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Kultur Berliner Staatsoper

„Ich komme, ich komme, süß durchströmt mich der Erde Saft“

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Des Fräuleins Gespür für Schnee: Vera-Lotte Boecker als Daphne Des Fräuleins Gespür für Schnee: Vera-Lotte Boecker als Daphne
Des Fräuleins Gespür für Schnee: Vera-Lotte Boecker als Daphne
Quelle: Monika Rittershaus
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Der matte Einakter „Daphne“ von Richard Strauss ist selbst für Liebhaber eine Herausforderung. In der ersten Musiktheaterarbeit Romeo Castelluccis an der Spree wird sie zu einer verrätselten Installation. Wäre da nicht dieser Überwachungsfreak, der die Staatskapelle im Griff hat.

Selbst Opernliebende stehen kopfschüttelnd vor einem so besonders weltentrückten Musiktheater-Ding wie der 1937 komponierten „Daphne“ von Richard Strauss. Während sich Deutschland zu ganz anderem rüstete, entflohen Strauss und sein professoral-trockener Textdichter Joseph Gregor in ein papierraschelndes Griechenland, das musikalisch aus zweiter Hand lebt. Da mögen Dirigenten die gesucht-raffinierten Harmonien, die Kunst der Instrumentierung loben, der Chiton von Daphne, die vor den Zudringlichkeiten Apollos fliehend in einen Lorbeerbaum verwandelt wird, fältelt sich gipsern.

Und trotzdem, nicht nur psychologisch-politische Regieergründer wie Peter Konwitschny, Claus Guth oder Christof Loy haben in den vergangenen Jahren bewiesen, dass dieses grauslich-reizvolle Spätwerk trotzdem seine schillernd szenischen Facetten haben kann. Auch bei ihnen konnte man „Daphne“ nicht wirklich lieben, aber man hatte sie als Zeitkunstwerk weit besser verstanden. Wenn die Berliner Staatsoper allerdings den schicken, angesagten Kausalitätsverweigerer Romeo Castellucci für den matten Einakter engagiert, ist eigentlich klar, dass es höchstens zu einer verrätselten Installation reicht.

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Doch dessen erste Musiktheaterarbeit an der Spree in wie stets eigener Ausstattung und Beleuchtung ist nicht mal das. Sondern nur eine muffige Routine-Nicht-Aktion, die höchstens eines zeigt: Fräulein Daphnes Gespür für Schnee.

Denn auch wenn die bukolischen Holzbläser im Vorspiel vom baldigen „Fest der blühenden Rebe“ künden, wir sehen nur: Arkadien kann sehr kalt sein. Klimageschockt schneit es hier beinahe ohne Unterlass, Polarlicht glüht schwarz oder gülden über einem Wäldchen am flachgedrückten Horizont. Und wenn hier philologisch kalkrieselnd zur Tanzorgie zwischen den widerstreitenden Prinzipien des Apollinischen wie Dionysischen geschritten wird, dann scheinen die fünf Tänzerinnen in ihren Schneeklamotten eher zum Skihaserlball zu schreiten.

Ein doofes Castellucci-Bilderrätsel

Die problematische Pastorale als totale Verweigerung zwischen marmornen Relieftrümmern und an der Rampe aufgereihten Sängern, die durch die Kunstflocken stapfend ihre Auftritte absolvieren. Nur Daphne, die leider überforderte Edelsoubrette Vera-Lotte Boecker, der nach mädchenhaft schimmerndem Beginn die ausdauernde Dramatik wie die gleißende Sopranhelle dieser flachen Kunstfigur abgeht, der scheint es immer noch viel zu heiß.

Sie schmeißt ihre Kleider von sich, tollt in Dessous um das dürre Lorbeerbäumchenskelett, das am Ende als Wurmfortsatz der im Bühnenhimmel verschwindenden Riesentitelseite von T. S. Eliots „The Waste Land“ traurig in der Luft hängt, während sie sich schlammverkrustet in den offenbar doch nicht permafrostigen Boden gegraben hat. Und die Säule links, auf der ein Kanister mit Kunstblut thront, hat sich vom „ER“ auf „SIE“ gedreht. Auch das nur noch ein doofes Castellucci-Bilderrätsel.

Wenn man keinen Apollo aufbieten kann, die wohl fieseste alle fiesen Strauss-Tenorpartien überhaupt, dann soll man die „Daphne“ besser lassen. Dem reputierlichen Zwischenfachtenor Pavel Cernoch fehlt jedes heldische Strahlen, meist ist er sowieso kaum zu hören. Gefährlich an der Überforderung vorbeischrammend, schraubt sich auch der junge Magnus Dietrich aus dem Opernstudio in die Höhen des vokal nicht minder gemeinen Daphne-Freundes Leukippos. Als Charaktere sind sie in dem trüben Licht eh kaum auszumachen. Der abgesungene René Pape und die dumpf klingende Anna Kissjudit als spießiges Elternpaar Peneios und Gaea hinterlassen ebenfalls wenig Eindruck.

Nach diversen Einspringern dirigiert der hochgehypte, überbeschäftigte Kapellmeister und designierte Frankfurter Generalmusikdirektor Thomas Guggeis mit der „Daphne“ seine erste reguläre Berliner Hauspremiere. Und wenn dieses spröde Spätwerk zu retten wäre, dann mit flirrenden Streichern, nuanciert funkelnden Bläsern, einem so zart wie filigran die floreale Metamorphose zur Apotheose magisch überhöhenden Schluss.

Guggeis freilich erweist sich einmal mehr als Kontrolletti, als Überwachungsfreak, der die durchaus willige Staatskapelle nicht loslassen kann. Er baut die Spannungsbögen nicht auf, er zwingt sie zusammen. So wirkt die über weite Strecken uninspirierte Partitur noch steifer, müder, öder, stellenweise rhythmisch verwaschen.

Hier ereignet sich keine motivisch feingeschälte „bukolische Tragödie“, deren Konsequenz und ordnender Substanz man entweder strukturiert oder verklärt romantisierend folgt, sondern nur ein altbackener Strauss-Abzählreim. Da ist man höchsten unterhalten, wenn nach dem erfrorenen „Fest der Paarung“ die zum Baum mutierende Daphne singen darf: „Ich komme, ich komme, süß durchströmt mich der Erde Saft“.

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