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Meinung Volksbühne

Polleschs Witze waren auch schon mal besser

Freier Mitarbeiter im Feuilleton
„Und jetzt?“ fragt René Pollesch an der Berliner Volksbühne „Und jetzt?“ fragt René Pollesch an der Berliner Volksbühne
„Und jetzt?“ fragt René Pollesch mit seinem neuen Stück an der Volksbühne
Quelle: © Apollonia T. Bitzan
Von der Volksbühne erwartet man in Berlin und darüber hinaus Großes. René Pollesch ist mit dem Ruf nach der totalen Erneuerung des Theaters angetreten. Nur zu sehen ist davon bisher wenig.

Der Dezemberwind pfeift eisig über den Berliner Rosa-Luxemburg-Platz, von fern schon strahlt das Banner über dem Portal der Volksbühne. „Und jetzt?“ Es ist der Titel des neuen Stücks von René Pollesch. Es lässt sich auch umfassender verstehen: als Frage nach Zustand und Zukunft des Hauses. Von der Volksbühne erwartet man in Berlin und darüber hinaus Großes. Pollesch ist mit dem Ruf nach der totalen Erneuerung des Theaters angetreten. Nur zu sehen ist davon bisher wenig.

Die erste Spielzeit war schwach, die zweite eröffnete die Radikalperformerin Florentina Holzinger mit ihrem Freikörperbadespaß „Ophelia’s Got Talent“, der trotz großartiger Momente intellektuell im Nichtschwimmerbereich planschte. Aber immerhin ein großes Spektakel in bester Volksbühnentradition. Für den danach angekündigten Abend „Passagen-Werk“ des Filmemachers Max Linz wurde in der ganzen Stadt mit Plakaten geworben, einen Tag vor der Premiere folgte die Absage. Wegen Krankheitsausfällen, so wurde es offiziell kommuniziert.

Inoffiziell kursiert eine andere Variante: Sophie Rois, die als Star der Produktion ihre gloriose Rückkehr an die Volksbühne feiern sollte, hatte sich bereits vorab zurückgezogen. Pollesch setzte die Arbeit dann kurzerhand ab, sie soll ihm künstlerisch nicht genügt haben. Keine Chance fürs Publikum, die erste Theaterarbeit von Linz zu sehen, der sich mit skurrilen Komödien wie „Weitermachen Sanssouci“ und „L’etat et moi“ in der Filmwelt einen Namen gemacht hat.

Der große Wurf bleibt mit „Und jetzt?“ aus
Der große Wurf bleibt mit „Und jetzt?“ aus
Quelle: © Apollonia T. Bitzan

Mit „Hyäne Fischer – das totale Musical“ erwies sich die nächste große Premiere als totaler Ausfall, in der „Süddeutschen Zeitung“ völlig zutreffend als „Stumpfsinnshölle in Musical-Form“ bezeichnet. Gedanken- und hilflos Zusammengestümmeltes sollte sich zur großen Feminismus-Show fügen, „Hodenlos an die Macht“ schallte es über die Bühne. Fremdscham war noch eines der freundlicheren Gefühle, das sich angesichts dessen regte. Selbst das jede Bodenlosigkeit üblicherweise ironisch weglachende Volksbühnenpublikum verlor die Fassung, es gab deutlich vernehmbare Buh-Rufe beim Premierenapplaus.

Ein Gedenkabend zum 100. Geburtstag des legendären Regisseurs Benno Besson rief noch einmal Erinnerungen an große Zeiten hervor, die Gegenwart nimmt sich im Vergleich recht kärglich aus. Auch angesichts eines überschaubaren Repertoires, was in der zweiten Spielzeit nicht überraschend ist, musste eine große Premiere her, die das Haus füllt. Für „Und jetzt?“ hat Pollesch seine All-Star-Truppe zusammengerufen: Martin Wuttke, Milan Peschel und Franz Beil. Alles alte Recken von der Pollesch-Front.

