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Literatur Mythos Prometheus

Brandstifter der Moderne

Prometheus und der Adler, Schattenriss an einer Hauswand, Sevilla, Andalusien, Spanien, Europa Prometheus und der Adler, Schattenriss an einer Hauswand, Sevilla, Andalusien, Spanien, Europa
Der gefesselte Prometheus als Sinnbild für die Feuer-Sünde
Quelle: picture alliance / imageBROKER
Prometheus ist der Titan, dem die Menschheit das Feuer verdankt. Mit dem Zeitalter der Verbrennung begann die Zivilisation. Goethe sah den Mythos kritisch: „Die Elemente sind mit uns verschworen. Und auf Vernichtung läuft‘s hinaus“.

Es war der deutsch-österreichische Philosoph Günther Anders, der seine Zeitgenossen mit einer Aktualisierung der griechischen Mythologie überraschte. Den für sein menschenfreundliches Geschenk des Feuers von Zeus an einen Felsen des Kaukasus geschmiedeten Titanen Prometheus ließ er wiederkehren. Um sich nun mit dem „antiquierten Menschen“ zu schämen über die sich zunehmend technisierende Welt.

Ein Abenteuer der Imagination im 20. Jahrhundert, das der Philosoph Peter Sloterdijk soeben für das 21. Jahrhundert wiederholt hat („Die Reue des Prometheus“), nun allerdings mit dem erweiterten Blick auf die klimakatastrophischen Folgen einer Pyromanie, die Prometheus bereut. Sieht er sich doch konfrontiert mit dem, was er nie gewollt hat: die Erde als weltverzehrende Feuerstelle selbsternannter Brandstifter im Zeichen eines unersättlichen Energie-Hungers.

Nahezu unbemerkt geblieben ist, dass es Goethe war, der gleichsam avant la lettre die Wiederkehr des Prometheus geprobt hat. Die Rede ist von jenem „Festspiel“ Goethes aus dem Jahr 1808 mit dem lakonischen Titel „Pandora“, das sich bei näherem Hinsehen als resignatives Endspiel erweist – im Zeichen fataler Folgen des prometheischen Feuergeschenks. Hatte doch bereits 1806 bei Jena und Auerstädt der Artillerist Napoleon mit exzessiver Feuerkraft und der Devise „élan de vitesse“ verstörend über die alte Welt der Ordnung und Geduld triumphiert.

Und was lag näher, als nun mit einem „Festspiel“ das zu tun, was auch der Goethe-Bewunderer Nietzsche empfehlen wird: „Die Wahrheit ist hässlich. Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen.“ Die „hässliche Wahrheit“ des siegreichen neuen Titans des Feuers als „Weltseele zu Pferde“ (Hegel über Napoleon) galt es, ästhetisch zu bewältigen. Und dies durch den naheliegenden Rückgriff auf den mythologischen Titan des Feuers: Prometheus.

Goethe sah die Feuermaschine

Nun allerdings in neuer und doppelter Beleuchtung. Denn schon Jahre vor dem Sieg des „feurigen Titans“ war Goethe bereits Augenzeuge der Heraufkunft eines anderen Titans geworden, der sich als weltverzehrender Brandstifter der Moderne erweisen sollte. Goethe war seiner ansichtig geworden 1790 in Gestalt der „Feuermaschine von Tarnowitz“, der ersten englischen Dampfmaschine im Dienst des preußischen Bergbaus. Jetzt, 1808, im „Festspiel“, wird im Versmaß der attischen Tragödie, in jambischen Sechstaktern, poetisch-prophetisch vor allem Gerichtstag gehalten über diese neue „Feuer-Technik“ im Zeichen des alten Titans und seiner neuen als „Schmiede“ verkleideten Helfershelfer. Die nun im „Hämmerchortanz“ die Leidensgeschichte der Erde antizipieren. Denn dem wiedergekehrten Prometheus offenbaren die „erzgewält’gen Schmiede“ Unerhörtes: die Zukunft einer entfesselten prometheischen Maßlosigkeit: „Erde, sie steht so fest! / Wie sie sich quälen lässt! / Wie man sie scharrt und plackt! / Wie man sie ritzt und hackt! / Da soll’s heraus. / Furchen und Striemen ziehn / Ihr auf den Rücken hin.“

