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Kultur Das Deutsch der anderen

Wenn Sie diese Wörter kennen, sind Sie kein Piefke

Feuilletonredakteur
MOZART GIRL IN VIENNA AT ST STEPHENS CHURCH MOZART GIRL IN VIENNA AT ST STEPHENS CHURCH
Nicht alle Österreicher sehen so aus. Aber sie reden so
Quelle: Getty Images/Grant Faint
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Wenn der Fußgeher am Wuzeltisch ein Eigengoal schießt, ist das nicht leiwand. Österreichs Deutsch ist für uns eine mysteriöse Wunderwelt. Für Österreicher ist es ein Bollwerk nationaler Identität. Dabei wurde ein Schlüsselwort ausgerechnet von einem Berliner erfunden.

Auch diese Geschichte fängt mit Maria Theresia und ihrem Sohn Joseph II. an und geht mit Kaiser Franz Joseph weiter – wie so vieles andere in Österreich auch. Irgendwann nach den ganzen verlorenen schlesischen Kriegen gelangte Maria zu der Überzeugung, dass die Preußen wohl 1763 nicht nur durch die Macht der Gewehre und des Zufalls gesiegt hatten, sondern auch durch die größere Effizienz ihrer Bürokratie und ihre bessere Schulbildung. Sie schob Reformen in Staat und Verwaltung an, die ihr Sohn, der Reformkaiser, dann nur noch beschleunigte und radikalisierte.

Zu den kulturell folgenreichsten Maßnahmen gehörte die Einführung der allgemeinen Schulpflicht und die Verständigung darüber, welches Sprache man eigentlich den Kindern beibringen wollte. 1780 fiel die Entscheidung: Das Gottsched’sche Deutsch wurde Pflicht. Damit bezeichnet man eine Sprachpraxis, die den Regeln und Normen folgte, die der Leipziger Johann Christoph Gottsched in seiner „Grundlegung der deutschen Sprachkunst“ 1748 festgelegt hatte.

Expertenwissen für die sprachpolitischen Vorhaben holten sich Maria und ihr Sohn aus dem verloren gegangenen Schlesien, das seit dem „Buch von der deutschen Poeterey“ des großen Sprach- und Literaturreformers Martin Opitz im Ruf stand, Heimat eines besonders guten Deutsch zu sein. Der aus Schlesien nach Wien emigrierte Gelehrte Johann Ignaz Felbinger verfasste entsprechende Lehrwerke.

Rasch entspann sich eine Debatte darüber, inwieweit man bei Predigten in der Kirche oder auf dem Amt den Leuten das moderne, aus dem protestantischen Norden importierte Deutsch zumuten könne, ohne am Volke komplett vorbeizureden. Die Kompromisse, die man dafür fand, wirkten mit an der Entstehung jenes Wunderreichs des leiwanden österreichischen Deutsch, über das sich Norddeutsche – oder wie man früher (noch bei Karl Kraus und Joseph Roth) so unbefangen sagte: Reichsdeutsche – so begeistern können.

Die Rede ist nicht vom Dialekt, also jeder regionalen Sonderform der Sprache, die älter als die Schriftsprache ist und eigenen grammatischen Regeln folgt. Denn davon gibt es auch in Österreich nicht nur einen, sondern viele. Und Deutsche würden, wenn die Österreicher mit dem Dialekt Ernst machten, auch kein Wort verstehen. Obendrein gibt es bei den Dialekten viele Übereinstimmungen mit dem Mundart-Gebrauch in Bayern.

Österreichisches Deutsch meint vielmehr jene überregionale Standardform, die in Medien, Schulen, Literatur und Verwaltung genutzt wird, die jeder Nicht-Österreicher relativ problemlos versteht und in der dennoch Ausdrücke wie Alkolimit (Promillegrenze), bähen (Brot rösten), Ballschani (Balljunge), Eigengoal (Eigentor), Fliegenpracker (Fliegenklatsche), letschert (schlapp), Misttelefon (Telefondienst für Müllprobleme), trenzen (weinen), wampert (beleibt) und Wuzeltisch (Tischfußballspiel) ganz selbstverständlich sind.

