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  4. „Jedermann“ in Salzburg: Darum darf die „Letzte Generation“ auf die Bühne

Theater Aktivismus in Salzburg

Plötzlich stürmt die „Letzte Generation“ beim „Jedermann“ auf die Bühne

Freier Mitarbeiter im Feuilleton
Marx für Reiche? „Jedermann“ in Salzburg Marx für Reiche? „Jedermann“ in Salzburg
Marx für Reiche? „Jedermann“ in Salzburg
Quelle: AFP/APA/BARBARA GINDL
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Lautes Buhgeheul erhebt sich im Salzburger Publikum, als zwei Unbekannte beim „Jedermann“ die Bühne mit orangener Farbe besprühen. Dabei hat die Regie die Klimaaktivisten schon vorauseilend in die Inszenierung eingebaut – eine Idee, die viel über unsere Zeit verrät.

In orangen Warnwesten kommen sie kurz nach Beginn zu zweit auf die Bühne gestürmt. Während er an dem Feuerlöscher nestelt, wirft sie die Kamera ihres Smartphones an. Orange ist auch die Farbe, die sich nun auf dem hellen Grund der klassizistischen Prachtfassade verteilt, in Schlieren läuft sie hinunter. Nach einer kurzen Irritation erhebt sich im Salzburger Publikum ein lautes Buhgeheul. Den „Jedermann“ will man sich nicht von Klimaaktivisten stören lassen, wie es bereits bei der vorigen Vorstellung, der großen Premiere, geschehen ist.

Doch auch die Zwischenrufe bei der Premiere waren dramaturgisch so perfekt platziert, dass das Publikum etwas brauchte, die ungebetenen und unbezahlten Nebendarsteller als solche zu erkennen. Wohl allein deswegen, weil die Sprühaktion der Warnwestenaktivisten – wie man schnell ahnt – zur Inszenierung gehört. Ein geschickter Kniff oder ein Zugeständnis an den Zeitgeist? Es verdeutlicht jedenfalls, wie Regisseur Michael Sturminger seinen dritten Salzburger „Jedermann“ verstanden wissen will: als Gegenwartskommentar.

Kurz vor der Premiere hatten Aktivisten der „Letzten Generation“ – nun nach ihrem eigenen Drehbuch in der Wirklichkeit – in Wien ein Luxusgeschäft und ein Nobelhotel mit oranger Farbe eingesprüht, zuvor traf es unter anderem auch Privatjets. Wie die Gruppe mitteilte, habe man „Symbole der Dekadenz & Verschwendung mit Warnfarbe“ markieren und das „Ausmaß des Schadens, der von den Reichsten der Reichen ausgeht“, zeigen wollen. Die Reichsten stoßen immer mehr Kohlenstoffdioxid aus, die Armen immer weniger.

Die Superreichenkritik hat die „Letzte Generation“ nicht erfunden. Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“ ist nichts anderes als eine moralische Abrechnung mit den Reichsten der Gesellschaft – und somit das perfekte Stück für die Aktivisten von heute. Auch im Film hat man die Reichen als Zielscheibe des Spotts wiederentdeckt – wie in „White Lotus“, „Glass Onion: A Knives Out Mystery“, „Triangle of Sadness“ oder „The Menu“. Dekadenz und Verschwendung werden in grellen Bildern angeprangert. Wie bereits bei „Jedermann“!

Der Weg zum Glauben

Warum sind „Jedermann“ und die „Letzte Generation“ ein perfektes Match? Um das zu verstehen, muss man sich die Klimaaktivisten genauer anschauen. Mitte Juni hat die „Letzte Generation“ einen großen Auftritt in der Berliner Volksbühne. Es ist eine große Messe, eine düster-hoffnungsvolle Weltuntergangsandacht. Erst wird die Apokalypse so drastisch wie möglich geschildert, bevor ein paar Ausgewählte ihren Weg zum Glauben schildern, gefolgt von infantil-peinlichen Kennenlernspielchen eines „Ministeriums für Mitgefühl“.

Wer Politisches erwartet, wird in der Volksbühne enttäuscht. Für eine religionssoziologische Betrachtung ist es wie ein Grundlagenseminar in angewandter Sektologie mit fantastischem Anschauungsmaterial: Erschütterung der Gewissheiten durch den drohenden Weltuntergang, Umkehr im Geiste und Sinnstiftung im Glauben. Es ist ein seit Jahrhunderten wohlerprobtes Rezept von Endzeitsekten. Die „Letzte Generation“ muss man als religiöse, nicht als kriminelle Vereinigung verstehen! Und sie selbst müsste das schlussendlich auch begreifen.

Was hat das mit dem „Jedermann“ zu tun? Auch Hofmannsthal wollte mit seinem „geistlichen Spiel“ eine Andacht für die Massen schaffen, in dem ein paar Auswüchse des Kapitalismus – die Herzenskälte, der Mangel an Mitleid, der Verlust von Sinn – angeprangert werden, um den Helden am Ende zur Reue und Umkehr, also zum Glauben zu bewegen. Und all das nur, weil der Tod droht, der bei den Aktivisten Klimatod genannt wird und früher Atomtod hieß. Moralische Erschütterung ist die Methode, geistige Erbauung ist das Ziel.

