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Kultur Capri, Bum Bum & Co.

Welches Eis bin ich?

Milcheis oder Wassereis, das ist hier die Frage Milcheis oder Wassereis, das ist hier die Frage
Milcheis oder Wassereis, das ist hier die Frage
Quelle: RooM/Getty Images
Ob Capri, Mini Milk oder Brauner Bär: Jeder kennt eine klassische Eissorte, welche die Erinnerung explodieren lässt, sobald man nur an sie denkt. Da können die neuen, ausgefallenen Variationen nicht mithalten. Denn ihnen fehlt etwas Entscheidendes.

Erdbeer-Mascarpone, Waldbeer-Kumquat, Minze-Tonka-Vanille? Wer heute Eis essen geht, hat die Qual der Wahl zwischen handgefertigten Sorten, die sich mit ausgefallensten Aromen überbieten. Doch hinterlassen all diese hochindividuellen Geschmacksrichtungen einen bleibenden Eindruck, der im Verhältnis zum oft astronomischen Preis steht?

Viel tiefer im Gedächtnis haften die standardisierten Industrie-Eissorten, für die wir in der Kindheit das erste Taschengeld ausgegeben haben! Die tiefblauen Langnese- und Schöller-Übersichtstafeln, die an jedem Freibadkiosk im Fenster hingen, prägten das Lebensgefühl endloser Sommer – und hinterließen Spuren im kollektiven Unbewussten unterschiedlichster Generationen, von den Boomern bis zur Gen Z.

So wie Marcel Proust in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ eine Kindheitswelt aus dem Geschmack eines in den Tee getunkten Madeleine-Gebäcks rekonstruiert, so kennt jeder eine klassische Eissorte, welche die Erinnerung explodieren lässt, sobald man nur an sie denkt. Eine sehr persönliche Sammlung.

Cuja-Mara-Split

Mit diesem Eis muss man sich nicht entscheiden
Mit diesem Eis muss man sich nicht entscheiden
Quelle: Langnese

Die Welt des Eises zerfällt in zwei Hemisphären, die einander fremd, ja sogar feindlich gegenüberstehen. Auf der einen Seite das Milcheis: eiweißreich, nahrhaft und eher organisch. Auf der anderen das Wassereis: kühl, zuckrig und eher chemisch. Hier: Trägheit und Befriedigung, dort: Erfrischung und Aufregung. Es gab Milcheismenschen und Wassereismenschen – und es gab solche, die sich nicht entscheiden konnten oder wollten. Für diese Splittergruppe war Cuja-Mara-Split das perfekte Eis: außen eine Schicht aus Maracuja-Wassereis, die in synthetischem Orange leuchtete und an der die Zunge beim ersten Kontakt mit einer pelzigen Empfindung festklebte – dann aber in der Sonne sofort zu dicken, klebrigen Tropfen zerfloss, um darunter einen Kern aus sahnigem Vanille-Milcheis freizulegen, das im Mund bereitwillig mit dem fremden Element verschmolz. Ein Erlebnis gelungener Alchimie, das die Spaltungen der Welt in sich aufhob – und einem für ein paar hochsommerliche Minuten die Illusion vermittelte, dass man immer, wenn man die Wahl hat, einfach beides bekommen kann. Andreas Rosenfelder

Tigerschwanz

Hier liegt das Versprechen doppelter Exotik
Hier liegt das Versprechen doppelter Exotik
Quelle: Langnese

Wer Mitte der 80er-Jahre in bohemistischen Bürgerverhältnissen fünf Jahre alt war, dem versprach das Tigerschwanz-Eis die doppelte Exotik: das nie gesehene Dschungeltier in Gestalt eines schwarzbraun-orangefarben gestreiften Stücks Kälte. Hinter dem Orange ließ sich vage der Geschmack von Fanta erahnen, im Schwarzbraun, wie im Dunkel eines Gebüschs, wartete die ansonsten verbotene Cola. Mara Delius

Dolomiti

Grelles Design der 70er Jahre
Grelles Design der 70er Jahre
Quelle: Langnese

Zwischen Capri, der Stileis gewordenen Italiensehnsucht der 50er-Jahre, und Dolomiti, seinem legitimen Nachfolger, liegt eine Kulturrevolution, die auch im grellen Design der 70er-Jahre ihren Ausdruck fand. Das Dolomiti, 1973 aus der Taufe gehoben, ist die Wassereis-Entsprechung des Panton Chair: maximal künstlich, maximal bunt und in der Formensprache so exzentrisch, wie es nur die Dekade der Schlaghose und psychedelischen Tapete sein konnte. Ein Dolomiti zu schlecken war, dazu passend, ein lebensmittelchemischer Trip: vom noch vage naturgemäßen Zitronengeschmack der Gipfel über ein Himbeererlebnis, das keiner real existierenden Beere entsprach, bis zum Waldmeister, in das man, weil es schon tropfte, schließlich biss und das geschmacklich nur aus dem Replikator des Raumschiffs „Enterprise“ stammen konnte.

