WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. „Mord im Auftrag Gottes“ bei Disney+: Die Heiligen des 6. Januar

Kultur Serie „Mord im Auftrag Gottes“

Die Heiligen des 6. Januar

Feuilletonredakteur
UNDER THE BANNER OF HEAVEN — “When God Was Love” Episode 1 (Airs Wednesday, April 28th) — Pictured: Sam Worthington as Ron Lafferty. CR: Michelle Faye/FX UNDER THE BANNER OF HEAVEN — “When God Was Love” Episode 1 (Airs Wednesday, April 28th) — Pictured: Sam Worthington as Ron Lafferty. CR: Michelle Faye/FX
Hände hoch zum Gebet: der lange Tisch der Laffertys in der Serie „Mord im Auftrag Gottes“
Quelle: Michelle Faye/FX
Hier können Sie unsere WELT-Podcasts hören
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.
24. Juli 1984, American Fork, Utah: Eine Frau und ihr Kleinkind fallen einem brutalen Mord zum Opfer – mitten im Mormonenland. Jetzt ist aus Jon Krakauers True-Crime-Bestseller über diesen Fall eine aufsehenerregende Serie geworden, die es auch politisch in sich hat.

Der Reporter Jon Krakauer hat drei folgenreiche Bücher geschrieben. Mitte der Neunziger hat er die Geschichte des heillosen Romantikers Chris McCandless erzählt, der auf der Suche nach der Wildnis in einem aufgegebenem Bus in Alaska verhungert ist; im Mai 1996 war Krakauer bei der Katastrophe am Mount Everest dabei, der acht Menschen zum Opfer fielen. Sowohl „In eisigen Höhen“, Krakauers Everest-Buch, als auch „In die Wildnis“, seine McCandless-Ermittlung, sind heute Klassiker; das Kino hat sich lange bedient.

„In die Wildnis“ wurde 2007 von Sean Penn verfilmt; „In eisige Höhen“ zunächst fürs Fernsehen abgedreht, aber auch Baltasar Kormákurs „Everest“ ist ohne den Zeugen Krakauer nicht denkbar, im Film wird er von Michael Kelly gespielt. Krakauers drittes großes Buch ist im Vergleich dazu relativ unbekannt, vielleicht auch, weil er sich darin von einer anderen Seite zeigt. Denn „Im Auftrag Gottes“ erzählt nicht von der Wildnis außerhalb, sondern von der Wildnis drinnen.

Lesen Sie auch

Es geht um einen grausamen Doppelmord: Brenda Wright Lafferty und ihre kleine Tochter Erica Lane wurden am 24. Juli 1984 in American Fork, Utah County, mit Messerstichen geradezu hingerichtet. Statt in die Wildnis oder eisige Höhen reiste Jon Krakauer ins Mormonenland – und blieb damit seinem Hang zu Passionswegen treu; irgendwo gibt es zwischen dem Fanatismus des Aussteigers Chris McCandless, dem der Bezwinger des Mount Everest und dem derer, die Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem Mormon Trail nach Westen zogen, eine Verbindung und vielleicht heißt sie ja wirklich „Religion“.

„Mord im Auftrag Gottes“ jedenfalls wollte nie nur eine True-Crime-Geschichte erzählen, sondern auch die Geschichte der Mormonen, von Joseph Smith, ihrem Gründer, über Brigham Young, ihrem historischen Patriarchen, bis zu Brenda und Erica Lafferty, die, glaubt man Krakauer, Smiths und Youngs späte Opfer sind.

Andrew Garfields beste Rolle seit „Hacksaw Ridge“

In der gleichnamigen Serie, die jetzt bei Disney läuft, hat sich diese Struktur erhalten: Man kriegt sowohl Joseph Smith als auch Brigham Young zu sehen, deren Pioniergeist allerdings vor allem der Vielehe gilt, und der lange Weg nach Utah entpuppt sich vor allem als Flucht vor einem amerikanischen Staat, der diesen Zivilisationsbruch nicht hinnehmen will. In diesen Rückblenden sieht „Mord im Auftrag Gottes“ tatsächlich wie ein Western aus: mit einem Joseph Smith, der wie ein Quacksalber geteert und gefedert wird, und einem Brigham Young als patriarchalem Schurken. Kein Zufall, dass auf der Gegenwartsebene des Jahres 1984 auch ein Native American (gespielt von Gil Birmingham) auf der Gegenseite steht.

Der Chefermittler allerdings ist selber Mormone, was der Serie am Ende ihren größten Reiz verleiht: Detective Jeb Pyre kämpft sieben Episoden lang um seinen Glauben. Gespielt wird Pyre von Ex-Spiderman Andrew Garfield, der seit Mel Gibsons Kriegsfilm „Hacksaw Ridge“ keine bessere Darstellung mehr abgeliefert hat.

UNDER THE BANNER OF HEAVEN — “When God Was Love” Episode 1 (Airs Wednesday, April 28th) — Pictured: Andrew Garfield as Jeb Pyre. CR: Michelle Faye/FX
Kämpft sieben Episoden lang um seinen Glauben: Detective Jeb Pyre, gespielt von Andrew Garfield
Quelle: Michelle Faye/FX

Überhaupt ist die Serie in weiten Teilen grandios besetzt: die Britin Daisy Edgar-Jones (zuletzt leider in „Der Gesang der Flusskrebse“ zu sehen) überzeugt als für Utah-Verhältnisse allzu emanzipierte Brenda Lafferty, Wyatt Russell und Sam Worthington, den es sonst doch eigentlich nur als freundlichen amerikanischen Helden zu sehen gibt, lehren einen als Lafferty-Brüder nach und nach tatsächlich das Fürchten: Über sieben Folgen zeichnen sie deren Radikalisierung nach: mit zunehmend bedrohlicher Gestik, Mimik und bald quasi überall wucherndem Haar.

Düsteres Utah

Stichwort Radikalisierung: Als „Mord im Auftrag Gottes“ 2003 als Buch herauskam, schienen die Anschläge vom 11. September sein natürlicher Bezugspunkt zu sein – fast notgedrungen kamen die Laffertys einem wie mormonische Wahhabiten vor; das düstere Utah (das Krakauer schilderte und das die Serie perfekt in Szene setzt) musste eine Art amerikanisches Tora Bora sein.

Lesen Sie auch

2022 aber sind die Assoziationen andere, wenn man von einer Gruppe erzählt, die ihren Glauben über die Gesetze des Landes stellt: Diesmal denkt man, bevor man an den 11. September denkt, an den Sturm aufs Kapitol, an den Wahnsinn der QAnon-Bewegung und den MAGA-Quatsch von alter Größe.

Anzeige

Es wird seine Gründe haben, dass Jeb Pyres Co-Ermittler einmal sogar von den alternativen Fakten der mormonischen Geschichtsschreibung spricht. In diesem Moment meint er gewiss nicht die Heiligen der Letzten Tage, sondern die des 6. Januar.

„Mord im Auftrag Gottes“ ist bei Disney+ zu sehen.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema