Bei der Vielzahl an Neuerscheinungen und Fortsetzungen auf Netflix, Amazon und Co. verliert man leicht den Überblick. Was lohnt sich? Was kann man auch bleiben lassen? Hier finden Sie unsere Empfehlungen fürs Wochenende. Samt einem aktuellen Klassiker und ein Geheimtipp.
Muss man sehen
„White House Plumbers“ (Wow/Sky)
Dass die Wirklichkeit in kein Drehbuch passt, liegt manchmal einfach daran, dass sie so bescheuert ist. Denken Sie zum Beispiel an Watergate und den ultimativen Watergate-Film „All the President’s Men“ (dt. „Die Unbestechlichen“), geschrieben vom legendären William Goldman. Gleich zu Beginn dieses Klassikers von 1976 ist ein Türschloss im Watergate Hotel zu sehen, man hört gedämpfte Stimmen und dann ein Schloss knacken: Die Tür zum Skandal, der Präsident Nixon zu Fall bringen wird, steht im nächsten Moment offen.
„White House Plumbers“, die neue HBO-Miniserie über den Watergate-Skandal, fängt fast genauso an – mit dem feinen Unterschied, dass die Flüsterer die Tür nicht aufkriegen, sie haben den falschen Dietrich mit. Tatsächlich hat es nämlich vier Versuche gegeben, ins Watergate Hotel einzubrechen. „Dies“, teilt uns „White House Plumbers“ trocken mit, „war Versuch Nummer zwei.“
Der Ton ist damit gesetzt. „White House Plumbers“ schreibt Marx in den Wind und erzählt die Tragödie gleich als Farce. Die Planstellen von Woodward und Bernstein sind entsprechend mit Howard Hunt und Gordon Liddy besetzt, jenen „Plumbers“ (dt. Klempnern), die nach der Aufregung um die sogenannten Pentagon Papers eigentlich die undichte Stelle in Nixons Regierung stopfen sollten, stattdessen aber unfreiwillig Schluss mit Nixon machten. Sie sind die Herren Rosencrantz und Guildenstern in diesem Spiel: Duo infernale und Bromance am rechten Rand. Justin Theroux (als walrossschnäuziger Liddy) und Woody Harrelson (als kinnzentrierter Hunt) müssen sich vor lauter Vorfreude die Hände gerieben haben, als sie das Drehbuch zum ersten Mal lasen.
Vor allem Harrelson darf (na ja: muss) brillieren: Er spielt Hunt als Agent gewordene Männlichkeitskrise („White House Plumbers“ wurde unverkennbar unter dem Einfluss von MAGA-Mist und Trump-Trauma gedreht). Man sieht ihn nicht nur das Vertrauen in Amerikas Demokratie untergraben, sondern auch oft als pater familias am Rande der Hysterie: bedrängt von einer klugen, ungleich erfolgreicheren Gattin und Kindern, die – Gott schütze Amerika –, wenn schon nicht woke, dann auf jeden Fall Gegenkultur sind.
Theroux hingegen gibt Liddy eher als Comicfigur mit Hang zu Nazi-Devotionalien. Dass er beim Pärchenabend mit den Hunts Hitler-Reden auf den Plattenteller legt, ist überspitzt („White House Plumbers“ ist ja eine Satire), gründet aber auch (siehe oben) in einer sagenhaft bescheuerten Wirklichkeit. Und allein, weil deren Fortgang unerbittlich scheint (denken Sie an 2024), muss man „White House Plumbers“ sehen. Wieland Freund
Muss man wieder sehen
„Der Tatortreiniger“, „The Cleaner“ (Disney)
Kommt ein Mann ins Vereinsheim von Neonazis. Ihr Chef hat sich gerade erschossen. Ein bisschen wie der Alte im Führerbunker. Der Mann soll aufwischen. Das Blut und die Hirnmasse. In einem Zimmer voller Führer-Devotionalien und -Reliquien. Schotty heißt der Mann, „Der Tatortreiniger“ die Serie, „Schottys Kampf“ die Folge. Ingrid Lausund hat sie geschrieben. Sie ist das Beste, was der NDR vermutlich je zustande brachte.
Geschichten voller Rabulistik, voll der besten Dialoge, die jemals im deutschen Fernsehen liefen. Weil sie gnadenlos präzise waren (Lausund hat erzählt, dass sie Silben zählte, damit der Rhythmus passte). Weil sie das Innere des deutschen Denkens aus dem Irrsinn des Alltags nach außen kehrten. Sprechblasen solange gegeneinander knallte, bis Wahrheit und Wahrhaftigkeit heraus platzten.
Lief erst einmal im NDR, später dann in der ARD, was ja auch schon bezeichnend ist. In der BBC lief und läuft „The Cleaner“ gleich im Hauptabendprogramm, an prominenter Comedy-Stelle. Und ist eine Sensation, nicht nur, weil es normalerweise schon eines veritablen Wunders bedarf, dass deutsche Formate nicht nur im internationalen Fernsehen laufen, sondern auch noch als Remake adaptiert werden.
Schotty heißt Wicky in England. Er fährt durch Shropshire von Tatort zu Tatort. Der Comedian Greg Davies ist Wicky. Und er hat die erste Staffel – mehr oder weniger locker mit Lausunds Original verbunden – selbst geschrieben. Helena Bonham Carter macht mit. David Mitchell macht mit. Vier Millionen schauen zu. Das ist eine Ansage in England. Nicht ganz so witzig, nicht ganz voll mit in allen Farben des Wahnsinns leuchtenden Dialogen. Aber „schauerlich vergnüglich“ („Daily Telegraph“).
