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Film Kinofilm „Rabiye Kurnaz“

Ein Film über Recht, über Willkür – und über Staatsversagen

Filmredakteur
„Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ von Andreas Dresen

Der Regisseur Andreas Dresen („Gundermann“) stellt bei der Berlinale seinen neuen Film vor. Er erzählt die Geschichte des Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz – und zwar aus der Perspektive der Mutter.

Quelle: Pandora Film Verleih

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In dem neuen Film „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ geht es um den Bremer Guantánamo-Häftling. Doch dem Regisseur Andreas Dresen gelingt das seltene Kunststück, zugleich lustig und kämpferisch zu sein.

Irgendwann in Andreas Dresens neuem Film treffen sich der Anwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer) und der Staatsanwalt Marc Stocker (Charly Hübner) zu einem dieser klandestinen Hintergrundgespräche, wie wir sie aus Thrillern kennen. Stocker hat einen Tipp für Docke, genauer eine Warnung: In der Bundesregierung gebe es wesentliche Kräfte, die die Freilassung von Dockes Mandant Murat Kurnaz aus dem Gefangenenlager Guantánamo hintertrieben. Er müsse sich darüber im Klaren sein, dass er ganz allein stehe: gegen die öffentliche Meinung, gegen die türkische Regierung, gegen die amerikanische – und nun offenbar auch gegen die deutsche. Wir wissen, wohin das in Filmen führt: Überwachung, Einschüchterung, Gewalt. Der Apparat schlägt zurück.

Das wäre die Thrillervariante. Andreas Dresens „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ hingegen ist die Variante, die man gar nicht für möglich gehalten hätte: eine wahre Komödie. Eine Komödie über die Nachwirkungen von „9/11“? Über einen jungen Bremer Muslim, der zwei Monate nach den Anschlägen bei einer Routinekontrolle von der pakistanischen Polizei festgenommen, vom pakistanischen Militär gegen ein Kopfgeld von 3000 Dollar an amerikanische Truppen in Afghanistan verschachert und von denen schließlich in das Lager Guantánamo transportiert wird?

Unstoppbar: Meltem Kaptan als Rabiye Kurnaz
Unstoppbar: Meltem Kaptan als Rabiye Kurnaz
Quelle: Pandora Film

Es hat inzwischen einige Filme über Guantánamo-Häftlinge gegeben: Michael Winterbottoms „The Road to Guantánamo“ über drei dort festgehaltene britische Muslime, Jodie Fosters „Der Mauretanier“ über einen 14 Jahre ohne Anklage inhaftierten Afrikaner – und selbst einen Film über Murat Kurnaz gab es schon, Stefan Schallers „Fünf Jahre Leben“. Alle Filme sind Dramen, voll von Demütigung, Folter und Hoffnungslosigkeit. Und nun: eine Komödie?

Sieht man genauer hin, erweist sich Dresens Film eigentlich als David-gegen-Goliath-Geschichte. Rabiye Kurnaz, Murats Mutter, kann sich das spurlose Verschwinden ihres Sohnes nicht erklären, bis eines Tages ein Brief von ihm eintrifft: Er sitze in Guantánamo. Sie weiß nicht, was das ist, sie weiß nur: Ihr Sohn muss unschuldig sein. Sie weiß das instinktiv als Mutter, „Rabiye Kurnaz“ ist nämlich auch ein Film aus dem Subgenre „unbezähmbare Frauen“, wie „Erin Brockovich“ mit Julia Roberts oder „Philomena“ mit Judi Dench.

Rabiye Kurnaz ist wahrlich nicht zu stoppen. Sie dampfwalzt ihren Weg überall hin, vom Büro des Menschenrechtsanwalts Docke in Bremen (der mit dem Fall nichts zu tun haben möchte) bis in das Büro eines türkischen Ministers in Ankara (ihr Sohn ist formell türkischer Staatsbürger). Sie ist, wie die Kölner Komikerin Meltem Kaptan sie in ihrer ersten dramatischen Rolle spielt, eine Kraft der Natur: schlagfertig, laut, herzlich, aufdringlich und hält den Fuß immer auf dem Gaspedal (selbst wenn die Ampel Rot zeigt).

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Sie ist, wie man zu sagen pflegt, ein „Muttertier“, und Kaptan hält die schwierige Balance zwischen dem Klischee der türkischen Familienversorgerin und dem verletzbaren Menschen hinter dem hyperaktiven Schutzschild. Sie geht mit atemberaubender Sicherheit durch den Film, was umso bemerkenswerter ist, weil sie noch nie eine derart tragende Rolle gespielt hat; sie bewegt sich, genauer betrachtet, auf diesem fremden Territorium sogar virtuoser als Andreas Dresen, der hier ausnahmsweise seine Komfortzone Ostdeutschland verlässt und bei den Szenen in Bremen und Washington ziemlich auf Nummer sicher geht.

Es gibt noch eine zweite Ebene hinter dieser Rabiye-Figur, die mit ihrer rührenden Naivität den ganzen Film zum Leuchten bringt. Irgendwann landen Rabiye und Bernhard (dies ist, nebenbei, auch der wunderbar spröde Freundschaftsfilm eines seltsamen Paars) vor dem Obersten Gerichtshof der USA, um die Freilassung Murats zu erzwingen. Wer genau hinsieht, erkennt in einem der beisitzenden Richter Andreas Dresen, eine stumme Rolle.

Nun ist bekannt, dass Dresen seit Jahren als Laienrichter im brandenburgischen Verfassungsgericht tätig ist. Er – und sein Film – nehmen das Versprechen der Demokratie, Gerechtigkeit sei gegenüber jedermann zu üben, sehr ernst. So ist „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“, bei aller komödiantischen Leichtigkeit, auch ein Film über Recht, über Willkür – und über Staatsversagen, das von einigen wenigen Einzelnen korrigiert werden muss.

Was wusste Frank-Walter Steinmeier?

Es gibt das monströse amerikanische Staatsversagen der Existenz dieses Lagers, wo 20 Jahre nach seiner Einrichtung immer noch 40 Menschen grundrechtlos festgehalten werden. Und es gibt das weniger offensichtliche deutsche Staatsversagen, was uns zurück zu Alexander Scheer und Charly Hübner bringt. Hübner benennt die „Kräfte“ in der rot-grünen Regierung nicht, die Kurnaz’ Freilassung hintertreiben, aber wir wissen inzwischen, dass der damalige Kanzleramtschef Steinmeier dabei eine wesentliche Rolle gespielt hat.

Derselbe Frank-Walter Steinmeier, der gerade als Bundespräsident wiedergewählt worden ist – an exakt dem Tag, an dem „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ auf der Berlinale uraufgeführt wurde. Schade, dass der Präsident an dem Abend etwas anderes zu tun hatte, als ins Kino zu gehen.

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