Es sind die pyromanischen Brandstifter der Zukunft, die nur ein Ziel kennen: „Da soll’s heraus“ in Gestalt von Kohle für die Brennkammern der auf Dauer gestellten industriellen Revolution – mit mephistophelischer Beschleunigung der Transportmittel, der Kommunikation und der Produktionsprozesse. Und dies bereits im zynischen Bewusstsein einer selbstzerstörerischen Finalität: „Dring nur herein ins Haus; / Willst du hernach hinaus, / Bist du verzehrt.“ Eine Konsequenz, mit der die „Schmiede“ nun endgültig das Wort Goethes in den Zahmen Xenien einlösen. Ein Wort, wie geschaffen für katastrophische Ängste moderner Klima-Aktivisten: „Anbete du das Feuer hundert Jahr, / Dann fall hinein, dich frißt’s mit Haut und Haar.“

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Goethe hatte allerdings für das „Festspiel“ ursprünglich auch den Auftritt einer anderen Mythen-Gestalt geplant: Pandora. Und zwar mit einer durch keine antike Quelle gestützten positiven Umdeutung. War doch die „alles gebende“ Frau ursprünglich von den Göttern gesandt, um das von Prometheus geschaffene Glück der Menschen zu stören. Nun aber plante Goethe, sie als femininen deus ex machina wiederkehren zu lassen. Sie sollte die prometheische Maßlosigkeit bändigen. Die feuergelenkte vita activissima sollte mit der Lebensform der vita contemplativa und der Memorialkultur (repräsentiert im „Festspiel“ durch Epimetheus) versöhnt werden. Aber das nun offene Wundmal der pyromanisch gefolterten Erde ließ sich ganz offensichtlich nicht mehr durch das Schönheitspflaster einer positiven Umdeutung des Mythos heilen. Die im „Schema“ zum „Festspiel“ vorgesehene Versöhnung wird in utopische Ferne verschoben. Pandora erscheint nicht. Das „Festspiel“ bleibt Fragment.

Goethes „Prometheus“-Kult

Goethe hatte Prometheus freilich schon einmal wiederkehren lassen. 1774 auf dem Höhepunkt der Geniebegeisterung hatte er ihn gefeiert als Rebell gegen die Willkürherrschaft der Götter. Jetzt aber, 1808, wird er Zeuge eines irreversiblen Game Change: die Geburt der Moderne aus dem Geiste der Brandstiftung. Lautet doch ausdrücklich die Regieanweisung für den „Hämmerchortanz“ der „Schmiedegesellen“: „Mehrere Höhlen eröffnen sich, mehrere Feuer fangen an zu brennen.“ Das sind jene „Höhlen“ und Feuerstellen, die sich sich heute im Rückblick erweisen als das hybride Abfackeln und Verflüssigen versteinerter unterirdischer Urwälder der vegetativen Erdgeschichte.

Prometheus klaut das Feuer von den Göttern: Gemälde von Jan Cossiers, um 1637
Prometheus klaut das Feuer von den Göttern: Gemälde von Jan Cossiers, um 1637
Quelle: picture alliance / akg-images

