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Kultur „Elemental“

Der neue Pixar-Film schafft das Unmögliche

Redakteurin im Feuilleton
Gegensätze ziehen sich an Gegensätze ziehen sich an
Gegensätze ziehen sich an
Quelle: picture alliance / Everett Collection
Das Warten auf den nächsten Pixar-Film hat ein Ende: In „Elemental“ verlieben sich ein Feuermädchen und ein Wasserjunge ineinander. Wenn sie sich jedoch berühren, stirbt einer von ihnen. Mit diesen Königskindern könnte Pixar endlich wieder an seine größten Erfolge anknüpfen.

Es kann viele Gründe geben, warum es mit der Liebe zwischen zwei Personen nicht klappt: etwa weil die eine Person Meerjungfrau ist und die andere Mensch, die eine Verbrecher und die andere Polizist. Oder, und hier wird es besonders schwierig: die eine Wasser und die andere Feuer. Ja, in Pixars neustem Animationsfilm geht es um die romantische Liebe. Wo in Peter Sohns früheren Hits wie „Findet Nemo“, „Ratatouille“, WALL E“ und „Oben“ eher der Wert der Freundschaft im Fokus stand, widmet sich „Elemental“ jetzt dem klassischsten aller Beziehungsdilemmata: Sind wir kompatibel?

Der Wasserjunge Wade Ripple (Original-Stimme: Mamoudou Athie) verdunstet fast vor Leidenschaft, wenn er sich in die Nähe der heißen Feuerdame Ember Lumen (Original-Stimme: Leah Lewis) begibt. Andersherum könnte er sie mit seiner feuchten Berührung jederzeit auslöschen. Eine Beziehung scheint daher zum Scheitern verurteilt. Zusammengeführt hat sie der Zufall in Form eines Wasserrohrbruchs ins Embers Restaurant, wo ihr Wade geradezu vor die Füße gespült wurde. Jetzt wollen sie Element City, wo verschiedene Wasser-, Erd-, Luft- und Feuerwesen zu Hause sind, gemeinsam vor der Katastrophe bewahren. Denn durch Riesendampfer verursachte Überschwemmungen drohen das Feuerviertel zu zerstören. Nur mit vereinter Kraft können die beiden Freunde das Unheil abwenden.

Wäre da nicht das ein oder andere Zusatz-Problem. Embers Eltern etwa dürfen von ihrer Beziehung zu Wade nichts wissen, da sie Vorurteile gegenüber Wassergestalten hegen – als Wade sich schließlich in der Tarnung eines Lebensmittelkontrolleurs zu der unvorsichtigen Bemerkung hinreißen lässt, das von Embers Vater angebotene Essen würde verwässert noch besser schmecken, erhält der unerbetene Gast endgültig Hausverbot. Wades Familie hingegen empfängt Ember wie eine eigene Tochter – vorsichtig muss sie auf einer Luftmatratze durch das wassergeflutete Wohnzimmer geschoben werden, um nicht aus Versehen in Kontakt mit dem tödlichen Nass zu kommen.

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Zwar strotzen viele der Dialoge vor Selbstverwirklichungs-Kalendersprüchen und Liebesklischees, wie man sie seit Pixars revolutionärem „Soul“ eigentlich hinter sich gelassen zu haben glaubte. Dafür hat die liebevolle Gestaltung von Element City einige schöne Einfälle parat. Der als Sohn koreanischer Einwanderer in New York aufgewachsene Regisseur und Animator Peter Sohn setzt mit der bunten, quirligen und in unterschiedliche Nachbarschaften aufgeteilten Element City seiner Heimatstadt ein Denkmal.

Das Feuerviertel scheint handwerklicher und bodenständiger geprägt zu sein als die wohlhabende, an Manhattans Upper West Side angelehnte Wassergegend. Dass die in Embers Restaurant aufgetischte Nahrung besonders heiß ist, was beim Wassermann körperliche Reaktionen hervorruft, die an das Verspeisen scharfen Essens erinnern, lässt vermuten, es handle sich beim Feuerviertel um Chinatown. Ember soll hier bald den Laden ihrer Eltern übernehmen, für den diese ihr ganzes Leben lang hart gearbeitet haben.

