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Meinung Zum Rücktritt von Oliver Zille

Leipzig liest – und hat dank ihm überhaupt noch eine Buchmesse

Redakteur im Feuilleton
Oliver Zille, Direktor der Leipziger Buchmesse, tritt zurück Oliver Zille, Direktor der Leipziger Buchmesse, tritt zurück
Oliver Zille (63), Direktor der Leipziger Buchmesse, tritt zurück
Quelle: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild/Sebastian Willnow
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Oliver Zille hört nach 30 Jahren als Direktor der Leipziger Buchmesse auf. Er hat eine Ära geprägt und das größte Lesefestival Europas etabliert. Dass Deutschland eine zweite Buchmesse neben Frankfurt behielt, war alles andere als selbstverständlich.

Das schönste Geschenk zum Abschied hat er sich in diesem Frühjahr selbst gemacht. Dass „seine“ Leipziger Buchmesse nach dreimaliger Absage wegen Corona überlebt hat, dass sie dank des Besucherzuspruchs sogar höchst lebendig wiederauferstanden ist, das wird Oliver Zille mehr als erleichtert zur Kenntnis genommen haben. Der traditionell im März gelegene Termin der Leipziger hatte das Pech, von 2020 bis 2022 gleich dreifach hintereinander in die Pandemiemühle geraten zu sein. Dass das Publikum trotz mehrjähriger Entwöhnung massenhaft wiederkam, war auch Zilles Erfolg, denn er musste im Vorfeld um jeden Aussteller kämpfen.

Mancher Controller im Verlagswesen hätte sich der Leipziger Buchmesse wohl am liebsten für immer entledigt. Doch Kämpfen war Zille, der die Buchmesse seit 1993 geleitet hat und nun – „aus persönlichen Gründen“, wie die Leipziger Messe bekannt gab – zum Jahresende aufhört, während seiner langen „Amtszeit“ gewohnt. 30 Jahre sind eine mehr als verdienstvolle Ära geworden. Dass die Leipziger Buchmesse – traditionsreich seit Jahrhunderten, so wie die Stadt jahrhundertelang das Zentrum der deutschen Verlags- und Buchindustrie war – nach dem Ende der DDR überlebte und ein neues Profil fand, verdankt sich ganz wesentlich ihm.

Zwei Buchmessen sind eine zuviel

Wer braucht zwei Buchmessen in Deutschland? Diese Frage stellte sich seit Beginn der 1990er-Jahre. Leipzig war nach der deutschen Wiedervereinigung als klassisches Ost-West-Schaufenster obsolet geworden, Deutschland hatte und hat mit Frankfurt eine bestens etablierte und wirtschaftlich bedeutende Buchmesse (die weltgrößte!), wozu ein zweites Branchentreffen für Verträge und Lizenzen? Indem man es genau nicht als solches positioniert, sondern als Lesefest fürs Publikum, als Marketing-Plattform für die Branche, als „Event“.

Oliver Zille hat seit 1992 „Leipzig liest“ etabliert: Die ursprünglich vom Club Bertelsmann initiierte Idee, ein Lesefest als Marketing-Verstärkung für Bücher zu etablieren, hat Zille über die Jahre zum größten Lesefestival Europas ausgebaut. Die Idee, Bücher und Autoren an den ungewöhnlichsten „Locations“ in Szene setzen, die Buchmesse also barrierefrei mit einem überbordenden Angebot an Gesprächen und Lesungen zu einem Großereignis in einer Großstadt und Region zu machen („Halle liest mit“), wurde zum kulturellen Standortfaktor von wirtschaftlicher Bedeutung. Wer Zilles 30-jährige Ära an der Spitze der Leipziger Buchmesse würdigen will, kann diese Idee, das Messegeschehen auch und nachhaltig in der Stadt zu verankern, nicht überschätzen.

