Als Fran Lebowitz am Wochenende die Bühne der Berliner Urania betritt, verbirgt sie nicht, wie ungern sie New York verlässt. „Was hassen Sie am Reisen?“, wird sie gefragt. Ihre Antwort: „Reisen.“ Es ist ein für sie typischer Witz. Fran – eigentlich Frances Ann – Lebowitz ist der letzte Dandy von New York, ein Relikt aus glorreichen Zeiten, als die Stadt zwar als die gefährlichste, aber auch aufregendste der Welt galt. Sie verkörpert die intellektuelle US-Ostküstenmetropole wie kein anderer, sie verbindet Glam mit Geist.
Seit Martin Scorsese sie für Netflix mit der Kamera begleitet hat und daraus den großartigen Netflix-Erfolg „Pretend It’s a City“ machte, kennt und liebt man die lakonischen Witze von Fran Lebowitz auf der ganzen Welt – auch in Berlin, wo der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Inzwischen gibt es mit „New York und der Rest der Welt“ auch einen Band mit Schriften auf Deutsch. Doch Lebowitz ist besonders eindrucksvoll auf der Bühne und vor Publikum, selbst wenn sie dafür ihre Wahlheimat verlassen muss. Vor allem, weil man Lebowitz bei ihren Auftritten mit Fragen löchern und auf eine geistreiche Pointe in retour hoffen darf.
Ob Lebowitz jemals müde werde, Fragen aus dem Publikum zu beantworten? Ein knappes Nein, das mit schallendem Gelächter goutiert wird. Es gibt nur eine eiserne Regel: keine Saalmikrofone. Warum? Man versteht es schon mit der ersten Frage, die keine ist, sondern sich zu einem langwierigen Referat aufschwingt, bis Lebowitz schnöde unterbricht. Nun eine wirkliche Frage, bittet sie. Gibt man dem Publikum ein Mikrofon, so sagt sie, bekommt man keine Fragen, sondern Antworten. Doch die sind ihr Job – zum Glück.
In Morristown, New Jersey, in einer typischen Mittelklassenfamilie aufgewachsen, geht Lebowitz als junge Frau nach New York. Sie landet in den Kreisen von Andy Warhol („Die ganze New Yorker Kunstszene passte damals in ein einziges Restaurant.“), arbeitet als Taxi-Fahrerin („Wie ich überlebt habe? Glück.“), schreibt Pornos („Jüngere wissen das nicht mehr, aber früher musste man Pornos noch schreiben.“) und beginnt für die legendäre Zeitung „The Village Voice“ zu arbeiten. „Es gab so viele schlechte Jobs, man konnte jede Woche einen neuen schlechten Job haben“, sagt Lebowitz.
Wie war es, in den 1970ern in New York zu leben? „Es ist besser, in seinen 20ern im New York der 70er zu leben als in seinen 70ern im New York der 20er.“ Wie sieht ein typischer Tag von ihr in New York aus? „Als Erstes: Mein typischer Tag in New York ist eine Nacht. Tagsüber ist es zu voll und zu viel Tageslicht.“ Ihre Hauptbeschäftigungen: Lesen. Telefonieren. Kino. Partys. Und rauchen. Seit ihrem zwölften Lebensjahr raucht sie mindestens eine Schachtel am Tag, inzwischen ist Lebowitz 72 Jahre alt.
Keine Rücksichtnahme
Der Humor von Lebowitz ist auch deswegen so charmant, weil er eine gewisse Misanthropie kultiviert, ohne die man in der Großstadt wohl kaum überlebensfähig ist. Zwanghafte Positivität ist ihr fremd. „Menschen sind schrecklich“, sagte sie. „Mich interessiert nicht, was sie tun, solange es keinen Lärm macht.“ Oft sagt sie Sachen wie „All of Gods children are not beautiful.“ Man muss nicht jede kleine Marotte anerkennen und bestätigen, man kann sie auch mit schwarzem Humor bedenken, vor dem sich niemand sicher wähnen sollte. Gute Witze darf man von Lebowitz getrost erwarten, übergroße Rücksichtnahme nicht.
„Wenn ich im Internet schon gecancelt bin, sagt es mir nicht, ich habe nämlich zu arbeiten“, sagt Lebowitz. Dazu muss man wissen, dass Lebowitz ohne Smartphone und Computer lebt, selbst der Schreibmaschine hat sie sich bereits verweigert. Zeitung, Fernseher, Telefon und ein wacher Verstand reichen auch. Ob sie sich Sorgen über die künstliche Intelligenz macht? „Ich mache mir mehr Sorgen um die menschliche Intelligenz.“ Wieder so eine typische Pointe. Kurz nachgefragt: „Sie sind so spontan, wie machen Sie das? – Kaffee.“
Das Publikum in Berlin ist begeistert, bei jeder Gelegenheit recken sich zahlreiche Arme in die Luft. Zu allem wird eine Meinung von Lebowitz eingefordert, selbst über Selbstbedienungskassen im Supermarkt. Vor allem aber auch zur US-amerikanischen Politik. In ihrer New Yorker Blase war es unvorstellbar, dass Trump zum Präsidenten gewählt werden würde, erzählt Lebowitz. Nie zuvor habe sie mit ihren Prognosen falsch gelegen, außer bei der Wahl 2016. Und seitdem hat die politische Polarisierung in den USA noch zugenommen.
Nun wird Lebowitz erst recht abgefragt. Was hält sie von der erneuten Kandidatur von Joe Biden? „Er ist zu alt. Er ist einfach zu alt. Er ist selbst zu alt, um zurückzutreten. Wäre er dein Vater, würde man ihn bitten, die Autoschlüssel abzugeben.“ Was denkt sie über Ron DeSantis, der womöglich auch antritt? „DeSantis hat gesagt, in Florida wird Wokeness zum Sterben kommen. Schätzchen, jeder kommt nach Florida zum Sterben.“ Und die Veränderungen bei Fox News? „Ich habe gehört, dass Tucker Carlson nun weg ist, ich kam leider noch gar nicht dazu, das zu genießen.“
In die Tiefe gehen ihre politischen Analysen nicht unbedingt, doch dafür ist man nicht gekommen. Was man erleben möchte, ist die Kunst der aphoristischen Pointe, die Lebowitz so genial beherrscht wie einst Oscar Wilde. Noch ein Beispiel: „Mein Verhältnis zu Geld ist schlecht. Obwohl ich es brauche, hasse ich es.“ Oder: „Wer denkt, dass reiche Leute automatisch klug sind, hat weder reiche noch kluge Leute kennengelernt.“ Beglückt, aber leicht ermüdet von diesem Pointenfeuerwerk denkt man, wie lustig es sein muss, auf einer Party mit ihr zu sein. Es wäre völlig egal, welche Party, Hauptsache Fran Lebowitz ist da.