Den Blick auf die Quadriga auf dem Brandenburger Tor trübt nur der Starkregen, der gerade vom Himmel herunterrauscht. Quadriga hieß bis gestern auch die Rotunde über der amerikanischen Botschaft am Pariser Platz. Nun heißt der Raum mit Zugang zur Dachterrasse und dem imposanten Blick über das politische Berlin offiziell „John F. Kennedy Forum“.
Zum Abschluss der Veranstaltungen rund um den 60. Jahrestag der berühmten „Ich bin ein Berliner“-Rede des 35. Präsidenten der Vereinigten Staaten wurde die Rotunde umbenannt. Am 26. Juni 1963 hatte John F. Kennedy der Bevölkerung der damaligen Frontstadt West-Berlin versichert, dass die USA aller Tyrannei entgegentreten, die Demokratie und Freiheit in Deutschland verteidigen werde.
Sechzig Jahre später hätten Kennedys vier Worte „nichts an Relevanz eingebüßt“, sagte US-Botschafterin Amy Gutmann und bekräftigte den Anspruch, sie auch als aktuelle Botschaft zu verstehen, dass heute „Amerikaner, Deutsche und Menschen aus aller Welt die Ukraine unterstützen angesichts von Putins unmoralischem und brutalen Angriffskrieg“. Gutmanns Paraphrase „Wir sind Ukrainer“ wurde von den gut hundert geladenen Gästen aus Gesellschaft und Wissenschaft mit großem Beifall quittiert.
Gefahren von heute, Hoffnungen von morgen
Höhepunkt des Festakts war die Enthüllung eines neuen JFK-Porträts. Der amerikanische Künstler Shepard Fairey stilisierte dafür ein Foto aus Kennedys Wahlkampf um die Präsidentschaft im Jahr 1960 in Pop-Art-Manier: Wir sehen den Politiker als Visionär, wie er aus klaren Augen nach oben schaut; im Hintergrund scheinen Zeitungsschlagzeilen und handschriftliche Notizen auf.
Untertitelt ist das plakative und durchaus pathetische, in die Nationalfarben Blau, Weiß und Rot getauchte Porträt mit einem Zitat aus Kennedys Berliner Rede: „Ich möchte Sie bitten, Ihren Blick über die Gefahren von heute hinaus auf die Hoffnungen von morgen zu heben.“
Eine tatsächlich sehr aktuelle Aufforderung, die auch der Künstler teilen kann. Shepard Fairey gehörte Ende der 1980er-Jahre zur Street-Art-Szene und erregte mit Postern und Stickern mit dem Schriftzug „OBEY“ (Gehorche) erstes Aufsehen. Seine die Propaganda-Ästhetik parodierende Aufkleberkampagne verbreitete sich rund um den Globus. Wirklich bekannt wurde Fairey dann aber mit seinem ikonischen Plakat „HOPE“, mit dem er in Eigenregie den Präsidentschaftswahlkampf von Barack Obama im Jahr 2008 unterstützte.
Shepard Fairey nimmt die Perspektive von außen ein
„Das Obama-Plakat war reine Graswurzelarbeit“, sagt Fairey im Gespräch mit WELT, „erdacht von einem Außenseiter.“ Heute verfolge er zwar immer noch die Perspektive des Außenstehenden, aber er habe gelernt, das gesamte Spektrum zu sehen. „Viele Außenseiter sind wütend, aber sie engagieren sich nicht.“
Die wirkliche Arbeit werde von Leuten wie John Lewis, dem 2020 verstorbenen Bürgerrechtler, von Politikern wie Obama oder dem aktuellen Präsidenten Joe Biden gemacht. „Sie haben den moralischen Ehrgeiz, um all den Schlammschlachten, die die Politik hervorbringt, standzuhalten und für das Wohl der Allgemeinheit durchzustehen.“ Es brauche Menschen, die sich dem öffentlichen Dienst verschrieben haben, und die wolle er unterstützen.
Als Shepard Fairey sich vor fast 35 Jahren erstmals öffentlich einmischte und seine OBEY-Aufkleber bald weltweit auf Hauswänden, Straßenlaternen und Verteilerkästen klebten, stand er unter dem Einfluss von Martin Heideggers Phänomenologie, als einem „Prozess, die Dinge sich selbst offenbaren zu lassen“.
In einem Manifest erklärte Fairey im Jahr 1990, die eigentlich bedeutungslosen Sticker seien dazu da, „die Neugierde zu wecken und die Menschen dazu zu bringen, ihre Beziehung zu ihrer Umgebung zu hinterfragen“. Nur „paranoide oder konservative Betrachter“ würde die subversive Aktion „im Namen des Spaßes und der Wahrnehmung“ verwirren oder als Vandalismus verstehen.
Stolz auf die USA
Sein John-F.-Kennedy-Porträt wurde nun im Namen des amerikanischen Außenministeriums in Auftrag gegeben. Es ist Teil der Staatssammlung „Art in Embassies“, aus deren Bestand US-Botschaften und Botschafterresidenzen mit Kunstwerken ausgestattet werden können. Das kuratierte Programm wurde ebenfalls 1963 unter Kennedys Präsidentschaft gegründet.
Ob Shepard Fairey, der ehemalige Underground-Aktivist sich heute als Botschafter des Patriotismus fühle? Ein Nationalist sei er jedenfalls nicht, sagt der 53-Jährige. Er verstehe sich als Weltbürger. „Aber ich bin ein Patriot in dem Sinne, dass ich stolz auf das sein möchte, was die Vereinigten Staaten tun. Und wenn sie Dinge tun, auf die ich nicht stolz bin, möchte ich sie ändern.“