„Der Tatortreiniger“ fegte auch in den USA die Knochensplitter weg. Mit Untertiteln. Jetzt ist alles bei Disney. Da kann das Wetter werden, wie es will – alles wird gut. Wickys Kampf gibt es übrigens noch nicht. Don’t mention the war. Elmar Krekeler
Kann man lassen
„Queen Charlotte: Eine Bridgerton-Geschichte“ (Netflix)
Man guckt eine Weile hoffnungsvoll. Vielleicht ist das Prequel „Queen Charlotte: Eine Bridgerton-Geschichte“ tatsächlich besser als das Original. Man meint zu merken, dass die Produzentin Shonda Rhimes, Ideengeberin für „Grey’s Anatomy“, die Serie diesmal selbst mitentwickelt hat. Anstatt sie, wie bei „Bridgerton“, nur zu produzieren. Die erste Folge beginnt wie schon bekannt: Eine sehr britische Stimme mit rollendem „r“ beschreibt aus dem Off die Geschehnisse im königlichen Land. Ein kräftiger Farbfilter holt das Maximum aus dem Bauschekleid- und Kutschen-Kitsch-Kosmos heraus. In einer solchen Kutsche sitzend, beginnt dann eine junge Charlotte einen Monolog über die Qualen ihres Korsetts. Das tut die Schauspielerin India Ria Amarteifio in so perfektem Timing und Betonung, dass man gewillt ist, die „Bridgerton“-Welt neu zu betrachten.
Und dann kommt die Szene im königlichen Garten. Charlotte will über die Mauer vor ihrer Hochzeit mit König George fliehen und wird natürlich von diesem unbekannterweise erwischt. Verliebte Blicke, das erste Händehalten, es ist alles so einfach: „Du bist unvergleichlich“, „Ich bin einfach George“. Das Grauen beginnt. Wie schon bei „Bridgerton“ scheinen die männlichen Hauptfiguren in erster Linie nach der Kategorie „schön“ gecastet worden zu sein. Was ja auch schön wäre, spielten sie nicht so schlecht. Vielleicht ist es das Ergebnis einer Art neo-feministischer Besetzungskriterien. Aber vielleicht halten sich die Macher auch einfach an ihr altes Konzept: schöne Menschen in komplizierten Kleidern, die sich nicht anfassen können, es aber wollen. Ein sexualisiertes Kindermärchen wie sein Vorgänger. Leider langweilig. Lena Karger
Szene der Woche
Der Pass. Finale Staffel (Sky)
Sie haben sich gehasst. Misstraut. Verfolgt. Verzweifelt gemocht. Am Ende geliebt. Im Andern das ganz Andere erkannt und gesucht. Der Mann im rattigen Pelzmantel, der aussieht, als wohne er in ihm schon seit Jahren, die Frau in der pollypatenten Outdoorjacke, die all ihre Unschuld im Denken verloren hat. Ellie Stocker und Gedeon Winter, die Kieberer, die Kommissare, sind noch einmal da. Nach all dem, was ihnen in der Sky-Serie „Der Pass“ angetan wurde über 24 Folgen. Dem Trauma in ihrer Seele, der Kugel in seinem Kopf. In einem Beissl in Wien sitzt er. Zum ersten Mal sieht Nicholas Ofczarek gesund aus. Julia Jentsch setzt sich dazu. Sie lächelt ihn an, er lächelt (er lächelt!) zurück. Er steht auf, berührt sie an der Schulter im Vorbeigehen, drückt auf der Jukebox einen Knopf und singt mit, was schon seit ein paar Minuten zu hören ist.
Wolfgang Ambros. „I drah zua“ von 1973. Die melancholische Verweigerungsmoritat von einem, der nicht mehr mitmachen will. Nicht mehr mitspielen. „I drah zua“, singt Ambros, „weil i bald gnua hab / Schmierts euch euer Spü in de Haar / Es werd‘s an andern, an andern Trottel finden / Der mit euch spüt, des is ma klar // Vur mein allerletztn Gangl / Wer i euch no a Runde zahln / I geb zua i hab oft gschummelt / Aber des is euch nie aufgfallen / I drah zua, weil i bald gnua hab / I drah zua, weil i hab gnua“. Und die Ellie und der Gedeon, die tanzen. Und da sitzt man tränenüberströmt da. Und wünscht, das Spiel, das schreckliche, das mit ihnen getrieben wurde, hätte doch kein Ende. Elmar Krekeler
Geheime Leidenschaft
Star Wars: Die Abenteuer der jungen Jedi (Disney Plus)
Wenn irgendwo „Star Wars“ draufsteht, bin ich automatisch am Start und lasse mich schnell zu Superlativen hinreißen. Ich inhaliere alles, was mit dem Lucas-Franchise zu tun hat und bin wohl der einzige Mensch, der sogar die grottenschlechte „Resistance“-Serie komplett gesehen hat. Gibt es Grenzen? Ja, wenn’s allzu kindisch und kindlich wird.
Dachte ich. Und habe nun doch mit großem Spaß die dürren sechs Folgen der „Abenteuer der jungen Jedi“ durchgebingt – sind ja jeweils nur ein paar Minuten. Drei kleine Glubschaugen-Jedi-Jünglinge (einer weiß, eine POC, einer Fell) erleben niedliche Ertüchtigungsabenteuer und am Ende siegt der Team-Spirit. Nicht sonderlich originell, zugegeben. Aber wenn die Soundtrack-Stücke legendärer Star-Wars-Momente dem Zeichentrick eine Gravitas geben, die das quietschbunte Knuddelmuddel bricht, ist das schon sehr, sehr schlau und recht bei mir allemal für eine Guilty Pleasure. Peter Huth