1987 allerdings war es damit so vorbei wie mit der Kulturrevolution, weshalb die Geschichte der Dolomiti-Nostalgie heute länger als die Dolomiti-Story ist. Alle Revivals schlugen fehl: Erdbeer statt Himbeer in der Mittelschicht war der erste Fehler, und Waldmeister durch Stachelbeer zu ersetzen muss die langneseste aller Sünden sein. Sollten Sie also auf ein selten gewordenes Dolomiti stoßen: Das beste Eis aller Zeiten bleibt eines der Erinnerung. Wieland Freund

Bum Bum

Zuckrige Perversität
Zuckrige Perversität
Quelle: Schoeller

„It’s about to get dirty“, könnte man mit Brantley Gilbert sagen. Eisgenuss ohne Folgen? Das war mit Bum Bum nicht zu haben. Die Zunge knallrot vom Farbstoff, die Zuckerglasur bis zum Ellenbogen herabgelaufen, die Vanilleeiscreme spätestens beim Versuch, das hellblaue Plastik vom Kaugummistiel zu zuppeln, über alle zehn Finger verteilt. Der Kindertraum erwies sich rasch als Albtraum für Eltern: Alles klebt! Die enorme Faszination, die von Bum Bum ausging, ist schwer zu erklären. Nicht nur war es zu bunt und zu süß, gerade der Kaugummi (auf den es ja ankam!) war eine einzige Enttäuschung. Das Zuckrige war in Sekundenschnelle verschwunden, es blieb der schale Geschmack von Pappe.

Man könnte es als eine Lektion über das Genießen schlechthin begreifen. Was einen immer wieder zum Bum Bum und somit in den mehr oder weniger lustvollen Wiederholungszwang trieb, war nicht die Sache selbst, sondern was damit einherging. Die Lust, sich durch die grelle Farbe wie durch das schönste Rot des Lippenstifts blenden zu lassen, das Vergnügen, auch dorthin zu greifen, wo es richtig klebrig wird, das Verlangen, sich das Ding bis zum letzten Bisschen einzuverleiben. Und wofür? Was will die Lust? Das wissen selbst die Erwachsenen nicht.

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Dass diese zuckrige Perversität tatsächlich einen Tennisschläger darstellen sollte, war damals niemandem bekannt, erkennbar war es auch nicht. Ebenso wenig, dass der Name von „Bum-Bum-Boris“ Becker kam, was nicht die Besenkammer, sondern Wimbledon meinte. Das alles war völlig egal. Überhaupt nicht egal war, als eines Tages die Größe reduziert wurde. Weniger Genuss, weniger Sauerei? Im Nachhinein erscheint es als eines von vielen Zeichen, dass die unschuldigen Zeiten vorbei waren, in denen das Genießen noch sein durfte. Jakob Hayner

Mini Milk

Eine Ode an das Wesentliche
Eine Ode an das Wesentliche
Quelle: Langnese

An minimalistischer, zeitloser Klassik ist ein Mini Milk kaum zu übertreffen. Genügsam kommt es mit einer einzigen Farbe (vanilleweiß, erdbeerrosa oder schokobraun) und einer simplen Form aus. Geradlinig, aufrichtig und ehrlich. Die Revolution liegt in seiner Nacktheit: kein schützender Schokoladenüberzug, keine kontrastreiche Waffel, kein Karamellkern, zu dem vorzudringen wäre. Als ob man in einen frischen Schluck Milch beißt. Auch in preislicher Hinsicht überzeugt die Stange mit Bescheidenheit: Mittlerweile kostet ein Exemplar 50 Cent, früher bekam man es für 30 Pfennig. Noch heute, wo das gesundheitliche Urteil über Kuhmilch längst gefallen zu sein scheint, wirbt Langnese für den Calcium-Reichtum und den Verzicht auf künstliche Farbstoffe und Aromen.