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Eingeschworen wie die drei Musketiere reißen Wuttke, Peschel und Beil ihre Witze, aber leider nicht den Abend. Drei Fragezeichen vor allem macht der Text. Der Ausgangspunkt ist das Petrolchemische Kombinat (PCK) in Schwedt, lange bevor das Gas aus der „Druschba“ über Nacht von unbedenklich zu moralisch verwerflich umetikettiert wurde. Damals, die Rede ist von 1968 in der DDR, waren Kybernetik und Arbeitertheater angesagt. Zwei vernünftige Sachen, die aus heutiger Sicht utopisch wirken mögen. Warum aber wie bei Pollesch daraus ein queeres Manifest wird, erklärt sich wie einiges andere nicht.

Ein loser Halt findet sich in der Theatergeschichte: Der Autor Gerhard Winterlich schrieb 1968 für das Arbeitertheater Schwedt das an Shakespeares „Sommernachtstraum“ angelehnte Stück „Horizonte“, das im folgenden Jahr von Besson und Heiner Müller für die Volksbühne adaptiert wurde. Vor zwei Jahren hatte die Theatergruppe Andcompany&Co zusammen mit der Autorin Luise Meier das Thema ausgegraben, der daraus entstandene Theaterabend „Eternity für alle“ wurde am Berliner HAU Hebbel am Ufer gezeigt. Pollesch holt den Stoff wieder an die Volksbühne und jagt ihn durch seine Textmaschine, mit abenteuerlichen Sprüngen von Zufall und Wahrscheinlichkeit bis zu Leben und Tod.

Aleatorisches Experiment mit Pollesch-Algorithmus

Man fühlt sich wie in einem aleatorischen Experiment mit Pollesch-Algorithmus. Es kalauert bedenklich, die Witze waren auch schon mal besser. Auf der Bühne von Anna Viebrock stolpern die drei Schauspieler, begleitet von einer Souffleuse zur textlichen Minimalorientierung, umher, es ist ein verlassenes Areal mit Schwimmbecken, Tribünen und kleiner Disco-Bühne, vor der Rampe ein paar Plastikstühle – ein Gegenentwurf zur wasserweltlichen Überladenheit bei Holzinger. Doch der wenig gefüllte Raum schluckt die Stimmen der Schauspieler, das Publikum wird akustisch teils abgehängt.

Hübsch sind kleine Szenen, beispielsweise wenn Wuttke, Peschel und Beil – ganz ohne Text – zu Musik wie aus einem alten Agentenfilm die von Tabea Braun entworfenen Kostüme wechseln, schrill-bunte Hemden statt Arbeiterganzkörperkluft. Oder ein eingeschobenes Federballspiel. Doch das Coolness-Level wird nicht gehalten, es muss schon mehrfach ironisch gebrochen sein. Albern wirkt es allerdings dann, wenn Wuttke wiederholt beim Ausruf „Macbeth“ vom Blitz getroffen wird. Von einer vergleichbaren Anzahl Geistesblitze kann nicht die Rede sein. Obwohl nur eineinhalb Stunden lang, hat der Abend enorme Längen.

Ein Abend, der auf Altvertrautes setzt
Ein Abend, der auf Altvertrautes setzt
Quelle: © Apollonia T. Bitzan
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Vergleicht man „Und jetzt?“ mit „(Life on earth can be sweet) Donna“ von 2019, an dem neben Pollesch auch Viebrock, Wuttke und Peschel beteiligt waren, merkt man dann auch, was fehlt: ein Thema, eine These, eine starke Setzung. Es mäandert von einem zum anderen, recht schnell führt das zu Knoten im Kopf. Die Schauspieler kämpfen dagegen an, sie können es auch. Wuttkes komisches Spiel zwischen Selbstbeherrschung und Verunsicherung ist brillant, Peschel ist ein Meister des Slapsticks, der nur die Augenbraue heben muss, um eine Szene ins Absurde kippen zu lassen, und Beil balanciert beeindruckend zwischen übertriebener Hölzernheit und Schalkhaftigkeit. Die drei auf der Bühne sind ein Erlebnis für sich.

Es ist ein Abend, der auf Altvertrautes setzt. Starke Schauspieler, eine Bühne und Kostüme mit Schauwert, nichts Überraschendes, geradezu konventionell oder schon fast traditionell. Der große Wurf ist ausgeblieben, das Publikum nimmt es mit höflichem Applaus entgegen. Und jetzt? Die Frage ist für das Haus nicht weniger drängend geworden.

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