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Kultur Harry Belafonte †

Der sanfte Aktivist

Freier Feuilletonmitarbeiter
Harry Belafonte im Alter von 96 gestorben

Der US-Sänger, Entertainer und Bürgerrechtler Harry Belafonte ist tot. Er sei am Dienstag an Herzversagen gestorben, teilte sein Sprecher Ken Sunshine von der PR-Firma Sunshine Sachs Morgan & Lylis mit.

Quelle: WELT

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Er war mehr als ein Schauspieler und Sänger. In seinen Filmen verkörperte Harry Belafonte den alten amerikanischen Traum einer offenen Gesellschaft. Mit seiner honigsüßen Stimme sang er der ganzen Welt ins Gewissen. Jetzt ist er mit 96 Jahren gestorben. Nachruf auf eine Ikone.

Auf dem Banana-Boat im Aktivismus-Strom. Das war der sanfte Veränderer Harry Belafonte. Sehr früh und sehr nachhaltig hatte er erkannt, dass er – anders die „Letzte Generation“ hierzulande – auf der weichen Welle der Unterhaltung segelnd, nachhaltiger und populärer für seine Ziele der Veränderung kämpfen konnte, als durch aggressiven Polit-Aktivismus.

Der am 1. März 1927 als Harold George Bellanfanti Jr. im New Yorker Stadtteil Harlem geborene Sohn eines aus Martinique stammenden Matrosen und einer jamaikanischen Hilfsarbeiterin, er hat sich immer als aufrechter Amerikaner verstanden. Und schon früh Finger in rassistische Wunden des gesellschaftlichen Diskurses zu legen gewusst. Aber eben auf die friedliche, dafür umso bestimmtere Tour.

Mit seiner honigsüßen Stimme und dem weichen Beat des karibiksonnendurchfluteten Calypso hat sich Harry Belafonte auf die raffiniert schmeichelnde Art in die Herzen von Millionen seiner Landsleute gesungen. Wenn er dann aber seinen hellen Tenor gegen Segregation und Benachteiligung seiner schwarzen Mitmenschen erhob, wenn er der weißen Mittelklasse klar machte, dass die USA bis heute eben kein sanft dahinschaukelndes „Island in the Sun“ sind, sondern immer noch eine Staatengemeinschaft der Ungerechtigkeit, dann hat er damit vermutlich mehr bewirkt, als so mancher Kämpfer auf Konfrontationskurs.

Harry Belafonte hat viele Kompromisse gemacht in seinem langen Leben. Absichtsvoll. Irgendwie wusste er dabei freilich immer, dass sich das Warten auszahlt. Und er hat damit meist recht behalten. Auch weil er ein untrügliches Gespür dafür besaß, wie weit man sich im mitunter gnadenlosen Unterhaltungsgewerbe verbiegen lassen darf. Er wusste, es gibt keine ideale Welt, auch nicht die der Musik, so hat er sich angepasst und langsam, aber nachhaltig nach Möglichkeiten für Veränderungen gesucht.

Er wurde dabei jenseits seiner künstlerischen Verdienste als im Jetzt verwurzelter Mensch und Botschafter eben nicht zum politischen Spalter einer nach wie vor zerrissenen Nation, sondern zu einer allseits geachteten Autorität für die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens, auf deren Stimme auch konträre Lager hörten. Weil er eine unschätzbare Marke für höchste Glaubwürdigkeit wurde.

Harry Belafonte (1927–2023)
Utopien für alle: Harry Belafonte
Quelle: Getty Images

Harry Belafonte ging dafür einen langen und schweren, aber früh auch schon ertragreichen Weg. Er wuchs auf im Schwarzen-Getto, kehrte 1935 mit seiner Mutter und seinen beiden älteren Brüdern für vier Jahre nach Jamaika zurück. Während des Zweiten Weltkriegs diente er in der US Navy. Eine Erfahrung, die 1954 seinem filmischen Durchbruch als Corporal Joe in der von Rodgers & Hart in den amerikanischen Süden verlegten „Carmen Jones“-Neufassung, der weltberühmten Bizet-Oper in der Regie von Otto Preminger, zugutekam. In diesem bahnbrechend zeitgenössischen Meisterwerk kulturellen Transfers und einem der ersten Mainstream-Kinomeilensteine mit einer nicht weißen Besetzung konnte er als Mann triumphieren, Dorothy Dandridge, die Carmen, hingegen wurde ein weiteres weibliches Opfer ihres Erfolges.

