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Meinung „Le Sacre du Printemps“

Die dunkle Seite des Frühlings

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Figurenentwurf für die „Sacre“-Premiere 1913 Figurenentwurf für die „Sacre“-Premiere 1913
Figurenentwurf für die „Sacre“-Premiere 1913
Quelle: picture alliance / akg-images
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Von wegen Leichtigkeit und Sonne: Igor Strawinskys „Sacre du Printemps“ ist ein akustischer Frontalangriff und verstört mit Menschenopfer-Mythen. Soll man den russischen Klassiker heute noch hören? Auf jeden Fall, aber nicht als Soundtrack zum Frühjahrsputz.

Das blaue Band des Frühlings, es flattert nicht nur wie bei Mörike romantisch-leicht durch die Lüfte. Die endlich wieder mildere Jahreszeit ist auch die Zeit des Cleaning und Healing, des Aus- und Aufräumens. Doch dieser „Alles muss raus!“-Frühjahrsputz, der geht nicht immer so methodisch überlegt vonstatten wie bei Marie Kondo – obwohl die uns ja auch sehr grausam emotionslos von unnützen Dingen Abschied nehmen lässt.

Ausmisten kann eben richtig brutal werden. Zumal, wenn dabei gleich das Verhältnis zu den Göttern neu geordnet und – das Jahr dreht sich im Kreis – wieder auf Anfang gestellt wird. Schon die Uralten wussten: Nach dem Winter ist vor dem Winter, jetzt müssen die überirdischen Glücksbringer für die dazwischenliegenden drei Jahreszeiten günstig gestimmt werden, auf dass reiche Ernte sie gewähren, die Vorratshäuser sich rechtzeitig füllen.

Das ist keineswegs selbstverständlich, wie man heute sieht, wenn plötzlich ukrainekriegsbedingt aus einer der größten Kornkammern der Welt der Nachschub stockt. Bei den Germanen wie Slawen soll es sogar, um den Frühlingsgott günstig zu stimmen, Menschenopfer gegeben haben. Darauf verweist jedenfalls Igor Strawinsky, der 1913 in Paris mit seinem für die Ballets russes komponierten Tanzstück „Le Sacre du Printemps“ mit „Szenen aus dem heidnischen Russland“ aufwartet, bei denen ein junges Mädchen zu Tode gehetzt wird.

Im Art-déco-eleganten Théâtre des Champs-Élysées wurde dieser künstlerisch ummäntelte Femizid zu einem der größten Skandale der Musikgeschichte – wegen der bewusst „primitiven“ Choreografie des Superstarballerinos Vaslav Nijinsky; aber eben auch wegen der gerade etwas über eine halbe Stunde dauernden Musik, später gern als „klingende Atombombe“ tituliert, auf jeden Fall ein russischer Frontalangriff auf unsere Ohren wie unser Nervensystem. Darf man den augenblicklich hören? Natürlich! Der in Venedig begrabene Strawinsky war Weltbürger.

Vor 110 Jahren prügelte sich die Pariser Hautevolee im Theater, heute ist das Ballett mit seinen dauernd wechselnden schiefen Rhythmen vor allem ein konzertanter Hit – und dabei immer noch eine frisch wie famos dröhnende akustische Zumutung. Die Choreografen hingegen fanden es bei diesem Jungfrauenmord immer öfter chic, das Opfer am Ende auch noch nackt sterben zu lassen; ein wenig voyeuristische Tanzlust kann ja nicht schaden.

Ach, und 1990 schrieb Joyce Carol Oates unter ihrem Krimiautorinnen-Pseudonym Rosamond Smith den frühen MeToo-Thriller „Nemesis“. Der bekam vier Jahre später den deutschen Titel „Das Frühlingsopfer“ verpasst. Denn darin geht es um einen Musikstudenten an einem US-Konservatorium, der von einem Lehrer, einem arroganten, aber brillanten Komponisten und Pulitzerpreisträger, vergewaltigt wird – zu den Klängen von „Sacre de Printemps“.

Also gehen wir den anstehenden Frühjahrsputz etwas nachdenklicher an. Und vielleicht lieber zu den unverfänglichen Klängen des straussschen „Frühlingsstimmen“-Walzers?

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