Selbst wenn man irgendwann groß und reich genug war für die über einen Euro teuren Cornetti und die noch teureren Magna, sehnte man sich eigentlich nur zurück nach der ursprünglichen Einfachheit, die im weißen, milchähnlichen Vanilleeis in besonderem Maße zu sich selbst fand. Das lag natürlich auch daran, dass Mini Milks ihrem Namen alle Ehre machten und stets zu klein waren, sodass nach dem Verzehr – und so funktioniert schließlich Begehren – der Appetit keineswegs gestillt, sondern gerade erst angeregt war. Mini Milk ist eine Ode an das Wesentliche, ein stiller Protest gegen den Exzess, ein Moment der Ruhe in einer immer komplexer werdenden Welt. Marie-Luise Goldmann

Capri

Die Zukunft dieser Sorte ist sicher
Die Zukunft dieser Sorte ist sicher
Quelle: Langnese

Am Anfang war Capri. Von all den Eissorten, die hier gefeiert werden, kam es als Erste auf den Markt. Und es war oft auch das erste Stieleis für ein Kind, weil es so günstig war. Der Name verrät schon sein Alter: Die Insel Capri war Chiffre deutscher Italiensehnsucht in den 50er-Jahren. Das begann mit Rudi Schurickes Lied über die „Caprifischer“ („Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt …“) und dauerte mindestens bis zum Ford Capri 1968. Aber das Eis Capri ist aus Wasser – nicht gerade der Inbegriff italienischer Gelato-Kultur. Ein typischer Widerspruch der Nachkriegsitalophilie: Man konnte sich das, wonach man sich sehnte, nur bedingt leisten.

Doch ausgerechnet die Abwesenheit von Sahne oder Eis führt dazu, dass sich Capri heute als vegan vermarkten lässt – Hauptbestandteil ist Orangensaftkonzentrat. Deshalb ist Capri jetzt wieder so ein faszinierender Widerspruch: ein veganes Produkt, das auch Boomern nach Kindheit schmeckt. Die Zukunft von Capri ist also sicher. Es ist wie die Kellerassel unter den Eissorten. Von den Krebstieren, die schon vor 160 Millionen Jahren existierten, sagt man, sie würden auch die atomare Apokalypse überleben. Und so wird Capri, das vor allen anderen Eissorten da war, auch noch da sein, wenn die übrigen längst verschwunden sind. Matthias Heine

Brauner Bär

Ein Eis der inneren Widersprüche
Ein Eis der inneren Widersprüche
Quelle: Langnese

Wenn die Oma einen dieser öden heißen Sommerferientage mit einer Mark versüßen wollte, dann reichte das für den Eintritt ins Freibad und für einen Braunen Bär. Für 50 Pfennig gab es am schmuddeligen, nach Kleinkriminalität, Motoröl und Lederjacke riechenden Schwimmbadbüdchen ein Eis der inneren Widersprüche: Der hart gefrorene Schokoladenüberzug, der am besten schmeckte, wenn er in der Sonne schon leicht geschmolzen war, das eher banale Karamelleis darunter und schließlich, Essenz und Telos zugleich: die überraschend zähe Karamellfüllung, des Braunen Bären ungeduldig erwarteter Wesenskern. Der allerdings klebte am Stil, und wenn beim Abschaben die Schneidezähne auf das Holz trafen, fühlte ich ein Schaudern: Ein Genuss, der stets schon am Rande der Reue balancierte und umso heikler wurde, je weniger übrig war. Also galt es, das Erreichen jener kritischen letzten Phase des Eisessens möglichst lange hinauszuzögern. Dieser wunschlos glückliche Augenblick des Bären, wäre er doch nie ans Ende des Stiels gekommen. Richard Kämmerlings

Solero Shots

Diese Sorte lässt sich lutschen, beißen und kippen
Diese Sorte lässt sich lutschen, beißen und kippen
Quelle: Kay Nietfeld/picture-alliance / dpa

Im Freibad gibt es drei Arten von Glitzern. Die Sonne auf dem Wasser, während sie untergeht. Die Tropfen auf der Haut. Und die grünen Kügelchen, die man beim Eisessen auf dem Beckenrand verteilt. Solero war das coolste aller Eise. Neben Lutschen und Beißen standen einem eine Vielzahl an Variationen offen. Man konnte die grünen Kügelchen auf der Zunge arrangieren und dann platt drücken. Oder sich den Inhalt der kleinen Plastikpackung schwungvoll in den Rachen kippen, wie es die Männer mit ihren Drinks an den Tresen in Westernfilmen taten. Dabei schmeckte das grüne Zeug so fruchtig erfrischend, als hätte man tatsächlich was getrunken. Der leicht chemische Nachgeschmack gehörte zum Charme, das Zermalmen war der beste Teil. Solero war ein Sommer voller Möglichkeiten. Lena Karger

