In einer Welt, in der man ständig bis zur völligen Gehirnerschöpfung differenzieren soll, hilft es ungemein, sich hin und wieder eine elementare Frage zu stellen. „Leiwand? Oder Oasch?“ lautet sie, was aus dem Wienerischen ins Deutsche übersetzt „Super? Oder Scheiße?“ bedeutet, und der Mann, dem dieses Sortierkriterium zu verdanken ist, war so leiwand, dass einem nach seinem Tod der Schmäh ausgeht, weil es so arschtraurig ist ohne ihn. Willi Resetarits hieß er.
Er starb am vergangenen Sonntag, als er zu Hause eine Treppe hinunterstürzte, mit 73, am Abend zuvor hatte er noch auf einer Bühne gestanden, seine letzte Platte, im vergangenen Jahr erschienen, hieß „Elapetsch, Tod“, und im Titelsong teilte Resetarits mit: „Es ist no ned mei Zeit, Gevatter, tuat ma leid“. Doch so ist das Leben, viel zu häufig eine Gemeinheit.
Resetarits war ein grandioser Musiker, der fünf Jahrzehnte lang irrwitzig unterschiedliche Lieder sang: krass linken Agitproprock („Proletenpassion“), ans Herz gehende Schrammelmusik, kroatische Volkslieder, verwienerte Gershwin-Standards, Vertonungen von HC Artmann-Gedichten.
Dass er dabei nie wirkte, als hätte er sich verkleidet, und dass seine Stimme in ein und demselben Lied brachial und empfindsam sein konnte, lag daran, dass er sich die Songs regelrecht überstülpte, statt sie einfach bloß zu „interpretieren“. „Meine Devise“, hat er einmal gesagt, ist: „Slave for the Song“.
Das Folgenschwerste, worin sich Resetarits geworfen hatte, war eine Zweitexistenz als Ostbahn-Kurti mit einer Band namens „Die Chefpartie“, eine Kunstfigur, die dem Journalisten Günter Brödl eingefallen war, als er darüber nachgedacht hatte, wie die amerikanische Band „Southside Johnny & the Asbury Jukes“ aus New Jersey heißen müsste, wenn sie aus Wien käme.
Diesen Ostbahn-Kurti also verkörperte Resetarits mit Vorstadt-Habitus und einem Repertoire aus Songs von Springsteen, Steve Miller, Townes Van Zandt und anderen, die von Brödl ins Wienerische übersetzt worden waren – doch wer die Chefpartie-Varianten einmal gehört (und den Dialekt verstanden) hat, fragt sich, warum die Coverversionen der amerikanischen Rockstars so viel mauer gewesen sind als die Originale.
„Last night I dreamed I held you in my arms / The music was never-ending / We danced as the evening sky faded to black / One step up and two steps back“, heißt es beispielsweise in Bruce Springsteens „One Step Up“, bei Ostbahn-Kurti wurde daraus: „Dann lieg i in an fremdn Bett / Nebn mia da Rest von den fremden Lochn / Und i waaß, i hob da nix valuan, i muaß fuat/ An Schritt vire, zwa Schritt zruck.“
In Österreich wurde „Ostbahn-Kurti & die Chefpartie“ unverzüglich zu einer Legende: Konzerte vor Tausenden euphorischen Fans, die jedes Wort mitsingen konnten, „Leiwand oda Oasch“-T-Shirts trugen und glücklich darüber waren, dass sich jemand für sie verausgabte, dessen Musik daran erinnerte, wofür Musik einmal erfunden worden war – zum Unruhigwerden, Trinkenwollen und Wegträumen.
Durch und durch ein Roter
Das ging so ein paar Jahre, bis 2000 Brödl mit erst Mitte 40 einen plötzlichen Herztod starb und Resetarits seine Kunstfigur, zu der er längst geworden war, in Pension schickte, um als Resetarits weiterzumachen, mit Liedern, die oft genauso gut waren, aber intimer und heruntergedimmter als die Stadion-Kracher. Hin und wieder allerdings holte er sein Ostbahn-Kurti-Ich wieder heraus, und es war jedes Mal, als würde er nicht nur um seine eigene Seele, sondern auch um die seiner Zuhörer singen.
Resetarits war ja nicht nur ein, wie man so sagt, volkstümlicher Mensch, der genau Bescheid wusste über das Hackeln in der Fabrik, das Leben in den schlechter beleumundeten Bezirken, das Nachmittage-Versitzen im Wirtshaus und die Wut und die Tagträume, die in einem herumgeistern. Sondern er war auch durch und durch ein Roter, der sich permanent gegen den Rassismus und das Gehetze der österreichischen Populisten engagierte, ob sie nun von der FPÖ oder den türkisen Feschisten der ÖVP kamen.
Und wenn sich jemand wie der Ostbahn-Kurti mit seiner Street Credibility engagierte, überzeugte das die volkstümlichen Menschen gewiss mehr als jene hypermoralischen Typen, die dem Volk ständig die Welt erklären müssen. Resetarits war Mit-Initiator der Vereine „SOS Mitmensch“ und „Asyl in Not“ und gründete 1995 das „Integrationshaus Wien“, das sich vorbildlich um Asylsuchende, Flüchtlinge und Migranten kümmert.
Er wäre am 19. März selbstverständlich der Headliner beim Soli-Konzert „We Stand With Ukraine“ im Ernst-Happel-Stadion gewesen, wenn er sich nicht zwei Tage zuvor Corona gefangen hätte, und das allerletzte Offizielle, was er an seinem Leben tat, war die Eröffnung des Flüchtlingsballs im Wiener Rathaus am Abend vor seinem Tod. So jemand war Willi Resetarits: ein leiwander Typ, wie sie heute nicht mehr allzuoft gemacht werden.