„Pöbelhaft wie ihre Küchenmagd“

Folgenreich war neben anderem das Wirken des Aufklärers Joseph von Sonnenfels. Der hielt zwar als überzeugter Gottschedist den Dialekt für eine niedrige Sprachform, die den Menschen in selbst verschuldeter Unmündigkeit einkerkerte. Über die Wienerinnen klagte er, dass „die bestgekleidete Dame der höheren Gesellschaft so pöbelhaft redet wie ihre Küchenmagd“. Doch er war auch kompromissfähig und nahm in sein Werk „Über den Geschäftsstil: die ersten Grundlinien für angehende österreichische Kanzleybeamten“ 1784 Elemente aus Wortschatz und Grammatik der in Österreich gesprochenen bairischen Mundarten auf.

Sonnenfels’ Lehrbuch blieb bis 1848 Standardwerk an österreichischen Fakultäten und schuf jene eigenständige österreichische Amtssprache, in der es juridisch statt juristisch heißt, in der Immobilien Realitäten sind, wo Schubhaft statt Abschiebehaft verhängt wird und statt einer Revision oder Kontrolle eine Einschau stattfindet.

Die wahre Stunde der sprachlichen Eigenständigkeit schlug aber erst nach der deutschen Reichsgründung, die auch das sprachlich mehr Wien als Berlin nahestehende Bayern einschloss. Allein gelassen von den schnöden Verwandten im Norden, entwickelte man in der langen Ära unter Joseph II. ein habsburgisches Kulturbewusstsein, in dem die Eigenständigkeit des österreichischen Deutsch auch politisch gefördert wurde. Ausdrücke, die aus anderen Sprachen Österreich-Ungarns ins Deutsche gelangten, wurden nun als Beweis der Zusammengehörigkeit angesehen. Jause („Zwischenmahlzeit“), das von Sprachwissenschaftlern als österreichisches „Schibboleth“ (ein Wort, an dem man allein schon die sprachliche Zugehörigkeit, eines Menschen erkennen kann) bezeichnet wird, kommt vom slowenischen julina „Mittagessen“. Und Palatschinken (vom ungarischen palascinta und vom rumänischen placinta) hat sogar jeder kulinarisch gebildete Piefke schon mal probiert.

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Überhaupt ist der Küchenwortschatz ein besonders diverses Biotop österreichischer linguistischer Eigenständigkeit: Die Frittatensuppe kennt immerhin jeder Thomas-Bernard-Leser, von Erdäpfeln, Schlagobers und Schmarren haben wir im Norden auch schon gehört, Germknödel gibt es auch in Berliner Kantinen und Imbissen, aber dass Germ „Hefe“ heißt und was Beuschel, Farfeln, Fisole, Fogasch, Gröstle, Pogatsche, Powidl, Quargel, Schöpsernes und Teebutter sind, weiß kein Deutscher in dieser Vollständigkeit.

Dabei steht etliches davon sogar im „Vollständigen orthographischen Wörterbuch der deutschen Sprache“ (besser bekannt als Duden), das 1902 auch in Österreich verbindlich wurde. Obwohl das Wörterbuch zu Konrad Dudens Lebzeiten viel dünner war als heute, nahm der Rechtschreibnormierer viele österreichische und Schweizer Wörter darin auf, um den Variantenreichtum des Deutschen zu bewahren.

Im Duden-Verlag erscheint auch jenes Buch, das seit 1969 festhält, was „Österreichisches Deutsch“ ausmacht. Der Wiener Sprachwissenschaftler Jakob Ebner führt darin nur Ausdrücke auf, die tatsächlich im Gebrauch sind und sich in Medien nachweisen lassen – die 5. Auflage wurde 2019 hart von in Vergessenheit geratenen Wörter bereinigt, weil es hier nicht darum geht, ein „Sprachmuseum“ zu errichten. 8000 Ausdrücke sind darin verzeichnet.

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Manche unterscheiden sich nur phonetisch vom deutschen Gebrauch: Chef beispielsweise wird mit geschlossenem e artikuliert. Portier wird nicht französisch ausgesprochen, sondern am Ende wie Tier. Wörter und Namen werden anders betont – im Falle des Komponisten Franz Lehár etwa korrekt auf der ersten Silbe. Ebner konstatiert zu Recht, dass man den Österreicher zuallererst natürlich an der Aussprache des Deutschen erkennt.

