Den Walzer sang ihr Vater für sie, als sie sieben war. Mit 57 Jahren singt ihn nun Bebel Gilberto selbst. Für ihren Vater. „João“ heißt ihr neues Album mit elf Klassikern von João Gilberto, der die Bossa Nova in Brasilien begründet hatte, 1958 mit dem Song „Chega de Saudade“ (No More Blues). Er verlangsamte den Samba und verband ihn mit dem Cool Jazz Nordamerikas. Die neue Welle trug Brasilien in die Welt. Die MPB, die Música Popular Brasileira, und die leichte, schöne Spielweise des Fußballs, jogo bonito, gingen auf in der globalen Popkultur.
Vier der elf Lieder auf „João“ von Bebel Gilberto stammen vom Album „João Gilberto“, das der Vater 1973 aufnahm: „Valsa“, bei ihm stand in Klammern „Como Sao Lindos Os Yougis“ dahinter (Wie schön deine Augen sind), über die Augen seiner Tochter. „Eu Vim Da Bahia“ (Ich kam aus Bahia) war sein Heimatlied, mit 18 war er Gitarrist und Sänger einer Band in Salvador geworden, bevor er nach Rio de Janeiro zog und von dort in die Welt hinaus. In „Undiu“ empfahl er eine brasilianische Gemüsepfanne.
„É Preciso Perdoar“ war seine Bitte um Vergebung. Anlässe dazu hatte er reichlich: 1962 ging er nach New York mit seiner ersten Frau Astrud Gilberto, die für ihn „The Girl from Ipanema“ sang und ihn, neben Pelé und Oscar Niemeyer, zum Botschafter der brasilianischen Moderne machte. 1964 ließ er die Familie sitzen und gründete mit der Sängerin Miúcha eine neue, 1966 kam Bebel zur Welt. Auch die Familie verließ er wieder.
Bebel wurde selbst als Sängerin der nächsten neuen Welle aus Brasilien weltberühmt. Mit ihrem Vater sang sie selten. 1980 trafen sie sich zum Duett, um „Chega de Saudade“ aufzunehmen. 1998 standen sie in der New Yorker Carnegie Hall gemeinsam auf der Bühne und feierten 40 Jahre Bossa Nova.
João Gilberto hat es aber auch sich selbst und allen anderen nie leicht gemacht. Als 1964 in Brasilien die Generäle an die Macht kamen und sich auch durch die Bossa Nova, durch das Freie, Offene und Heitere, bedroht fühlten, lebte und sang er in New York und Mexiko. Und als er in den 80er-Jahren heimkehrte, tauchte er ab. Aber er sang, auf Platten und manchmal auch in Europa und Amerika. 2019 starb er, irgendwo in Rio, 88 Jahre alt.
„Adeus America“
„Es wird Zeit, dass ich die Lieder von João Gilberto singe, die mich seit meiner Geburt geprägt haben und sogar schon davor“, erklärt Bebel Gilberto. So klingen auch ihre Interpretationen: distanziert, versöhnlich, melancholisch. Vom ältesten Lied, „O Pato“, in dem eine Stockente die Krickente zum Sambatanzen auffordert, bis zu „Adeus America“, das João Gilberto 1985 in Montreux beim Festival am Genfer See bei einem seiner seltenen Auftritte auf einem Album hinterließ.
Mit „Desafinado“ (Verstimmt) erklärt Bebel Gilberto noch einmal die Bossa Nova: Das Lied war die Antwort ihres Vaters auf die Kritiker der neuen Welle, die es gern harmonischer gehabt hätten und weniger „verstimmt“ zwischen Gitarre und Gesang. Eigentlich ging es damals schon um kulturelle Aneignung als Vorwurf, um die Aneignung des Fremden, um den Jazz. Im Brasilianischen wurde daraus ein eigener Begriff für die nach allen Seiten offene Musik als Ideal: Canobalismo musical.