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  4. Nina Hagens Album „Unity“: Kann sie noch singen? Eine Stimmanalyse

Meinung Nina Hagen

Schnatterinchen, zwei Oktaven tiefer

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Avantgardistin aller Verschwörungsschwurbler: Nina Hagen Avantgardistin aller Verschwörungsschwurbler: Nina Hagen
Avantgardistin aller Verschwörungsschwurbler: Nina Hagen
Quelle: picture alliance/dpa/REWIKA PROMOTION/GABO
Sie hat die schrillste und schönste Stimme im deutschen Pop. Aber auch Nina Hagen wird nicht jünger. Kann die ewige Punksirene überhaupt noch singen? Eine Vokalanalyse unseres Opernkritikers anlässlich ihres neuen Albums „Unity“.

Vor genau einem Jahr waren sie und ihr unvergesslicher Farbfilm dann beim eisekalten Merkel-Abschiedszapfenstreich im Berliner Bendlerblock sogar staatstragend, kanzlerinnenkompatibel und stabsmusikcorpsarrangementfähig geworden. Zusammen mit Hildchen Knef und einem Kirchenchoral. Und jetzt ist Nina Hagen mit einem neuen Album da. Dem ersten seit elf Jahren und dem erst neunten ihrer, nun ja, verschlungenen Karriere.

Weihnachtlich gestimmt heißt es zwar „Unity“, erschienen ist die Platte bei Herbert Grönemeyers Label Grönland Records. Aber von „Einheit“ kann bei der gewohnt chaotisch-verstrahlten 67-Jährigen als kreativem Mittelglied im Damentrio aus ihrer unlängst verstorbenen Mutter Eva-Maria und ihrer Tochter Cosma-Shiva – von Einheit kann bei der teutonischen Queen of Schrillness und Godmother of Punk nicht wirklich die Rede sein. Auch in den zwölf Songs, zum Teil schon früher veröffentlicht, die sehr versöhnlich gemütlich mit „It Doesn’t Matter Now“ im Duett mit Bob Geldof enden, ist nur wieder eines klar: Dieses schräge Klasseweib lässt sich schon gar nicht auf einen Stil festlegen.

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Da wird gegen den „Atomwaffensperrvertrag“ angekoddert, da gibt sich die ewige Göre Nina countryselig mit Coverversionen von Merle Travis („16 Tons“) und Sheryl Crow („Redemption Day“). Oder friedensbewegt mit „Die Antwort weiß ganz allein der Wind“ als wendige Ikone zwischen Bob-Dylan-Genuschel und Marlene-Dietrich-Divenbass. Bereits 2020 war der Titelsong „Unity“ erschienen, als Nina Hagens Antwort auf den Tod des Afroamerikaners George Floyd und die Black-Lives-Matter-Bewegung; wobei Funkgröße George Clinton Hilfestellung leistete.

Und auch wenn alters- wie lebenswandelbedingt die Stimme der ufosuchenden Esoterikerin, Buddhistin, Protestantin, Skandalnudel inzwischen um einige Oktaven tiefer gesunken ist, angeraut und im Volumen eingeschränkt klingt, es tönt eben immer noch unverkennbar nach Nina Hagen.

Küchenquirl mit Wackelkontakt

Die hatte sich noch nie um irgendwas geschert, schon gar nicht um ihren Ruf. Mal Schlagerschnauze, dann wieder poppige Kreischkugel, Kunstmusikartistin, sehr komische, aber eben auch könnerische Mireille-Mathieu-Imitatorin, im Duett mit Nana Mouskouri, als straßenköterige Brecht-Diseuse, auf dem „Personal Jesus“-Trip, im „Volksbeat“-Modus oder mit Riesenvibrato als Ufa-Sirene auf der Zarah-Leander-Landebahn – Nina Hagens Stimmbänder schienen lange keine Grenzen zu kennen. Da kiekste die Koloratur, schlackerte der Scatgesang, schnurrte es wie Shir Khan und wurde irgendwann die schräge Säbelzahntigerin aus dem Tontank gelassen. Und so ist auch das neue Opus eher kreischbunter Zaubersack als Konzeptsongstrauß.

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Da klappert die „Venusfliegenfalle“, da prangert sie „Gedankenverbrechen“ an, da kommen mit biblischem Furor die drei Jünglinge in Nebukadnezars Feuerofen, und die Nina nölt nach „Geld, Geld, Geld“. Leider sind die Zeiten der todesmutigen Primadonnen-Höhenflüge und nie endenden Kadenzen-Kapriolen vorbei, doch mit dem schönen Restmaterial wird nach wie vor gepflegt klanggebastelt und feministisch zugespitzt. Das klingt dann wahlweise nach Looney Tunes auf Speed, nach Küchenquirl mit Wackelkontakt oder schnalzendem Hexenbesen. Und einen Kinderchor zwischen Reggae-Waves gibt es auch noch.

Die Hagen, im funkigen Soundirrgarten zwischen verschwörungstheoretischer Avantgarde und rückwärtsgewandt, Dub-Prophetin und Weimarer-Republik-Sibylle, Schnatterinchen und Teufels Großmutter, sie will einfach nicht erwachsen werden, gibt lieber balladesk die unwürdige Punk-Oma und schlackert damit trotzdem traumsicher in ihr CD-Ziel: als Marianne der Singer-Solidarität und ewiges, glitterig aufgezäumtes Zirkuspferd in der Popmanege. Anders als die anderen, so war sie immer, so wird sie bleiben. Und irgendwie liebt sie dafür ja offenbar sogar Angela Merkel.

Nina Hagen: „Unity“ (Gönland Records)

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