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Meinung Russische Kinderserie

Wie „Mascha und der Bär“ unsere Kinder verändert

Redakteur Feuilleton
Die freche Göre und das duldsame Pelztier: Mascha hört den Bären ab Die freche Göre und das duldsame Pelztier: Mascha hört den Bären ab
Die freche Göre und das duldsame Pelztier
Quelle: animaccord
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Die Zeichentrickserie „Mascha und der Bär“ ist ein russischer Exportschlager. Die Handlung ist vollgestopft mit russischer Kultur. Aber ist Mascha auch putinesk, wie schon behauptet wurde? Und ist der Bär Propaganda? Wer genau hinsieht, wird ein mulmiges Gefühl nicht los.

Das Schlimmste, was das Elternsein aus Eltern macht, ist, dass sie sich irgendwann dabei ertappen, dass sie wurden, was sie nie werden wollten – wie die eigenen Eltern. Sie sagen Sätze zu ihren Kindern, die sie als Kind nie hören wollten. Und sind schon nach den ersten Akkorden der Erkennungsmelodie einer Zeichentrickserie auf halber Höhe der Wand.

Meine Eltern waren das bei „Tom und Jerry“ – und „Vielen Dank für die Blumen“ von Udo Jürgens. Bei mir reichen heute zwei Sekunden der hyperaktiven Blechbläserouvertüre der hyperaktiven russischen Zeichentrickserie „Mascha und der Bär“. Und jetzt muss ich leider ein bisschen aufpassen.

Weil man sich nicht ungestraft mit Mascha anlegt. Jedenfalls, wenn man die Göre im altrussischen Mütterchenkittel, die da in einem leicht angeranzten Bahnwärterhäuschen zwischen Steppe und Wald im russischen Irgendwo wohnt (in dem vor hundert und ein paar Jahren Leo Tolstoi gestorben sein muss) als verlängerten Arm der russischen Propaganda bezeichnet und angesichts der russischen Massenmorde in der Ukraine zusammen mit Operndiva Anna Netrebko auf die Liste des zu boykottierenden russischen Kulturguts setzt.

Dass die 2009 in Russlands Internet gestartete und im von staatlicher Förderung freien Moskauer Animaccord-Studio produzierte Serie genau das ist – kultureller Exportschlager wie sonst nur Ballett- und Klavierstars, Inbegriff Russlands wie Wodka und Kalaschnikow –, kann ernsthaft allerdings keiner bestreiten. 14 Staffeln gibt es inzwischen (Zielgruppenalter: drei bis fünf), sie werden in 150 Ländern und mehr als vierzig Sprachen ausgestrahlt.

Nur „Paw Patrol“ und „Peppa Pig“ haben eine ähnliche Reichweite unter (Klein-)Kinderserien. Mädchen in Indonesien werden Mascha genannt, und weltweit dürften deutlich mehr Mascha-Püppchen als Zauberstäbe in Kinderzimmerregalen verstauben. Ins „Guinness Buch der Rekorde“ brachte es Mascha, als eines ihrer gefühlt tausend Abenteuer an der Seite des duldsamen Bären mit vier Milliarden Views auf YouTube zum meistgeklickten Inhalt des Jahres wurde.

Ist das jetzt Propaganda?

Die Geschichten folgen, das ist das Geheimnis jeder Kinderserie, immer der gleichen Mechanik. Mascha sucht ihren Kumpel, den Bären, der im Gegensatz zum kittelbeschürzten Irrwisch nur grunzen darf, in seinem tief im Wald gelegenen Baumhaus auf. Dann bricht das Chaos aus. Die Fetzen fliegen. Am Ende aber wird alles gut: Der brave Bär und das aufsässige Mädchen haben sich lieb, die Ordnung ist wieder hergestellt. Bis zum nächsten Überfall.

Mit Zusammenfassungen wie dieser handelt man sich natürlich leicht Verwünschungen von russischen Trollen ein. Tatsächlich hat es an Versuchen, Maschas Welterfolg politisch zu deuten, nicht gefehlt in den vergangenen Jahren. In der Londoner „Times“ wurde Mascha von einem Politologen als putineskes Wesen charakterisiert.

