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  3. Kirill Petrenko: „Ich will noch mehr Einmaligkeit“ – Saisonauftakt der Berliner Philharmoniker

Kultur Kirill Petrenko

„Ich will noch mehr Einmaligkeit“

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Parole Lockererwerden: Kirill Petrenko Parole Lockererwerden: Kirill Petrenko
Parole Lockererwerden: Kirill Petrenko
Quelle: © Frederike van der Staeten/Berliner Philharmoniker
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Kirill Petrenko ist ein Selbstzweifler, einer, der selten von Herzen zufrieden ist. Dabei könnte er es sein mit dem, was er als Chefdirigent bisher mit seinen Berliner Philharmonikern geliefert hat. Eine Hommage zum Saisonauftakt.

Der kleine Kirill kann schon reden! Fast wie eine verzückte Elternschaft kam man sich kürzlich in kleinem Kreis vor, als Berlins sich sonst so interview-resistent gebender Philharmonikerchef Kirill Petrenko mal so richtig auspackte.

Das dessen No-Talk-Politik, die er zu seinem Start als Nachfolger von Siman Rattle vor vier Jahren ausgegeben hatte, vielleicht doch ein wenig unangebracht anmutet für eine öffentlich geförderte Institution mit extremem Vorbildcharakter, das mag inzwischen offenbar allen Beteiligten klar geworden sein.

Und obwohl dem 51-jährigen Pult-Antistar mit seiner anfänglichen Schneckenhaus-Attitüde zwei auf Isolation ausgerichtete Corona-Spielzeiten zugearbeitet hatten, kroch Petrenko nun für seine Verhältnisse sehr, sehr weit nach draußen.

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Für alle, die ihn noch von früher kannten, als er von 2002 bis 2007 als aufsteigender Generalmusikdirektor der Komischen Oper schon einmal in Berlin eigentlich nur Ehre eingefahren hatte, allerdings keine Überraschung. Denn der Kluges sprechende Petrenko ist so eloquent wie ehrlich.

Es gibt wohl keinen einzigen anderen Dirigenten seiner Güteklasse, der so menschlich, bescheiden auftritt. Und dem man die Demut glaubt, wenn er sagt: „Für mich sind die Berliner Philharmoniker die größte Aufgabe meines Lebens. Diesen Weg möchte ich mit ihnen gemeinsam gehen, solange mein Körper noch so aktiv ist und ich das körperlich und psychisch schaffen kann – und solange das Orchester mich noch wünscht.“ Es hat sich offenbar für beide Seiten ausgezahlt, dass man einen Vertrag mit offenem Ende abgeschlossen hat, einzigartig im Klassikgeschäft.

Das Orchester hat langfristig Lust auf ihn

Aber einzigartig eben auch, was er bisher geliefert hat. Auch in der neuen Saison 2023/24, deren 123 Konzerte an diesem Freitag beginnen, bevor das Orchester zur traditionellen Festival-Mini-Tour nach Salzburg und Luzern weiterfährt, ist Petrenko mit 23 Konzerten zwar deutlich weniger in Berlin präsent als etwa Simon Rattle (28 zählt man die Tourneen mit), aber langfristig ist das vielleicht ein Segen: So hat dieses launische Orchester länger Lust auf seinen Mann an der Spitze.

Man gönnt sich sogar ein provokatives Motto. Nicht: „Wir sind Helden“, aber doch ein „Heroes!?“ mit Fragezeichen. So will man quer durch das Repertoire hinterfragen, wie es gerade heute ums Heldentum bestellt ist. Auslaufs- oder Zukunftsmodell? Petrenko als Chef ist eher letzteres. Zumal, wenn man sich sein immens eklektisches Repertoire ansieht.

