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Kultur Der Kölner „Tatort“ wird 20

Mehr Adenauer wagen

Redakteur Feuilleton
Veteranen des "Tatort": Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär, l.) Veteranen des "Tatort": Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär, l.)
Veteranen des „Tatort“: Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär, l.)
Quelle: WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin Valentin Menke
Die Kölner Kommissare sind das quotenmächtigste „Tatort“-Team nach den Münsteranern. Jetzt feiern sie ihr Fünfundzwanzigjähriges. Der Dauererfolg von Ballauf und Schenk hat mehrere Gründe. Ein Altkanzler spielt bei der Analyse eine Rolle.

Da steht der Kommissar und kann es einfach nicht fassen. Schaut auf die Leiche, die wie weggeworfen im blutrotbraunen Brackwasser liegt. Es hat sie einer missbraucht. Umgebracht. Entsorgt. Sie war 19 Jahre alt. Lara hieß sie.

Was Freddy Schenk nicht fassen kann, ist, dass er so lange dabei ist, vor Leichen steht und von so einem Bild, so einem Tod immer noch angefasst ist, dass er es nicht hinnehmen mag, dass so etwas geschieht.

Fünfundzwanzig Jahre davon waren wir dabei. Seit dem 5. Oktober 1997 genauer gesagt. „Willkommen in Köln“ hieß der „Tatort“. Und Freddy Schenk war damals noch Kriminaloberkommissar in der Domstadt. Max Ballauf, der gerade eine Karriere als Drogenfahnder in Miami versoffen hat, soll sein neuer Chef werden. Ein gebürtiger Düsseldorfer, ausgerechnet.

Dafür, dass die beiden immer noch zusammen sind, dass sie – nach den Münsteranern – die im Durchschnitt höchste Einschaltquote haben, gibt es Gründe. Und so ziemlich alle finden sich in „Spur des Blutes“. Mal abgesehen vom glücklichen Ende an der Würstchenbude auf der „schäl Sick“ von Köln mit Blick von der falschen Rheinseite auf den Dom, die aber häufig genug immer dann ins Spiel kam, wenn einer der jetzt 85 Fälle vorher nicht so besonders war.

Ballauf und Schenk sind das menschliche Gesicht von Recht und Gesetz. Und sie sind gewissermaßen Volkskörper. Sie sind wir auf der anderen Seite der Mattscheibe (wie wir sein wollen, sein sollten vielleicht auch). Haben das Herz am rechten Fleck. Vertreten den gesunden Menschenverstand, die Mehrheitsmoral.

Sie führen vor, wie beides – trotz des unerschütterlichen gesellschaftlichen, kriminalistischen und menschlichen Ermittlungskompasses, der beide leitet – irritiert, gefährdet wird. Durch das Verbrechen, das Böse, das nie absolut ist, sondern seine Ursachen, seine psychische oder soziale Vorgeschichte hat. Sie sind unsere Sonden in den Rissen der Gesellschaft.

Dreht durch: Kriminaltechnikerin Natalie Förster (Tina Fürst)
Dreht durch: Kriminaltechnikerin Natalie Förster (Tina Fürst)
Quelle: WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin Valentin Menke

Ballauf und Schenk sind nicht Boerne und Thiel. Was ihnen aufgegeben wird vom Drehbuch, dreht sich nicht um sie, dient nicht als Brennmaterial für ein ständig zwischen ihnen gezündetes Feuerwerk von Kriminalkomödienraketen und Frotzel-Böllern, das alles überstrahlt und übertönt. „Mer muss och jönne könne“, sagt der Kölner.

Das wird möglicherweise einer der zentralen Einträge sein in der geheimen Anleitung der WDR-Redakteure für angehende Köln-„Tatort“-Autoren. Ballauf und Schenk können ziemlich gut gönnen. Sie treten nie vor den Fall. Sie treten immer hinter der Geschichte zurück. Sie lassen die andern spielen, sie laufen lieber hinterher, wie wir ja allem hinterherlaufen. Sie sind Virtuosen des Reagierens.