Der duldsame russische Bär – Identifikationsobjekt aller Eltern randneurotischer, also ganz normaler Kinder – sei deshalb so lieb und duldsam, damit die Kinder im Westen Russland (Symbol: Bär!) nicht so hassen. Besorgte baltische Politiker schalteten sich ein.

Der Bär will eigentlich einfach nur da sitzen
Der Bär will eigentlich einfach nur da sitzen
Quelle: animaccord

In der Antwort der russischen Propaganda – zum Teil in den Nachrichten des russischen Staatsfernsehens zur besten Sendezeit – waren Spuren von Triumph nicht zu überhören. Als Musterbeispiel „westlicher Russophobie“ wurden die politischen und medialen Reaktionen auf die angeblich propagandistische Kinderserie bezeichnet. So – mit solchen Reaktionen und einem womöglich, vielleicht, demnächst drohenden Mascha-Boykott, fange Faschismus an, hieß es. Auf Twitter brachen die Trolle einen Twitter-Krieg vom Zaun.

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Das darf diesmal gerne unterbleiben. Wenn man nämlich alles, was aus Russland kommt, unter Propaganda-Verdacht stellt, nur weil es aus Russland kommt, höhlt man den Propaganda-Begriff derart aus, dass er am Ende gar nichts mehr bedeutet. Mit einem Mascha-Bann spielte man der Putinschen Propaganda nur in die Hände wie mit Dostojewski- oder Tolstoi-Verboten und der Absage von „Nussknacker“-Aufführungen.

Geballer der Bilder

Das Problem mit Mascha ist auch gar nicht die Politik. Die Macher von Animaccord bestehen auf ihrer Unabhängigkeit, keinen Rubel, sagen sie, hätten sie vom Staat bekommen (und das brauchen sie auch nicht, denn allein das globale Merchandising schließlich bringt dem Studio Jahr für Jahr dreistellige Dollar-Millionenbeträge ein). Nicht mal als anarchistische Vorkämpferin des Feminismus – als die Mascha, plötzlich ein Symbol westlicher Dekadenz, im konservativen Russland zum Teil harsch kritisiert wird – wollen sie ihre Figur gelten lassen.

Die auf der Basis russischer Märchen erzählten Geschichten in diesem mit russischem Interieur, russischen Motiven voll gestellten, kuschelig liebevoll ausgestalteten, vorsichtig modernisierten Museumsdorf russischer Volkskunstgeschichte mit Putins Politik kurzschließen zu wollen, bedürfte tatsächlich schon einer erheblichen hermeneutischen Bösartigkeit.

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Und trotzdem schaut man „Mascha und der Bär“ auf einmal mit einem mulmigen Gefühl. Das geht mit Mascha selber los, die so urtypisch als angehende Muhme gestaltet ist mit ihrer Schürze und ihrem Kopftuch, dass zumindest ich ihr nicht zusehen kann, ohne an die weinenden Greisinnen von Mariupol zu denken. Und das geht weiter mit den beiden Wölfen, deren zuschanden gerittener Krankenwagen irgendwann am Wegrand liegt wie ein zerschossenes Flüchtlingsauto.

Was ich aber aushalte, ist, was meine Eltern bei „Tom und Jerry“ wohl nicht ausgehalten haben: dieses Tempo, diese Aufgeregtheit der Erzählung, diese Stimme, diese Schnitte. Und in sechs Minuten geht alles schon wieder von vorne los.

Ich erschrecke mich über mich selbst

„Mascha und der Bär“ ist – wie ihr radikal entschleunigter Gegenentwurf, die „Teletubbies“ – eine Serie, die Eltern vom Fernseher (oder vom Tablet) fernhalten soll, weil sie das alles einfach nicht aushalten. Sie kümmern sich dann lieber um den Haushalt, laufen mit Noise-Unterdrückern durchs Haus. Ächzen und stöhnen abgrundtief schon bei der Erwähnung von Kind und Pelztier – wie weiland meine Eltern bei Katz und Maus. Und lassen die Kinder bis zum Rand der Wohlstandsverwahrlosung allein in Maschas Kosmos.

Das kann nicht gut sein für Kinderhirne, denke ich mir jetzt, dieses Geballer der Bilder. So werden Kinder für TikTok sturmreif geschossen. Und dann erschrecke ich über mich selbst.

Dieser Artikel wurde erstmals im April 2022 veröffentlicht.

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