„Printemps du Dessins“ – das klingt nach Aufschwung und Erneuerung in Paris. Allerdings ging es dem Handel mit dem fragilsten Medium der Kunst nie schlecht. Es gab bei Zeichnungen schlicht weniger Wirbel und schon gar keine exorbitanten Preisspiralen. Dabei wird der 1991 gegründete Salon du Dessin für Handzeichnungen von der Renaissance bis in die Moderne schon seit Langem unter Experten weltweit gerühmt. Im Jahr 2007 ist die Drawing Now Art Fair für zeitgenössische Papierarbeiten hinzugekommen und mittlerweile ebenfalls gut aufgestellt. Beide Messen setzen unübersehbare Signale.
Wohl keine traditionelle Messe außer dem Salon dürfte mit seiner seit 31 Veranstaltungen unveränderten Anzahl von lediglich 39 Ausstellern eine vergleichbar konstante Anziehungskraft haben. Bereits eine halbe Stunde nach der Eröffnung drängen sich Kuratoren und Trustees von Institutionen wie dem New Yorker Metropolitan, dem Getty Center Los Angeles, den großen Museen in Houston und Boston.
Sie tauschen sich mit den angereisten Vertretern der großen europäischen Sammlungen aus – und sie kaufen alle. Die Messe in der alten Pariser Börse ist zur Hälfte mit Pariser respektive französischen Händlern bestückt. Der internationale Charakter wird von italienischen und spanischen Händlern dominiert, was zugleich ein Licht auf landesspezifische, sprich kulturell etablierte Sammlerinteressen wirft.
Alte Zeichnungen im Salon du Dessin
Eine Handzeichnung führt per se zur Quintessenz des künstlerischen Schaffens: Die Verbindung von Kopf (Idee) und Hand (Umsetzung) ist unmittelbar. Näher kann der genaue, auch intuitiv begabte Betrachter jedweden Geschlechts (wobei die Männer, die Zeichnungen sammeln, offensichtlich in der Mehrzahl sind) dem künstlerischen Schaffensprozess kaum kommen. Bei der Betrachtung einer Zeichnung kann man dem Künstler quasi bei der Arbeit zusehen. Jede Linie, jede Schraffur ist gleichermaßen nachvollziehbar und relevant. Das gilt für die Altmeisterzeichnung genauso wie für zeitgenössische Handzeichnungen.
Wie aber steht es um den Sammlernachwuchs? Gibt es junge Newcomer, die – animiert von vernünftigen Preisen auf den Messen (ab 1000 Euro) – den Einstieg wagen? Kaum, meint Louis de Bayser, der Präsident des Salon du Dessin und einer von vier Brüdern, die ihren renommierten Pariser Kunsthandel mit Altmeisterzeichnungen in dritter Generation betreiben. Es seien meist Sammler in ihren späten Vierzigern, meint de Bayser, die zuvor in anderen Sparten des hochwertigen Kunsthandwerks geschult, Auge und Fokus entwickelt haben und auch kunsthistorische Verbindungen herstellen können. Und die schließlich der Faszination dieser Sparte erliegen.
Ein großer Reiz liegt demzufolge in der Zuschreibung eines Blatts etwa mittels Stilvergleich (nur selten sind Handzeichnungen signiert), anhand von zeittypischen Zusammenhängen und vielen anderen Kriterien mehr. Renommierte Kunsthändler leisten diese Arbeit, bevor sie das Blatt anbieten. Sammler mit ausgeprägtem Entdeckernaturell fuchsen sich mit aller zur Verfügung stehenden Geduld oder oft ausufernder Fantasie ein – der Wunsch ist hier häufig Vater des Gedanken. Nicht selten kommt es zu erbitterten, oft auch erfrischenden Diskussionen zwischen Kunden und Experten.
In der Betrachtung – und zunächst einmal nicht pekuniären Bewertung alter Handzeichnungen – muss unterschieden werden: zwischen Skizzenblättern mit Detailstudien oder rasch hingeworfenen Impressionen, zwischen den Entwürfen für ein Gebäude, ein Gemälde, ein Altarbild oder eine Tapisserie. Eine exakt konturierte Bildhauerzeichnung behandelt den Weißraum, das leer gelassene Blatt Papier anders als die locker angelegte Studie für ein spektakuläres Deckengemälde oder die zeichnerische Vorarbeit für ein Bildnis, die möglichst schonungslos die spezifischen Eigenheiten des Porträtierten herausarbeiten möchte. Beispielhaft für Porträtzeichnungen sind Adolf Menzels gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Studien. Sie lassen sein absolut nicht genialisches, vielmehr dem Moment verhaftetes Ringen um einen beseelten Ausdruck erspüren (am Stand der Galerie Grand-Rue aus Genf).
