Als Archäologen in Pompeji neue Wandmalereien in einem seit bald 2000 Jahren verschütteten Wohnviertel freilegten, lief ihnen jüngst das Wasser im Mund zusammen. Neben einem Weinkelch und allerhand Früchten lachte sie auf einem Prunkteller eine Pizza an. Damit ist bewiesen: Der knusprige Teigfladen gehört zusammen mit der Demokratie, der Fußbodenheizung, der Philosophie und dem Wasserklosett zu den Errungenschaften der Antike, auf die wir Europäer bis heute stolz sein können – mehr jedenfalls als auf Sklaverei und Gladiatorengemetzel.
In Neapel, woher die heutige Pizza stammt und erst 2017 von der Unesco als leckeres Erbe der Menschheit prämiert worden ist, betrachtet man den Sensationsfund der Archäologen etwas differenzierter. Weil auf dem Bild weder Tomaten noch Mozzarella zu erkennen seien, so die neapolitanische Lokalausgabe des „Corriere della Sera“, gehe das Gericht eher als „Focaccia“ durch, also als Teigfladen, der allenfalls als Vorläufer des globalen Ofenschmauses zwischen Holzofen- und Tiefkühlpizza zu betrachten sei.
Tomaten in einem Imbiss in Pompeji wären in der Tat eine Sensation gewesen, denn dann hätten die alten Römer nicht bloß – was erwiesen ist – China gekannt, sondern sogar Amerika; die Speisetomate stammt aus Mexiko, und der Name bedeutet „dickes Wasser“. Weil soviel präkolumbianisches Küchenlatein dann doch des Guten zu viel wäre, werden die augenfälligen Fruchtbeilagen auf der antiken Pizza von Kennern als Datteln und Granatapfel gedeutet. Versuche, eine gelbe Zutat als Ananas zu klassifizieren und damit die Pizza Hawaii um knapp 2000 Jahre zurückzudatieren, müssen als gescheitert betrachtet werden.
„Zwischen dem Bäuerlichen und dem Heiligen“
Das heißt allerdings nicht, dass das Teiggericht namens Pizza ohne exotischen Stammbaum auskäme. Geschichtsschreiber der Kulinarik leiten den Teigfladen aus der griechischen Küche ab. Aus dem heute noch bekannten Pitabrot gelangte die Leckerei ins damals griechische Neapolis und setzte sich als Pizza in Italien fest, um ab 1900 von Neapel aus erst den Mezzogiorno und dann den gesamten Planeten zu erobern.
Dass Obst als Belag ins Süßliche deutet, passt gut zur Vorgeschichte des Gerichtes. Denn bereits im 18. Jahrhundert liebte man in Neapel die Pizza als eine Art Dessert, angerichtet mit Zuckerwerk und Früchten, wie schon der Feinschmecker Alexandre Dumas vor über 150 Jahren in seinen italienischen Reisenotizen vermerkt. Auch die Lokalität der antiken Pizzeria passt zur Überlieferung. Die „Insula X“, in welcher das Fresko auftauchte, war nämlich ausgestattet mit einer Bäckerei. Weil die gewöhnlichen Römer keine eigene Küche hatten und sich ähnlich wie heutige Nerds auf der Gasse mit Fast Food ernährten, kam es zwangsläufig zur Evolution des praktischen Teigfladens.
Pompejis Direktor Gabriel Zuchtriegel sieht die Ikonografie des Bildes, das immerhin einen Silberpokal zeigt, irgendwo „zwischen dem Bäuerlichen und dem Heiligen“ angesiedelt. Damit wurde der Werdegang der Pizza, die bis heute als kalte Atzung von Bauern auf dem Acker dient und auch von Sterneköchen nicht verschmäht wird, optisch ausgeschritten. Noch etwas Geduld, und beim Italiener um die Ecke steht eine „Pizza Pompeji“ auf der Speisekarte: mit Datteln und Granatapfel und ohne Oberhitze vom Vesuv hoffentlich nicht gar zu angebrannt.