Während die orange Farbe am Bühnenbild herabläuft, betritt der superreiche Jedermann die Bühne. Gespielt wird er dieses Mal von Michael Maertens, der sonst im Wiener Burgtheater zu sehen ist. Von der Sprühattacke lässt er sich nicht berühren, wie im Folgenden auch nicht von in billiges Plastik gehüllten Bettlern oder der vor die Tür gesetzten Familie eines Schuldners. „Mein Haus hat ein gut Ansehn, das ist wahr, / Steht stattlich da, vornehm und reich, / Kommt in der Stadt kein andres gleich“, konstatiert der kühle Kapitalist nur.

Der reiche alte weiße Mann

Jedermann verkörpert den reichen alten weißen Mann, der zwar nicht zur Einsicht, aber zur Reue kommt – wie ein Ölmagnat, der auf dem Sterbebett doch noch für eine Klimastiftung spendet. Man könnte es für eine Parodie halten, eine Kritik des Greenwashings, doch so hat es Hofmannsthal wohl kaum gedacht. Er meinte, dass der Glauben den Kapitalismus bändigen könnte, wie man es heute im „Islamic Banking“ findet. Kapitalismus, jetzt neu – mit religiösen Werten! So etwas läuft, man ahnt es, auf das Schlimmste beider Welten hinaus.

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Hofmannsthal wusste allerdings, dass die Ursache des Übels nicht im Charakter zu suchen ist. Nicht die Gier trägt Schuld. Jedermann ist keiner, der wie Dagobert auf einem Haufen von Geld sitzt, sondern ein aufgeklärter Businesstyp, der weiß, dass sich das Geld nur vermehrt, wenn man es in die Welt hinausschickt, also investiert. „Mein Geld muss für mich werken und laufen, / Mit Tod und Teufel hart sich raufen, / Weit reisen und auf Zins ausliegen, / Damit ich soll, was mir zusteht, kriegen“, sagt er – und es klingt ein bisschen nach Karl Marx.

Michael Maertens (l.) als Jedermann und Mirco Kreibich als Mammon
Michael Maertens (l.) als Jedermann und Mirco Kreibich als Mammon
Quelle: dpa/Barbara Gindl/APA

Marx hatte in „Das Kapital“, ein paar Jahrzehnte vor Hofmannsthal, von den Kapitalisten als „ökonomischen Charaktermasken der Personen“ geschrieben. Der Mammon, wunderbar gespielt von Mirco Kreibich als flatterhafte Gold- und Geldfee, tanzt Jedermann auf der Nase herum: Das Geld habe ihn kontrolliert, nicht umgekehrt. Bei Marx heißt das „automatisches Subjekt“, „selbstverwertender Wert“ oder schlicht „Geld heckendes Geld“. Nur wollte Marx – anders als Hofmannsthal oder die „Letzte Generation“ – nicht auf Erbauung hinaus.

Die Superreichenkritik bei Marx ist nicht moralisch, er strebte die Aufhebung des Kapitalverhältnisses an und hatte eine Klasse im Blick, die das bewerkstelligen könnte – die Besitzlosen. Hofmannsthal blieb in seiner Kritik auf halber Strecke stehen, deswegen spricht er von „konservativer Revolution“ und nicht von „proletarischer Revolution“. 1920, als der „Jedermann“ in der Regie von Max Reinhardt erstmals in Salzburg aufgeführt wird, erscheint auch „Das ABC des Kommunismus“, es sind zwei gegensätzliche Entwürfe einer Krisenzeit.

Was auf den ersten Blick befremdet, ist nur folgerichtig: „Jedermann“ und der Klimaaktivismus der „Letzten Generation“ treffen sich in ihrem plumpen Moralismus, im Predigtton ihrer Kritik, in ihren gesellschaftspolitisch leeren Appellen zur Umkehr, wie man sie bereits von den Befürwortern einer geistig-moralischen Wende durch die Seuchenzwangsmaßnahmen gehört hat. Den Einzelnen wird mit Angst, Tod und Untergang gedroht, nur die Einsicht ins Bessere durch Vernunft wird ihnen nicht in Aussicht gestellt.

Der beste Einfall des Abends ist – kaum zu glauben, aber wahr – die fingierte Sprühattacke. Andere gute Momente gibt es zwar auch: Sarah Viktoria Frick in der Doppelrolle als Gott und Teufel zeigt wieder einmal, dass sie Komödie wie niemand sonst kann. Anja Plaschg, bekannt als die Musikerin „Soap & Skin“, gibt dem Glauben etwas Sphärisches. Und Nicole Heesters, Jedermanns Mutter, stand bereits 1973 als Buhlschaft auf der Bühne, die dieses Mal von Valerie Pachner („Ein verborgenes Leben“) verkörpert wird. Doch „Jedermann“ als Klassiker der aktivistischen Superreichenkritik und geheimes Lieblingsstück der „Letzten Generation“, das ist nun wirklich etwas Neues.

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