Hätte Kaspar Hauser ein Alphabet erfunden, dann wäre es womöglich Alexi Tsioris’ Bildern ähnlich: fröhlich und ungeniert, fern aller Vorschriften und Regeln, aus der eigenen Unschuldsempirie entwickelt. Tsioris organisiert auf seinen Leinwänden immer wiederkehrende, in mal kryptische, mal konsequente Zusammenhänge gestellte Zeichen.
Sind es Archetypen, die in ihrer formalen Reduktion jedermann verständlich sind? Oder sind es Chiffren, einem assoziativ kompilierten, aber strikt fiktiven Katalog entnommen? Ornamente, die selbsterklärend (oder nicht) in gebührendem Abstand voneinander auf der Leinwand zu fliegen scheinen? Tsioris buchstabiert ein flüchtiges Alphabet. Wörter werden aus den Zeichen nicht, vielmehr fein konstruierte Fetzen der Imagination.
Für diese Mischtechniken (4000 bis 14.000 Euro) braucht es die Rückseite (!) einer Leinwand, Ölfarbe, Pinsel, Spachtel, Finger und viel Leerraum, der den einzelnen Objekten plastische Wirkung verleiht. Nur manchmal touchieren sie einander, aber immer streben sie eine Wechselwirkung an. Der spielerische Gestus – vermeintlich zufällig wie bei Kaspar Hauser – ist stringentes Programm des 1982 in Athen geborenen, lange schon in München lebenden Künstlers.
Das beschreibt auch Tsioris’ Herangehensweise an Monotypien (3000 Euro), wiewohl hier andere technische Voraussetzungen zu einem weit weniger kontrollierten Ergebnis führen. Grundsätzlich wird für eine Monotypie ein Motiv etwa auf eine Glasplatte mit Farbe aufgetragen. Ein Papier wird darübergelegt, das Motiv daraufgepresst. Das Papier wird abgezogen, entstanden ist ein Abklatsch mit Unikatcharakter.
Bedeckt der Künstler die Platte mit Ölfarbe, legt darauf das Papier und zeichnet auf die ihm zugewandte Fläche, graviert sich das Motiv in die Farbschicht der Unterseite. Wiederholt er diesen Vorgang, entsteht eine dichte, wie im Verborgenen eingeschriebene Zeichnung. Mit ihren reliefartig anmutenden Linien und Figuren verweist diese komplexe Variante der Monotypie unmittelbar auf die dritte Dimension von Tsioris’ künstlerischer Arbeit, die Plastik.
Der 1982 in Athen geborene, lange schon in München lebende Künstler war Meisterschüler des Bildhauers Niklaus Gerhart und bleibt auch in seinen Skulpturen im präzise formulierten Ungefähren. Das ist kein Widerspruch in sich, das ist Strategie.
Organische bronzene Pflanzenwesen tanzen anmutig mal in Zwillingsformation, mal vereinzelt auf grob zusammengeschusterten Stelen und geben der Ausstellung in der Galerie Jahn und Jahn mit dem ironischen an Lion Feuchtwangers bösen München-Roman „Erfolg“ angelehnten Titel „Bauen, Brauen, Sauen“ (bis 12. August 2023) das spottgesättigte, choreografisch ausgefeilte Rückgrat.