Er konnte alles. Das aber erst ab einem gewissen Alter. Natürlich gab es auch einen jungen Peter Simonischek auf der Bühne. Doch gereift zu einem Universalisten des Spiels im Theater, im Kino, im Fernsehen ist er erst im reiferen Mannesalter.
Vielleicht weil diese satte, weiche Stimme, die aber auch laut und durchdringend werden konnte, dann erst besser zu seiner Erscheinung passte und zu den Figuren, die er spielte? Mit der Stimme konnte Simonischek – am 6. August 1946 in Graz geboren – auch wunderbar österreicheln. Was ihn sogar für Dialektproduktionen ideal machte.
Ob Peter Simonischek von 1995 an mit den Kollegen Udo Samel und Gerd Wameling herrlich albern und doch präzise die Pointen setzend mit Yasmina Rezas frecher Betriebssatire „Kunst“ auf einer der längsten Männerboulevardtheatertourneen unterwegs war. Ob er an Berlins Schaubühne in den legendären Steinschen „Drei Schwestern“ deren passiven Bruder Andrei verkörperte.
Ob er immer wieder bei Andrea Breth in Berlin und später am Burgtheater schwere Helden, schwierige Väter, unwiderstehliche Luftikusse gab. Ob er als Jahrzehnte erprobter Salzburger Schauspielprotagonist von 2002 ab für neun Sommer als Jedermann einen jovial-nachdenklichen, nicht allzu sehr vom Ennui angekränkelten Lebemann spielte – so oft wie keiner. Ob er als fremd gewordener Erzeuger (und Musiklehrer) der Unternehmensberaterin Toni Erdmann im 2016 von Cannes aus weltweit Furore machenden Film von Maren Ade seine Filmtochter Sandra Hüller mit einem fiesen Faschingsgebiss und falscher Identität peinlich belustigte.
Ob er als Dirigenten-Maestro alter Schule sich durch diverse Filme taktierte. Ob er sehr musikalisch Walter Jens‘ Rocco-Monolog in konzertanten „Fidelio“-Aufführungen sprach. Oder er sich durch diversen austriakischen Unterhaltungs-TV-Schmarrn charmierte. Peter Simonischek war immer sehr da und sehr besonders.
Eine „Hamlet“-Aufführung, die er mit seinem Vater besuchte, wurde für ihn zur beruflichen Initialzündung. Nach ersten Auftritten am Schauspielhaus Graz erhielt Peter Simonischek ein festes Engagement am Stadttheater St. Gallen.
Von dort wechselte er 1970 nach Bern und kam dann über das Staatstheater Darmstadt ans Schauspielhaus Düsseldorf. Ab 1979 gehörte er 20 Jahre lang dem Ensemble der Berliner Schaubühne an, unter Peter Stein, Klaus-Michael Grüber, Robert Wilson, Luc Bondy und Andrea Breth. 1999 kehrte er nach Wien ans Burgtheater zurück.
Peter Simonischek war, egal ob er unsympathische oder liebeswürdige Rollen spielte, ein sofort präsenter Spieler, wandelbar, doch im Kern sofort identifizierbar. Er war dramatisches Inventar, für den Kenner wie für die Masse, denn er machte – als wahrer Profi – spielend keinen Unterschied. Und er wollte spielen, lesen, mitnehmen, verführen, Applaus bekommen und Preise, viele Preise – das natürlich auch.
Ihm wand die Welt diverse Kränze, verdientermaßen, als Publikumsliebling wie sensitiver Seelenerkunder. „Ich bin so dankbar, dass ich machen kann, was ich liebe“, sagte Simonischek, der dafür unter anderem zwei Grimme-Preise, den Europäischen und den Deutschen Filmpreis heimtrug, über seine Karriere, die die Balance zwischen Bühne, Leinwand und Fernsehschirm scheinbar mühelos könnerisch ausbalancierte.
„Wenn Sie fremd sind, strengen Sie sich mehr an. Im Ausland wird der Turbo gezündet“, sagte Peter Simonischek einmal. Und fühlte sich aber dann, wie so viele Österreicher, die im deutschsprachigen Ausland ihr Karriereglück hatten suchen müssen, endlich angekommen, vollkommen zu Hause.
Mit seiner zweiten Frau Brigitte Karner spielte und rezitierte er sich durch die Sommerfrischefestivals, seinem Sohn Max Simonischek sah er stolz zu, wie dieser im gleichen Beruf reüssierte. Lange schon war er Kammerschauspieler, seit 2019 per Staatsakt zum Ehrenmitglied des Burgtheaters nobilitiert.
„Ich stehe zur Verfügung“, so hieß ganz bewusst ein Gesprächsband mit Andres Müry. Denn anders als der schwierige-esoterische Bruno Ganz oder der schwere Held Gert Voss verkörperte Simonischek in seiner Generation auch in den großen Hauptrollen die Normalos, die nicht unangekränkelt, aber doch mit sich im Reinen waren; selbst als „Der Schwierige“ von Hugo von Hofmannsthal.
Natürlich trug solches zu größeren Bekanntheit und Beliebtheit bei. In diesem Sinne war der bedeutende Theaterdarsteller Simonischek doch auch ein Volksschauspieler. Einer der letzten, universellen seiner Art.
Denn unerwartet ist Peter Simonischek in der Nacht zum 30. Mai im Kreise seiner Familie zu Hause in Wien gestorben. Er wurde nur 76 Jahre alt.