In „Spur des Blutes“ treten Ballauf und Schenk hinter gleich zwei Geschichten zurück. Die des toten Drogen-Mädchens im Brackwasser und die von Natalie Förster. Das ist die Kriminaltechnikerin, zu der zwischendurch Ballauf ein geradezu unballaufsche Zuneigung gefasst zu haben schien. DNA wird gefunden, es könnte die des Täters sein. Sie ist ihrer ähnlich. Ein Trauma bricht aus ihr, eine lebenslange Suche könnte ihr Ende finden, eine finstere Geschichte sich lösen lassen.

Die flexibelsten aller Kommissare

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Ballauf und Schenk haben (beinahe) kein Privatleben. Sie haben keine Psychomacke. Für das ach so moderne horizontale Erzählen fehlt ihnen jede Geschichte, die sich fortzusetzen lohnte. Sie sind immer momentan. Weswegen sie die vielleicht flexibelsten Kommissare zwischen Kiel und München sind. Mit Charakterlosigkeit verwechseln, sollte man das auch nicht.

Es gibt einen speziellen Kölner Ton, der mit Dialekt nichts zu tun hat. Für den sind die Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär verantwortlich. Deren Ressourcen nicht immer genutzt werden, die, wenn sie nicht gefordert werden, eine ähnliche Ausdrucksstärke einbringen wie Tenöre ohne Führung – also keine. Wenn sie aber mal müssen, sind sie brillant. In „Spur des Blutes“ bleiben ihnen dafür nur Minuten, weil ihre Ermittlung eben eigentlich nur der Kitt ist von zwei Plotlinien. Die nutzen sie sehr ordentlich.

Ballauf und Schenk sind Adenauer. Nicht weil sie für „Tatort“-Kommissare so alt wären wie der ehemalige Kölner Oberbürgermeister in seiner Spätphase für Bundeskanzler (Bär ist 61, Behrendt 62), nicht weil sie manchmal, wenn das Licht ihnen ungnädig ist, wie Entwürfe für einen Mount Rushmore für „Tatort“-Ermittler aussehen. Sondern, weil sich ein beruhigender Zug der Experimentlosigkeit durch ihre Fälle zieht. Man muss über keinen erweiterten Kriminalfilmbegriff verfügen, um sich in Köln wohlzufühlen.

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Ästhetisch, erzählerisch radikal ist, was die WDR-Redaktion an Ballauf-Schenk-Filmen in die stets um die neun Millionen deutsche Wohnzimmer lässt, ziemlich selten. Die Genregrenzen werden eingehalten. Ein Mörder wird gejagt, nicht der nächste Grimme-Preis. Das ist zwar beispielsweise in diesem Monat geradezu Balsam auf die Seelen der von Horror- und Hexenfällen gefolterten Gemeinde, sollte man aber nicht mit Langeweile verwechseln.

„Spur des Blutes“ ist ein schönes Beispiel eigentlich. Das nimmt als Kölner Variante der „Kinder vom Bahnhof Zoo“ seinen Anfang. Lara und ihre Freundin und Mitbewohnerin Kim tanzen durch die Stadt, treiben Schabernack, stechen sich gegenseitig Tattoos, Schmetterlinge, weil alles so leicht sein könnte. Dann stechen sie sich gegen den Schmerz und gegen alles Nadeln in die Venen. Sinken in Bewusstlosigkeit. Ein Lagerfeuer prasselt auf einem Plakat an der Wand. Das Plakat setzt die versponnen vollgestopfte Mädchen-Bude in Flammen. Kein gutes Omen. Ein wahnsinniger Effekt.

Kim und Lara gehen auf den Straßenstrich. Als kriminalfilmhandelsübliche gefallene Mädchen, als bloße Staffage wollten Regisseurin Tini Tüllmann und die beiden für die RTL-Serie „Club der roten Bänder“ mehrfach ausgezeichneten Autoren Arne Nolting und Jan Martin Scharf sie aber nicht haben. Ihnen wird – wie später der immer wieder auch mit Flashbacks erhellten, allmählich aufgeblätterten Geschichte der Natalie Förster – ein breiter Raum eingeräumt. Für die emotionale und auch ästhetische Vertiefung des wie immer relativ konservativ erzählten Ermittlungsgerüsts.