Eiskonfekt

Der Tomatensaft des Kinos
Der Tomatensaft des Kinos
Quelle: Schoeller
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Es gab eine Zeit, da war Eiskonfekt der Tomatensaft des Kinos. Etwas, das man nirgendwo sonst essen würde. Wer würde sich schon daheim Tomatensaft ins Glas schütten? Das Zeug trank man bloß im Flugzeug. Und schon da wusste man nicht, warum man das eigentlich tat. Mit dem Eiskonfekt – zehn Bollen, pseudoluxuriös geformt aus einer Art Formvorderschinken von minderwertigem Vanilleeis, umhüllt von einer Art Analogschokolade – verhielt es sich ähnlich. Zwischen Werbeblock und Film kamen Menschen mit Bauchläden und gingen durch die Reihen und riefen: „Möcht’ jemand Eis?“ Und dann nahm man halt das Eiskonfekt, weil man ja zu zweit war, und dieses Zeug im Schuber bestens geeignet war zum Charaktertest fürs später geteilte Leben.

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Weil’s dunkel war im Kino, musste man Vertrauen haben und mitzählen. War der Test bestanden, ging irgendwann aber der richtige Ärger erst los. Aus zwei Eiskonfekt-Afficionados (zehn durch zwei ist fünf, kann jeder dividieren) im Kino wurden vier (zehn durch vier geht immer schief) – zwei Kleine, zwei Große – im Strandbad. Und die stritten sich. Mussten noch eine Packung kaufen (zwanzig durch vier ist fünf, kann jeder). Und wurden immer dicker. Und wenn sie nicht gestorben sind, blieben sie zusammen und aßen das unteilbare Magnum. Jeder für sich. Elmar Krekeler

Cornetto Bottermelk Fresh

Ungekrönter König des Cornetto-Clans
Ungekrönter König des Cornetto-Clans
Quelle: Langnese

Der Halbkreis der Cornettos bildete schon damals, als die Sommer noch ewig währten, auf den Langnese-Werbetafeln die Aristokratie. Leicht spöttisch thronten die stolzen Waffeln über dem Proletariat im PR-Keller. Dort unten explodierten die Farben und Formen wie in einer Primark-Filiale – oder sagen wir, um zeitgenössisch zu bleiben, in einem 99-Pfennig-Laden. Oben dominierte die mathematische Strenge perfekter Kegel, und man trug zarte Streifen zur weißen Weste. Der ungekrönte König des Cornetto-Clans war die Geschmacksrichtung Bottermelk Fresh. Denn wenn man dem Königshaus unter den Eissorten etwas nachsagen konnte, dann übergroßes Traditionsbewusstsein. Vanille, Schoko, Erdbeer – ein paar Haselnusssplitter waren schon das Höchste der Gefühle. Bottermelk Fresh fiel so leicht die Rolle des Exzentrikers zu, er war gewissermaßen der Prinz Harry der Tiefkühltruhe. Oder vielleicht handelte es sich auch um eine Sie? Die Mischung aus cremig-saurer Buttermilch und süßsaurer Zitrone schmeckte jedenfalls entschieden unisex. Jan Küveler

Botinchen

Ein Dauergrinsen, das zur Selbstverantwortung erzieht
Ein Dauergrinsen, das zur Selbstverantwortung erzieht
Quelle: Bofrost

Als anthropomorphes Eis, dessen mehrfarbiges Gesicht sich aus Schokoladen-, Erdbeer- und Vanilleeis zusammensetzt, hat das dauergrinsende Botinchen nie die gleiche Strahlkraft entwickelt wie die Kreationen aus der aufwendig beworbene Schöller- und Langnese-Welt, das musste es aber auch nicht. Bofrost-Eis wurde nämlich nicht am Kiosk verkauft, sondern von den Eltern ins unterkellerte Einfamilienhaus bestellt und am immer gleichen Tag vom sogenannten Bofrostmann zugestellt. Anschließend landete es mit Erbsen und Fischstäbchen in der Tiefkühltruhe, aus deren eiskalten Fängen man es sich nach der Schule einfach nehmen konnte. Botinchen, dessen rote Nase ein Kaugummi ist, kann als ländliches bis suburbanes Eis gelten, das zur Eigenverantwortung erzieht. Denn wer schon am Liefertag dreimal in den Schokohut beißt, der hat bald nichts mehr zu lachen. Der Weg zur Tankstelle ist weit. Boris Pofalla

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