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Heute ist „Leipzig liest“ für viele Buchfans ein fester Termin im Jahreskalender des Kulturjahres. So wie Bayreuth die Wagnerianer, Basel die Kunstsammler und Frankfurt die globalen Literaturagenten und Lizenzhändler anzieht, so besuchen die Leipziger Buchmesse Leser aus dem gesamten deutschsprachigen (und auch osteuropäischen) Raum. Oft sind es solche, die beruflich gar nichts mit Büchern zu tun haben, außer dass sie gern lesen, manche nehmen für das Event im Bücherfrühling sogar eigens Urlaub. Die Stadt Leipzig und Ostdeutschland (immerhin das gewesene „Leseland DDR“) können Zille gar nicht dankbar genug sein, die auch historisch bedeutsame Marke Leipziger Buchmesse in der Gegenwart gehalten zu haben. Sicher war es auch ein Glücksfall, dass mit Zille ein gebürtiger Leipziger den Job versah – ausgebildeter Buchgroß- und Außenhandelskaufmann mit Gespür für – und Wissen um – lokale Befindlichkeiten. Er wollte, sagte er vor etlichen Jahren mal in einem Interview, immer zur Messe, weil seine Eltern zu DDR-Zeiten Messegäste beherbergten. Die Bücher und das Lesen waren ihm gar nicht von klein auf in die Wiege gelegt.

Offen für neue Zielgruppen

Zille hat seine Buchmesse früh für neue Zielgruppen geöffnet, Stichwort Mangas und Cosplay, und zwar zu Zeiten, als man in Frankfurt wie im deutschen Feuilleton noch die Augenbrauen hochgezogen hat über diesen „Bücherkarneval“, der letztlich aber Bilder produziert für das Buch in unserer Mediengesellschaft. Längst läuft auch Frankfurt nebenher als Manga-Kostümshow, längst hat auch die dortige Buchmesse ihre Publikumsausrichtung durch ein begleitendes Lesefest („Open Books“) gestärkt. Denn Business-Messen als räumliche Veranstaltungen können ganz schnell schrumpfen oder schwinden, wenn die Geschäftsgrundlagen sich ändern oder ins Digitale abwandern.

Ein Publikums-Event, das Lesebegeisterte aller Couleur und Generationen und nicht zuletzt Schulklassen versammelt, generiert von ganz alleine Geschichten. Zumal die (weniger privaten als massenmedialen) Narrative einer Buchmesse auch ruckzuck politisch überlagert sein können: Wie Zilles Team die Politisierung des Literaturbetriebs (Stichwort: Neue Rechte) in den unmittelbaren Jahren vor der Pandemie weitgehend souverän gemanagt und die Buchmesse als gesellschaftliches Forum ausgebaut hat, zeigt, dass die Herausforderungen fortlaufend sind.

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Man mag die Kulturmanager der deutschen Buchbranche – ähnlich wie Zille, aber globaler wirkt in Frankfurt ja auch Messechef Juergen Boos – für ihr Nonstop-Netzwerken belächeln. Aber man darf diesen Job auch mal bewundern, denn er hat, nicht nur während der eigentlichen Veranstaltung, sondern auch den ganzen Rest vom Jahr, etwas von einem Zirkusdirektor in einer traditionell eigensinnig und kleinteilig bis mittelständisch vielfältig – mit einem modischen Wort: divers – geprägten Branche, die bei aller Kritik an ihrer Piefigkeit kaufmännischer aufgestellt ist als die meisten anderen Kultursparten.

Buchmessen sind ein wunderbarer gesellschaftlicher Ort für Diskurs, Entdeckungen, Selbstverwirklichungen, wieder könnte man neudeutsch sagen: Empowerment. Sie in Zeiten wachsender gesellschaftlicher Spaltung als Forum zu erhalten und weiterzuentwickeln, lautet die Jobbeschreibung, auch für Zilles Nachfolger. Wer das wird, ist übrigens noch nicht bekannt.

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