Die alte Geduld (die schon Goethes Faust verflucht hatte) im Umgang mit den langsam wachsenden oberirdischen Wäldern hatte mit der Entdeckung scheinbar unbegrenzter energetischer Ressourcen unterirdischer Wälder endlich ein Ende gefunden. In Gestalt jener fossilen Wälder also, die vor 300 bis 400 Millionen Jahren die giftige CO 2 Atmosphäre gereinigt und durch hohe Sauerstoff-Anreicherung auf der Erdoberfläche die Entstehung komplexer Lebensformen ermöglicht hatten. Und deren exzessive Umsetzung in kinetische Energie mit begleitenden CO 2-Emissionen nun den Planeten Erde langfristig in die Nähe jener „Krankheit zum Tode“ zu rücken scheinen, die Goethe schon 1774 im „Werther“ als Gefahr für das Leben überhaupt definiert hatte. Dass nämlich die „Natur so angegriffen wird, dass sie […] durch keine glückliche Revolution den gewöhnlichen Umlauf des Lebens wieder herzustellen fähig ist“.

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Aber Goethe belässt es nicht bei diesem Game Change in der Geschichte des terrestrischen Lebens in Richtung eines möglichen weltverzehrenden Brandes. Er bestimmt seinen wiedergekehrten Prometheus auch zum Zeugen einer gleichzeitigen „Umwertung aller Werte“ im Zeichen eines neuen „Willens zur Macht“. Denn der „Hämmerchortanz“ kulminiert in der Verschränkung prometheischer Maßlosigkeit mit der Barbarei. Feiern doch die „Schmiede“ die absolute Rangerhöhung des Feuers im „Hämmerchortanz“: „Schürst du das Feuer nicht, / Bist du nichts wert.“

Der Beginn einer Maßlosigkeit, die Goethe 1825 (gegenüber Zelter) dann lakonisch definieren wird als die neue Devise einer beginnenden Globalisierung des Weltverbrauchs: „Alles ist jetzt Ultra.“ Jetzt in Form einer feuergelenkten energetischen Ressourcen-Ausbeutung der Erde mit dem Ergebnis einer exponentiellen Steigerung des Wohlstands. Allerdings in Begleitung anthropologischer Kollateralschäden: „Niemand kennt sich mehr.“ „Reichtum und Schnelligkeit ist, was die Welt bewundert. […] Alle mögliche Fazilitäten der Kommunikation sind es, worauf die gebildete Welt ausgeht, sich zu überbieten, zu überbilden und dadurch in der Mittelmäßigkeit zu verharren.“ Ein Selbstentfremdungsprozess im Zeichen einer neuen pyrotechnischen Werteordnung mit barbarischen Tendenzen – wie sie Goethe (gegenüber Eckermann) statuieren wird: „Worin besteht die Barbarei anders als darin, dass man das Vortreffliche nicht anerkennt.“

Die Götterstrafe: Prometheus ist an einen Felsen geschmiedet, ein Adler hackt ihm die Leber aus. Lithografie nach Alexander Zick
Die Götterstrafe: Prometheus ist an einen Felsen geschmiedet, ein Adler hackt ihm die Leber aus. Lithografie nach Alexander Zick
Quelle: Getty Images

Denn in der Tat ist es Prometheus selbst, der seine pyromanischen „Schmiede“-Gesellen bereits erkennt als Repräsentanten gedächtnisloser „Legionäre des Augenblicks“ (Nietzsche). Mit der notwendigen Folge, das „Vortreffliche“ weder zu kennen noch „anzuerkennen“. Jedes Verstehen des Lebens nach rückwärts ist ihnen fremd. Ihr Psychogramm beschreibt Prometheus denn auch entsprechend resignativ mit den Worten:

„Ausgestattet ist genugsam dies Geschlecht zur Erde. / Freilich frönt es nur dem heut‘gen Tage, / Gestrigen Ereignens denkt‘s nur selten; / Was es litt, genoss, ihm ist‘s verloren. / Selbst im Augenblicke greift es roh zu; / Fasst, was ihm begegnet, eignet‘s an sich, / Wirft es weg, nicht sinnend, nicht bedenkend, / […] Also schreiten sie mit Kinderleichtsinn / Und mit rohem Tasten in den Tag hin.“ Die gespenstische Vision also einer Wegwerf-Gesellschaft – auch in Sachen der Memorialkultur. Die denn auch tatsächlich metaphorisch exekutiert wird im Schlussakt der „Faust“-Tragödie.