Immer auf Abstand: Wade (l.) und Ember in Element City
Immer auf Abstand: Wade (l.) und Ember in Element City
Quelle: © 2023 Disney/Pixar. All Rights Reserved.

Wade, der aus einem liberalen, reichen Elternhaus stammt, versteht jedoch von derlei konservativen Sentimentalitäten nichts und rät Ember, stattdessen ihrem Herzen zu folgen und für ein Glasbläser-Praktikum in die Ferne aufzubrechen. Dass das Märchen es hier nicht beim bekannten Konflikt zwischen Freiheit und Tradition belässt, sondern die Klassenfrage ins Spiel bringt, ist nur eines von vielen klugen Details, die die Geschichte für die Gegenwart relevant machen. Pixar ist hier ganz in seinem Element: Alles fließt geschmeidig vor sich hin, mal wie ein sanfter Bach, mal wie ein wilder Wasserfall, und ständig sprühen die Funken.

Wie sich Flamme und Flüssigkeit einander immer weiter annähern, ist fast genauso herzerwärmend, wie zu beobachten, wie nah am Wasser die aquatischen Naturen gebaut sind. Es bedarf nur eines falschen Wortes und sie weinen ganze Sturzbäche. Tränenentlocken gilt daher auch als beliebte Partyunterhaltung: Bemerkenswert erscheint, dass die Spielpartner schöne und rührende statt traurige Dinge sagen. Schmetterling, halber Schmetterling, ich liebe dich, sind solche Wörter, bei denen Wassernaturen sich meistens nicht mehr halten können und laut zu schluchzen beginnen.

Ein einzigartiges Wagnis

„Elemental“ feierte bei den Filmfestspielen von Cannes im Anschluss an die Preisverleihung Premiere. Und bot somit den krönenden Abschluss zweier Wettbewerbswochen, die wiederholt um ähnliche Themen kreisten: Liebesaffären älterer Frauen mit minderjährigen Jungen („Last Summer“, „May December“), schräge Ernährungsgewohnheiten („Club Zero“, „La Passion de Dodin Bouffant“), krisenhafte Schulsysteme („Monster“, „Club Zero“), archäologisch motivierte Verfolgungsjagden („La Chimera“, „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“) oder das sich selbst reflektierende Theater im Theater („Il Sol dell’avvenire“, „Asteroid City“).

Dass sich dieser Pixar-Film kaum in Verwandtschaft, sei sie inhaltlicher oder stilistischer Natur, mit einem der anderen Wettbewerbsfilme setzen lässt, zeigt, welch einzigartiges Wagnis Disneys Pixar auch dieses Mal wieder eingegangen ist. Höchstens reicht die in Catherine Breillats „Last Summer“ dargestellte erotische Liebesaffäre zwischen einer erfolgreichen Anwältin für Missbrauchsopfer und ihrem minderjährigen Stiefsohn an die heikle Angelegenheit, als die sich eine Vereinigung zwischen Feuer und Wasser gestaltet, heran.

In wenigen Wochen kommt „Elemental“ in die deutschen Kinos. Falls er ein Erfolg wird, dürfte mit einer Fortsetzung über Erde und Luft, die bisher nur Nebenrollen spielten, zu rechnen sein. Um Berührungsängste geht es dann wahrscheinlich weniger. Bis dahin zeigt Pixar, wie das Unmögliche, wenn man sich bemüht, möglich werden kann – nämlich Unterhaltung für Kinder und Erwachsene zu schaffen, Blockbuster und Arthouse zu vereinen, Leidenschaft und Vernunft, Uptown und Downtown, Exklusivität und Masse. Keine schlechte Abschlussbotschaft für ein Filmfestival.

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