von der Hauptstraße zu ihr führt“, schreibt Müller sen., als er aus Westdeutschland kommend Hacks auf seinem Landsitz besucht. Eine Dichterresidenz auf dem Lande, wie Wieland in Oßmannstedt oder Hans Fallada in Carwitz, die – in schönster Lage – mit dem eigenen Wohnen auch auf das bessere Leben vorzugreifen versucht. Oder wie Goethe in Weimar, mit dem sich Hacks besonders gerne zu vergleichen pflegte. Tatsächlich ist Hacks sogar am 28. August gestorben, an Goethes Geburtstag.

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Wie die Suche nach einem geeigneten Landsitz im Detail ablief, kann man in dem soeben erschienenen Band „Peter Hacks auf der Fenne in Groß Machnow (1974–2003)“ von Matthias Dell nachlesen. Als man die verfallene Ziegelei entdeckt, war der Architekt Joachim Stoff dabei, als Bauleiter. Der schildert Dell seinen ersten Eindruck: „Lauter Ruinen, in der Mitte lag ein toter Hund. Aber das interessierte den Dichter überhaupt nicht.“ Oder ist es im Gegenteil ein Beweis für die ausgeprägte Fantasie und starke Einbildungskraft des Dichters? Nach dem Motto: Es steigt aus den Trümmern der alten Gebäude die sozialistische Privatresidenz?

Einen großen Stapel Dokumente hat Oehme dabei, darunter alte Fotografien von den Bauarbeiten und die originalen Baupläne. Arbeitsräume gibt es nicht nur für Hacks, sondern auch für seine Frau Anna Elisabeth Wiede, zudem einen Salon und Wohn- und Schlafräume, dazwischen ein langer geschwungener Gang, der die einzelnen Gebäude miteinander verbindet und den Hof begrenzt. Für die Gestaltung der Außen- und Gartenbereiche wird der über die DDR hinaus bekannte Landschaftsarchitekt Hermann Göritz engagiert, der einen kleinen Barockgarten, den Hofgarten und einen Landschaftsgarten mit Teich anlegen lässt. Es ist eine Idylle en miniature.

Hacks hatte Kois im Teich

Gespart hat Hacks nicht. Ungefähr eine Million Mark soll sich der Dichter seine Fenne kosten lassen haben, so vermutet der Hacks-Biograf Ronald Weber. D-Mark West, wohlgemerkt. Dafür gab es Seidentapeten aus Paris, edle Kois für den Teich und sogar Pfauen, die im Hof umherstolzierten. Klassizistische Statuen stehen neben Biedermeiermöbeln. Hacks’ Sammelleidenschaft war legendär, gemeinsam mit Bekannten wie Manfred Krug zog er durch die DDR-Provinz, um die Perlen zwischen dem Plunder zu finden. Wie Oehme erzählt, hatte Hacks sogar weitere Räumlichkeiten in Berlin angemietet, wo sich die Fundstücke stapelten.

Mit dem Erfolg im Westen kam das Geld. Hacks schrieb nicht nur fürs Theater, sondern auch für den Rundfunk. Stücke wie „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ wurden auf zahlreichen Bühnen der Bundesrepublik gespielt, der Drei Masken Verlag in Hacks’ Studienstadt München besorgte den Vertrieb. „Genosse Millionär“ titelte der „Playboy“ 1981, wie Dell in seinem Buch anschaulich schildert. Hacks selbst schrieb einmal, „die Wörter Kommunismus und Verzicht dürfen nicht in einen Satz“. Und auf seiner Fenne wollte er offensichtlich auf nichts verzichten müssen.