Für die kommenden zwölf Monate gibt es statt der vier großen Bs – Bach, Beethoven, Brahms, Bruckner – bei ihm nur den etwas kleineren Bartók, ansonsten interessiert sich Petrenko für Reger und Szymanowski, Hartman, Xenakis, Kurtág, Mussorsky, den Composer in Residence Jörg Widmann (der inzwischen auch selbst dirigiert und sein Orchesterdebüt geben wird).

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Mirga Gražinytė-Tyla Dirigentin . + Quelle: Mag. Katharina Hollerwöger Assistant Artist Manager -------------------------------------------------------------------------------------- Künstleragentur Dr. Raab & Dr. Böhm Gesellschaft mbH A-1040 Wien, Paniglgasse 18-20 Top 14 Tel.: +43-1-512 05 01-15 Fax: +43-1-512 05 01-43 E-Mail: hollerwoeger@rbartists.at
Neue Dirigenten-Generation

Wagner und Strauss, Mendelssohn und Ravel, Liszt und Smetana gibt es dann versöhnlich noch dazu. Und die „Elektra“ steht eben Schönbergs „Jakobsleiter“, setzt aber auch seinen Strauss-Höhenflug fort.

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Kirill Petrenko ist wählerisch, außer in Berlin und auf Tour ist er fast nur bei den Wiener Philharmonikern und beim Israel Philharmonic Orchestra zu erleben. Und immer wieder beim Orchester seiner Jugend, dem Symphonieorchester Vorarlberg, wo sein Vater spielte und wo er einen Mahler-Zyklus bis hin zur Achten spielte, um die gewaltigen Klanggebirge erst einmal selbst zu lernen.

Es muss aber keiner Angst haben, Beethoven, Mozart und Haydn als eminente Klangerziehungsmaßnahmen, Mahler für das große Getöse und auch das große Traditionsrepertoire werden natürlich zurückkommen. Auch daran misst man natürlich seinen Philharmoniker-Meister. Petrenko ist einer, der mehr Selbstzweifel hat, als dass er mal wirklich von ganzem Herzen zufrieden ist. Und sieht sich und das Orchester noch nicht dort, wo sie hinwollen.

Mehr an Unverwechselbarkeit

„Wir haben das Potenzial und die Ressourcen für jede Art von Klang und Gestaltung zunächst einmal ausgetestet. Darauf gilt es jetzt aufzubauen. Denn mit diesem Orchester kann man alles erreichen. Es gibt überhaupt nichts, was die nicht können oder wollen. Und gerade beim Klang geht schon viel in meine Richtung. Aber ich will noch mehr an Unverwechselbarkeit und Einmaligkeit erreichen.“

Mit 94 Prozent Auslastung stehen die Berliner Philharmoniker glänzend da. Die Digital Concert Hall brummt wie die bibliophil aufgemachten CD-Boxen mit dem Chef. Und so kann man sich viele modisch angesagte Entscheidungen sparen. Widmann und als Artist-in-Residence die georgische Geigerin Lisa Batiashvili, das ist nicht originell, aber glänzend. Auch die Dirigenten-Debüts sind wenig spektakulär: Robin Ticciati vom Deutschen Symphonie-Orchester traut sich endlich, Hannu Lintu und Fabio Luisi hatte man gar nicht mehr auf der Liste, dazu kommen der Alte-Musik-Spezialist Riccardo Minasi und – als einzige Frau – Eun Sun Kim.

Ohne viel Gedöns gibt es bei den Philharmonikern die bewährten Jugendangebote, auch der Chef mischt in einem Familien- wie einem Akademistenkonzert mit. Natürlich könnten noch mehr Komponistinnen im Repertoireangebot sein, aber das ist auch männlich dominiert schon kunterbunt, ohne mit Uraufführungswahn nach Pseudo-Neuem zu hecheln.

Zu Russland findet der gebürtige Omsker Petrenko, die richtigen, zurückhaltenden Worte. Und unbedingt messen wollen wir ihn an einem kurzen, einfachen Satz: „Wir müssen noch ein bisschen lockerer werden.“

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