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Literatur „Desinformation des MDR“

Ines Geipel erhält den Loest-Preis – und kritisiert ihre Kritiker

Redakteur im Feuilleton
Erich-Loest-Preisträgerin 2023: Ines Geipel Erich-Loest-Preisträgerin 2023: Ines Geipel
Erich-Loest-Preisträgerin 2023: Ines Geipel
Quelle: Gregor Fischer/dpa/Archivbild
Die Publizistin und frühere Leistungssportlerin Ines Geipel hat in Leipzig den Erich-Loest-Preis entgegengenommen. Deutlich wurde, wie sehr DDR-Aufarbeitung vermintes Terrain ist. Der Dichter Durs Grünbein beklagte in seiner Laudatio sogar eine „Restauration Ost“.

Der 24. Februar ist nicht nur der Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine, sondern es ist auch der Geburtstag des Leipziger Schriftstellers Erich Loest („Nikolaikirche“), der von 1926 bis 2013 lebte und zu dessen Andenken seit 2016 der Erich-Loest-Preis vergeben wird. Er ging dieses Jahr an die Schriftstellerin, Publizistin und frühere DDR-Leistungssportlerin Ines Geipel. Die Laudatio hielt der Dresdner Schriftsteller und Büchnerpreisträger Durs Grünbein.

Selten waren ein Preis und seine designierte Preisträgerin im Vorfeld heftiger ins Visier veröffentlichter Kritik geraten. Eine tendenziöse MDR-Doku und einen ebensolchen „Spiegel“-Report im vergangenen Jahr muss man als Teil einer schon länger laufenden Kampagne gegen Ines Geipel lesen – einer Kampagne, die davon zeugt, wie hochumstritten die Auslegung und Aufarbeitung der DDR-Geschichte ist.

Geipel war lange Vorsitzende eines Doping-Opfer-Hilfevereins. Namentlich der auf DDR-Aufarbeitung spezialisierte Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk hatte sich durch einen offenen Brief im Vorfeld bemüht, Preisverleihung und Preisträgerin zu diskreditieren. Sein Versuch der Einflussnahme auf Stiftungsrat, Laudator und Jury im Vorfeld mutete auch deshalb übergriffig an, weil seine Bitte, „die Preisverleihung“ bis zur Klärung der Vorwürfe um Geipel „zu verschieben“, „um Schaden vom Loest-Preis abzuwenden“, so theatralisch formuliert war. Als würde hier kein Literaturpreis, sondern ein Historiker-Preis für Aufarbeitung der DDR-Diktatur vergeben. Als wäre die Medienstiftung der Leipziger Sparkasse, die die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung vergibt, ein Orwellsches Ministerium für Wahrheit.

Der Erich-Loest-Preis ist ein Literaturpreis. Im Fall von Ines Geipel belohnt er eine Form der Aufarbeitung, die mutig ist und literarisch konturiert, vor allem aber gesellschaftlich relevant, weil sie im Modus des soziologisch-psychoanalytischen Reportage-Essays „Geschichte anhand von Fallgeschichten“ erzählt. So betonte es Grünbein in seiner Laudatio. Geschichte sei für Geipel ein Erfahrungsraum, den sie ausmesse und ausmiste. Geipels Themen, nämlich „Leistungssport mit der Bruchstelle Doping, Erziehung im Sozialismus, Gewalt in der Familie, die Normierung der Körper, Kindheits- und Generationsmuster, Erinnerungspolitik, Zensur und Depression, zuletzt erst das Kosmosprojekt der DDR, Raumfahrt als Teil des Rüstungswettkampfs“ zeigten, so Grünbein, ein Geflecht von Zusammenhängen, die nach dem Willen ihrer Agenten und Täter bis heute am besten verborgen geblieben wären. Er selbst, sagte Grünbein, beobachte an den massiven Reaktionen auf Geipel auch, dass die „Restauration Ost“ in vollem Gange sei: „Die Zeit scheint günstig für einen gewissen DDR-Revisionismus“.

Kritik an den Medien

Grünbein kritisierte auch die Medien, die das mitspielen. Er nannte Geipel eine „Rechercheurin, die zuverlässig die Eifersucht der Journalisten auf sich zieht. Kein Wunder, dass es immer wieder Journalisten sind, die sich ihr entgegenstellen. Der Einzelne hat es nicht leicht, wenn er auf eigene Faust investigativ operiert.“ Die Feierstunde für Ines Geipel auf dem Mediencampus der Villa Ida in Leipzig war zwischendurch immer wieder auch Trauerstunde für den DDR-Bürgerrechtler Werner Schulz, der vergangenen Herbst verstorben und Mitglied der Jury für den Loest-Preis gewesen war.

In ihrer Dankesrede formulierte Geipel drei konkrete Punkte, die ihr über die öffentliche Debatte um ihre Person hinaus wichtig seien: Erstens erinnerte sie die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt MDR an ihre Verantwortung, Themen wie die DDR-Sportopfer nicht durch „Desinformation“ zu diskreditieren. Zweitens bezeichnete sie es als skandalös, dass ein Historiker wie Ilko Sascha-Kowalczuk, der „unermüdlich in Kampagnen verwickelt“ sei, als zurzeit beurlaubter Forscher in der Stasiunterlagenbehörde in Kürze wieder Zugang zu Opferakten erhält. Geipel sprach davon, dass Opferakten „kugelsicher“ sein müssten. Das spielte auf einen Vorfall des Jahres 2019 an, der belegt, dass die Unterlagenbehörde ein Vertraulichkeitsproblem mit Opferakten hat.

Drittens regte Geipel die Stadt und Universität Leipzig an, einen Lehrstuhl der verfemten Künstler ins Leben zu rufen, der den Namen Erich Loests tragen solle. Linde Rotta, die Witwe Erich Loests, erinnerte im Anschluss daran, dass „der Erich“ immer mehr Feinde als Freunde gehabt habe. Loest, der sieben Jahre in Bautzen einsaß, wusste ebenso wie Walter Kempowski um die Härte des sozialistischen Regimes. Und auch um dessen Seilschaften, die mit den Abtrünnigen bis heute, bis in die Aufarbeitung hinein, im Wettstreit um die Deutungshoheit liegen. So traurig es ist: Ines Geipel erscheint – gerade durch die Anfeindungen, die sie erfährt – als idealtypische Preisträgerin im Sinne des Namensgebers.

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