„Ist halt vorbei.“ So schnell kann es gehen. Ob John Eliot Gardiner, der gewiss kein Straussianer ist, die lebenskluge wie messerscharf kurze Sentenz der „Rosenkavalier“-Marschallin geläufig ist? Jetzt wird er wohl auf seiner Ökofarm in West Dorset sitzen und sich fragen, was aus dem reputierlichen Sir geworden ist, eben 80 Jahre alt geworden, der vor kurzem vor einem Milliarden-TV-Publikum die Krönungsfeierlichkeiten seines alten Freundes Charles III. musikalisch einläuten durfte.
Eigentlich hätte der Bach- wie Berlioz-Spezialist mitten auf einer vermutlich triumphalen Tournee mit dem halbszenischen Opernkoloss „Les Troyens“ unterwegs sein sollen. Elogen bei den BBC Proms, den Salzburger Festspielen, in der Opéra de Versailles und dem Musikfest Berlin wären ihm sicher gewesen. Das ist alles Makulatur. Weil wieder mal das Temperament mit einem alten, weißen Dirigenten durchgegangen ist.
Sir Johns persönliches Troja
Der Grund? Eine Lappalie. Beim Tourneestart während des Berlioz-Festivals an dessen Geburtsort La Côte-Saint-André war der die kleine Bassbariton-Rolle des trojanischen Königs Priamos singende Will Thomas zur falschen Bühnenseite abgegangen. Das hatte den für sein notorisch aufbrausendes wie arrogantes Wesen bekannten Dirigenten dazu veranlasst, den Sänger hinterher vor allen Kollegen erniedrigend zur Rede zu stellen und ihm eine schallende Ohrfeige zu verpassen. So wurde es sofort dem Klassikklatschportal „Slipped Disc“ durchgestochen.
Auch wenn ein Jochen Kowalski schon vor 35 Jahren berichtete, nie sei er so vorsätzlich fies gedemütigt worden wie eben von Gardiner, hier ist eine rote Linie überschritten worden. Das merke selbst Sir John. Er reiste unmittelbar danach ab, offiziell wollte man den Vorfall noch auf Alter, Hitze und falsche Medikamente schieben. Aber dafür war es zu spät. Gardiners Assistent Dinis Sousa übernimmt alle Berlioz-Termine.
Der Sir lässt sich zitieren: „Ich bedaure den Vorfall zutiefst und entschuldige mich vorbehaltlos dafür, dass ich die Beherrschung verloren habe. Für mein Verhalten gibt es keine Rechtfertigung, und ich habe mich persönlich bei Will Thomas, für den ich die größte Achtung empfinde, entschuldigt.“ Ist halt vorbei. Manchmal dauert der Untergang eines persönlichen Trojas keine zehn Jahre.