Viele weitere Filme, am Ende gern mit Robert Altman, folgten. Denn schon früh, nach einem Theaterbesuch, wo er den schwarzen Aktivisten Paul Robeson erlebte, wollte Harry Belafonte zur Bühne. Glück und eine gute Nase führte ihn zu Erwin Piscators Dramatic Workshop an der New School for Social Research und zu seinen Kommilitonen Tony Curtis, Marlon Brando sowie Walter Matthau.

Die Karibik ist überall

1950 erhielt Belafonte einen Plattenvertrag bei Capitol Records, doch weil er die typisierten Songs, die man ihm zuteilte, nicht singen wollte, beendete der Zusammenarbeit schnell wieder. Als Stimme der Westindischen Inseln begeisterte Belafonte dafür in Nachtclubs wie vor dem Rundfunkmikro das Publikum mit seiner stilistischen Vielfalt und seinen Entertainer-Qualitäten, was ihm ein Engagement im legendären Jazzclub Village Vanguard einbrachte.

1956 schrieb sein Album „Calypso“ mit dem Signature-Song vom „Banana Boat“ Pop- und Tanzgeschichte. Weitere Hits wie „Matilda“ „Angelina“ oder „Haiti Cherie“ folgten. Doch der „King of Calypso“ ging nicht nur mit „Jamaica Farewell“ schnell auf ästhetische Distanz, er sang genauso gern die Songs des Rat Pack, Musical und Swing, Gospel, Pop und Lieder aus dem Repertoire der singenden Bürgerrechtler.

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Mitte der Fünfzigerjahre war Belafonte als Filmstar wie Musiker etabliert; bald hatte er seine eigene Fernsehshow. Doch schon damals brach er früh aus den karibischen Klischees aus, die natürlich allzu leicht zu bedienen waren. Er wurde keine weibliche Carmen Miranda, sein Bananenboot war immer nur eine Metapher. Viele wohler führte er sich auf dem langen, breiten, traditionsreichen Weg universeller, weil sich aus vielerlei Migrationswurzeln speisender amerikanischer Folksongs.

Als dezidierter „Weltmusiker“ nutzte er den schnellen TV-Ruhm als Präsentator und Türöffner so unterschiedlicher Künstler wie Miriam Makeba, Bob Dylan, Caterina Valente oder Nana Mouskouri. YouTube ist voll von hinreißenden TV-Momenten aus dieser Zeit. Er sang aktiv gegen die Rassentrennung an, wenn er bei NBC mit Petula Clark duettierte. So einfach war Protest mitunter. Auch schickte er seine Töchter auf die von dem deutschen Emigrantenehepaar Max und Gertrud Bondy geleitete Windsor Mountain School in Massachusetts, eine der wenigen gemischtrassigen Schulen dieser Ära. An der Seite seiner Freunde Martin Luther King und Robert F. Kennedy engagierte er sich gegen Apartheid und den Vietnamkrieg.

Bis ins hohe Alter: Harry Belafonte freut sich über einen Berlinale-Preis für den Film „Sing Your Song“ in Berlin
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Quelle: AFP

Mit mehr als 150 Millionen verkauften Tonträger, einem Emmy schon 1960, einem Tony Award und vielen Grammys lässt sich Harry Belafontes lange und glückliche Karriere mit der von Frank Sinatra oder Elvis Presley vergleichen. Doch anders als diese wurde er zu einer Ikone des politischen Gewissens. Anfang der Achtzigerjahre nahm er mit Lionel Richie, Michael Jackson und Quincy Jones für die Benefiz-Initiative „USA for Africa“ die millionenfach verkaufte Single „We Are the World“ auf, 1988 folgte nach langer Zeit wieder ein eigenes Album, „Paradise in Gazankulu“ – und wieder wurde er von einer jungen Generation neu entdeckt.

Die späten Konzerte des Wise Old Man mit seinen schönen Songs und seiner sanften Botschaft wurden zum generationenübergreifenden Erlebnis. 2002 veröffentlichte Belafonte sein Lieblingsprojekt: „The Long Road to Freedom“, eine Fünf-CD-Anthologie schwarzer Musik, die den „langen Weg in die Freiheit“ jener Amerikaner nachvollzieht, „die einst als Gefangene aus Afrika gekommen waren“. Auch die Rap-Kultur fand er toll als eine der wichtigsten musikalischen Ausdrucksformen des 21. Jahrhunderts.

Am 25. April ist Harry Belafonte friedlich in seiner New Yorker Wohnung gestorben. Er wurde 96 aufrecht gelebte Jahre alt.

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