Bei der Kunsthandlung Jean-Luc Baroni & Marty de Cambiaire (Paris) erzählt Parmigianinos Federzeichnung zweier junger einander zugewandt liegender Männer von manieristischer, fast beiläufiger Eleganz des 16. Jahrhunderts, aber auch vom durchaus gefährlichen Trotz gegenüber der päpstlichen Ablehnung homoerotischer Lebensweise oder gar ihrer Darstellung (240.000 Euro). Annibale Carraccis hingetupft angedeutete Landschaftsstudie ist durch ihre lyrische Reduktion von empfindsamer, gleichwohl zeitloser Anmutung geprägt – und damit exemplarisch für das Wesen einer Zeichnung (bei Tarantino aus Paris für 30.000 Euro).
Der Präraffaelit Edward Burne-Jones hat mit seiner Studie zweier locker aufgeschüttelter Kissen ein karges, jedoch beredt assoziatives Motiv aufgegriffen, das bereits Dürer umfassend beschäftigte und Künstler unserer Tage in gleicher Weise herausfordern dürfte (bei Motte Masselink aus Paris für 26.000 Euro). Bei Didier Aaron (Paris, New York, London) entzückt ein junger Mönch in ausladender Kutte, meditativ oder doch eher sanguinisch gestimmt, lehnt er auf einem Hocker.
Giambattista Tiepolo dürfte seinem Modell anlässlich eines seiner Großaufträge für geistliche oder weltliche Würdenträger begegnet sein. Und der Künstler, der im Grunde nie Porträts geschaffen hatte, kam wohl schlicht nicht umhin, Ausdruck und Gestimmtheit des Benediktermönchs in einer braun lavierten Federzeichnung festzuhalten (38 000 Euro). Jenseits aller stilistischen Zeitgenossenschaft wirkt sie unverstellt und eindringlich bis in unsere Tage.
Zeichnung der Gegenwart bei Drawing Now
Bei Drawing Now, der Schwestermesse im gläsern-gusseisernen Carreau du Temple, widmen sich gut siebzig Galerien den zeitgenössischen Werken auf Papier. Die Bandbreite in der ehemaligen Markthalle reicht von etablierten Veteranen wie Joachim Bandau mit großen, hauchzart geschichteten Aquarellen (Galerie Maubert, Paris, 2500 Euro) und Gilgian Gelzer mit fast monumentalen, dichten Farbstiftspiralen (Galerie Fournier, Paris) bis zu Christa Wiener und ihren botanischen Fantasien mit Feder, Filz- und Bleistift in der Gugginger Galerie von Nina Katschnigg. Herausragend und kurz nach der Eröffnung nahezu ausverkauft waren William Wrights „Everyday Paintings“ von simplen Interieurs und Alltagsgegenständen (schwarze Kreide und Pastell auf Fabriano-Papier, um 2000 Euro, Galerie Ariane C-Y, Paris).
Die Preise auf der in jeder Hinsicht jungen Messe sind auch in der 16. Ausgabe bei steigender Qualität durchweg erschwinglich. Das Potenzial steht nicht im Vordergrund, im Gegenteil: Es geht um Lust und Laune am Sammeln, um den coup de foudre, aus dem eine lebenslange Leidenschaft entstehen kann.
Und auch beim Auktionshaus Christie’s stand fristgerecht die Altmeisterzeichnung auf dem Programm. Der Saal war mehr als üblich gefüllt mit international angesehenen Experten und Händlern. Entsprechend kritisch wurde die sehr gemischte Offerte aufgenommen. Vieles im mittleren und unteren vierstelligen Preisrahmen blieb knapp über dem Limit, etliche Stücke gingen zurück. Eine Gruppe junger Männer beim Kartenspiel von Govert Flinck wurde dagegen von 10.000 auf 45.000 Euro gesteigert, das Gebot kam via Internet aus Hongkong.
Ein der Rembrandt-Schule zugeordnetes christliches Thomas-Motiv übernahm ein Bieter im Saal bei 35.000 Euro (die Taxe lag bei 15.000 Euro). Alles in allem war es aber keine ernsthafte Konkurrenz zur Offerte auf dem Salon du Dessin. Auch der „Kniende Mann im Profil“ von Peter Paul Rubens entfachte keine Emotionen, lediglich zwei Saalbieter konkurrierten in kurzem Gefecht, der Zuschlag lag mit 300.000 Euro im mittleren Bereich der Schätzung.