„Auf Vernichtung läuft’s hinaus“

Es sind dort die Helfershelfer Mephistos, die für Faust die hochbetagten mythischen Garanten des alten Gedächtnisses und der Willkommens-Kultur, Philemon und Baucis, zusammen mit uralten Bäumen im Feuer liquidieren. Und dies durchaus schon ganz im Dienst der neuen pyrotechnischen Weltordnung: Faust verfügt bereits über die Aggregate der pyrotechnischen „Ultra“-Welt. Heißt es doch über sein Projekt der Trockenlegung alter Biotope und der Landgewinnung aus dem Ozean: „Wo die Flämmchen nächtig schwärmten, / Stand ein Damm den andern Tag. / Menschenopfer mußten bluten, / Nachts erscholl des Jammers Qual; / Meerab flossen Feuergluten, / Morgens war es ein Kanal.“ Es sind die „Feuergluten“ des „Kinderleichtsinns“, deren mögliche Dimensionen Goethes Mephisto als Schirmherr aller „Feuergluten“ andeutet mit apokalyptischen Worten: „In jeder Art seid ihr verloren; – / Die Elemente sind mit uns verschworen, / Und auf Vernichtung läuft‘s hinaus.“

Ein düsteres Schlusswort, dessen Genese sich allerdings weit zurückverfolgen lässt als die Summe der pantheistischen Natur-Frömmigkeit Goethes: Sie steht jedenfalls quer zum „Kinderleichtsinn“ des prometheischen „Hämmerchortanzes“. Denn sie gründet in Goethes Einsicht (gegenüber Eckermann): „Die Natur versteht gar keinen Spaß, sie ist immer wahr, immer ernst, immer strenge; sie hat immer Recht, und die Fehler und Irrtümer sind immer des Menschen.“ Mit der ebenfalls gegenüber Eckermann geäußerten Begründung: die Natur ist „ein großes lebendiges Wesen, das im ewigen Ein- und Ausatmen begriffen“.

Illustration of 19th century
Goethe (1749 bis 1832)
Quelle: Getty Images

Erst Ende des 19. Jahrhunderts wird der schwedische Physiker Svante Arrhenius die Folgen dieses pyrotechnischen „Kinderleichtsinns“ beim Namen nennen: die Freisetzung von CO 2 – als Eingriff des Menschen in das „ewige Ein- und Ausatmen“ der Erde als „lebendiges Wesen“. Die Bedeutung dieses „ewigen Ein- und Ausatmens“ hat Goethe bereits 1819 im West-östlichen Divan zu Ende gedacht. Und zwar im Sinne einer strikten Reinhaltung der Luft als „heiliges Vermächtnis“ (im Buch des Parsen) – und als Bedingung des Lebens (und Überlebens).

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Ein „heiliges Vermächtnis“, das Goethe konsequent versteht den kategorischen Imperativ der „Reinheit“ menschlicher Absichten gegenüber der Natur: „Schwerer Dienste tägliche Bewahrung / Sonst bedarf es keiner Offenbarung.“ Ein in Vergessenheit geratener Imperativ, der an Ingeborg Bachmanns Verdikt erinnert: „Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler.“ Immerhin hält Goethes wiedergekehrter Prometheus für künftige Schüler einen Wunsch bereit: „Möchten sie Vergangnes mehr beherz’gen, / Gegenwärt’ges, formend, mehr sich eignen, / Wär‘ es gut für alle; solches wünscht’ ich.“

Manfred Osten ist Autor, Jurist, Diplomat und Kulturhistoriker. Zuletzt erschien sein Buch „Die Welt, ‚ein großes Hospital’“. (Wallstein Verlag)

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