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Hacks stand in dem Ruf, „ein sozialistischer Dandy zu sein, ein DDR-Wiedergänger Oscar Wildes“, wie Weber in seiner großen Biografie schreibt. Lebenskunst und Marxismus-Leninismus schlossen sich bei ihm nicht aus. „Der Unter- wie der Oberleib / Hat seinen Marx gelesen“, so fasst es Hacks selbst. Durch Marx und Engels hindurch muss jedenfalls, wer in den großen Arbeitsraum auf der Fenne will – auf dem Regal über der Tür stehen die berühmten „Blauen Bände“ der Marx-Engels-Werke. Hier schrie Hacks seine Stücke, zum Garten hin führt eine Freitreppe. Der Blick fällt auf eine Statue mit hochaufragendem Phallus. Ist das der Unter- zum Oberleib?

Der Landsitz von Peter Hacks mit Garten
Der Landsitz von Peter Hacks mit Garten
Quelle: picture-alliance/ ZB

Der „bronzene Gartengott“, wie Hacks ihn in einem Gedicht nennt, ist eine Darstellung des antiken Fruchtbarkeitsgottes Priapos von Manfred Salow. Hacks dürfte in ihm die ideale Gegenthese zu den verachteten Kunsteunuchen gesehen haben, die Verkörperung einer ungebrochenen schöpferischen Potenz. „Aber dann aus feisten Hoden / Überragt den Gartenboden / Unermüdlich seine Rute. / Damit segnet uns der Gute“, heißt es in dem erwähnten Gedicht. Verdachtsfall toxische Männlichkeit? Solche Verse dürfte man heute jedenfalls an keiner Fassade einer Fachhochschule und Salows Statue in keinem Universitätsfoyer finden.

Der Luxus, das Ausschweifende und das Überladene wirken auf den ersten Blick wie eine große Gegenthese zur DDR, die gemeinhin mit dem Farbton grau in Verbindung gebracht wird. Doch Hacks, der Paradiesvogel der DDR, war kein Anhänger eines Elendskommunismus und kein Romantiker. Er mochte den Überfluss – auch die Privilegien. Er wollte in einer entwickelten Industrie- und Konsumgesellschaft leben, solange nur die Produktion vergesellschaftet ist. Armut ist ein großer Glanz von innen? Von solcher trüben Beleuchtungsart wollte Hacks nichts wissen. Die Fenne wirkt wie eine kleine Ideal-DDR, die sich Hacks erträumte und erbaute – eine Gegenwelt in Tuchfühlung mit der Utopie.

ARCHIV - Ein undatiertes Foto zeigt den Dramatiker Peter Hacks. Hacks zog 1955 von der Bundesrepublick in die DDR und gehört zu den erfolgreichsten Dramatikern Nachkriegsdeutschlands. Im Buch «Peter Hacks schreibt an 'Mamama' - Der Familienbriefwechsel 1945-1999» sind über 450 Briefe Hacks an seine in der Bundesrepublik lebende Mutter zu lesen. Foto: Konkret (zu dpa "Hacks an «Mamama»: «Es hat unterdrücktere Dichter gegeben» " vom 12.03.2013) +++ dpa-Bildfunk +++
Peter Hacks (1928-2003)
Quelle: picture alliance / dpa

Den Kapitalismus verachtete Hacks allein schon deswegen, weil er sich nach 1990 seine Bediensteten nicht mehr leisten konnte. Seine letzten Tage verbrachte der durch Krankheit geschwächte Hacks auf seiner geliebten Fenne. Als er am 28. August 2003 starb, wurde die Zeit angehalten – die der großen Standuhr im Arbeitszimmer. In diesem Moment ging der letzte der Pfauen, so erzählt es der Hacks-Verleger Oehme, aus dem Tor hinaus und war nie wieder gesehen. Und die Kois? Oehme sagt, dass sie eines Nachts aus dem Teich geklaut wurden. Doch auch ohne die Tiere gibt die Fenne noch heute ein beredtes Zeugnis von der eigensinnigen Vorstellungswelt ihres einstigen Besitzers, zwischen Goethe und Ulbricht.

Matthias Dell: Peter Hacks auf der Fenne in Groß Machnow (1974–2003). Frankfurter Buntbücher, Nr. 72. Verlag Berlin Brandenburg, 10 Euro.

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