Anderes hat in Österreich eine andere Bedeutung: ein BH ist ein Bezirkshauptmann, ausrasten bedeutet „ausruhen“, eine Masche ist eine Schleife und Koch meint in Zusammensetzungen wie Grießkoch „Brei, Mus“.

Jenseits des reinen Wortschatzes hat das Deutsch der Österreicher auch viele Besonderheiten bei Wortbildung und Grammatik. Allein am Gebrauch des unscheinbaren sogenannten Fugen-s lassen sich unsere und ihre Varianten unterscheiden. Manchmal steht ein Fugen-s in Wörtern, die bei uns keines haben: Fabriksarbeiter, Gesangsbuch, Zugsverspätung, Gepäcksaufgabe. Dafür werden Zusammensetzungen mit Advent ohne s gebildet: Adventkranz, Adventzeit. Bei Tragtasche, maschinschreiben oder Sonnseite fehlt das kleine norddeutsche Fugen-e.

Von Balltigern und Mehlspeistigern

Besonders begeistert sind deutsche Touristen immer wieder von Schildern, auf denen Fußgeher erwähnt werden. Aber auch viele andere Wörter, die hierzulande mit dem Bestandteil -gänger gebildet wurden, lauten in Österreich anders: Kinogeher, Kirchgeher, Spaziergeher. Sofort importieren sollte man das Wortbildungselement -tiger, das in Zusammensetzungen wie Suppentiger, Partytiger, Mehlspeistiger oder Balltiger „begeisterter Liebhaber, Fan“ bedeutet. Zuckerl im Sinne von „Anreiz, besondere Vergünstigung“ haben wir ja schon übernommen, wir müssten jetzt nur dringend auch anfangen, damit Wörter wie Wahlzuckerl, Steuerzuckerl oder Preiszuckerl zu bilden.

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Beinahe wäre die Selbstständig-Werdung des österreichischen Deutsch nach 1918 unterbrochen worden. Vergessen ist heute, dass es nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und der Zerschlagung des großen Habsburger-Vielvölkerreichs politische Bestrebungen gab, sich dem Nachbarn im Norden anzuschließen – nicht nur bei deutschnationalen Österreichern, sondern auch bei Sozialdemokraten. Dieser demokratische Anschluss hätte, wenn er denn gekommen wäre, sicher sprachliche Folgen gehabt. So gut wie keine Auswirkungen auf das österreichische Deutsch hatten dagegen die Jahre von 1938 bis 1945, als Österreich unter Hitler erzwungenermaßen noch einmal Teil des Deutschen Reichs war.

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Heute erscheint die Tatsache, dass Österreich und Deutschland mal eine politische Einheit bildeten und immer wieder zueinander strebten, so märchenhaft fern und vergangen wie das Faktum, dass Frankreich und Deutschland ja unter Karl dem Großen auch mal ein einziges Land waren.

Die Eigenständigkeit der Sprache ist geradezu eine nationale Obsession geworden. Wenn Ausdrücke aus dem Norden wie das Grußwort tschüs einmarschieren, wird das als Bedrohung der Identität empfunden. Dabei ist nur den wenigsten bewusst, dass sogar das Wort, mit dem die Österreicher sich von den Deutschen abgrenzen, aus Preußen eingeführt wurde. Ein Herr namens Piefke taucht erstmals 1841 beim Berliner Schriftsteller Adolf Glasbrenner in der Komödie „Antigone in Berlin“ auf.

Vielleicht inspiriert davon schuf Moritz Gottlieb Saphir in seiner in Wien erscheinenden Zeitschrift „Der Humorist“ 1848 das Duo Piefke und Puffke, das in kurzen Dialogen die Zeitläufte satirisierte. Die beiden waren aber eindeutig Österreicher. Johann Strauß Senior widmete ihnen seine Piefke-und-Puffke-Polka.

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Erst um 1870 wird Piefke zur Bezeichnung für deutsche Soldaten und schließlich für die besserwisserischen Nachbarn im Norden überhaupt. Karl Kraus nennt Deutschland und Österreich 1929 „Gebrüder, die einander Piffke und Nazi“ titulieren. Nazi, als Kurzform des Vornamens Ignaz, war tatsächlich mal ein Spottname für Österreicher. Aber das ist eine andere, sehr reichsdeutsche Geschichte.

Dieser Artikel wurde erstmals im Juli 2021 veröffentlicht.

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