Wer ist der rätselhafte Caravan-Verleiher: Tinka Fürst) und Josef Hader
Wer ist der rätselhafte Caravan-Verleiher: Tinka Fürst) und Josef Hader
Quelle: WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin Valentin Menke

Aus dem explodieren dann immer wieder mal Bilder und Sequenzen, die einen nicht mehr loslassen. Wie die vom brennenden Plakat. Wie die vom Randkanal von Köln, wo das Abwasser der Stadt abfließt. Und der auf einmal aussieht die rheinische Variante des Los Angeles River. Ein Betonfluss, leer, grau, bis das Wasser kommt, rötlich fast, giftig, und gewaltig voran schießt, in einem See mündet. Rostigbraun, still liegt er da. Man sieht ihn, nachdem man mit dem Abwasser mitgestrudelt ist, ruhig von oben. Mit einem weißen Fleck. Lara.

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Ballauf und Schenk sind ganz prima Gastgeber. Das fällt eigentlich auch unter „jönne könne“, muss aber noch extra erwähnt werden, weil auch sie – wie die meisten ihrer „Tatort“-Kollegen eben auch nur so gut sind, wie die Gegner, die ihnen vom Casting und von den Drehbuchautoren in den Weg gestellt werden.

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Bei „Willkommen in Köln“ ging das schon mal gut los. Da spielten sie gegen Thomas Thieme und Anna Loos. Die „Spur des Blutes“ führt die beiden unter anderem an einem verschrobenen Caravan-Verleiher vorbei. Ein ganz ein Lieber scheinbar, gibt Jungs, die schon mal mit dem Gesetz in Konflikt gerieten eine zweite Chance. Man würde ihn glatt unter „unverdächtig“ zu den Akten legen (er wird anfangs auch vom ziemlich klugen Buch nur kurz gestreift), würde ihn nicht Josef Hader geben. Das allein lohnt das Anschauen.

Wir müssen allerdings noch ein Wort über die Bratwurstbude verlieren, die es in der „Spur des Blutes“ nicht gibt. Die gehörte zum ansonsten generell dialektfreien Ballauf-Schenk-Köln wie der Rhein. Auf der „schäl Sick“ – der rechten Rheinseite – platziert, damit die Kamera Hohenzollernbrücke und Dom noch einmal prima im Blick haben konnte und der „Tatort“-Kunde nicht vergaß, wo er gerade gewesen war, standen die Kommissare in einem letzten kathartischen Akt zu Kölsch und Wurst noch einmal vor dem Abspann zusammen.

Ballauf und Schenk konnten sich erst nicht so leiden: Szene aus "Willkommen in Köln" vom Oktober 1997
Ballauf und Schenk konnten sich erst nicht so leiden: Szene aus „Willkommen in Köln“ vom Oktober 1997
Quelle: picture-alliance / obs/Kerstin Stelter

Sie räsonierten ein bisschen, über das, was da gerade geschehen war und den Zustand der Welt. „Wurstbraterei“ stand über dem Wagen. Er war bunt, Lampions leuchteten mit dem Dom um die Wette.

Was auch nötig war, die Fälle, in denen er zum versöhnlichen Ende Krimi-Deutschland eine gemütliche letzte Einkehr vor dem Einschlafen bot, waren die im Durchschnitt Adenauerhaftesten von allen (wer jetzt an Deniz Yücels Vergleich des deutschen PEN mit einer Bratwurstbude denkt, liegt nicht so ganz falsch).

Die ist Geschichte, die Bude. Sie steht seit zwei Jahren in der Eifel, im Freilichtmuseum von Kommern. Max und Freddy müssen sich dringend eine andere Wärmestube suchen. Eine Kölsch-Kneipe wäre toll. Mit dem nicht nur dialektalen Lokalkolorit haben es die beiden (Bär kommt aus Dortmund, Behrendt aus Hamm) und eigentlich auch ihre Fälle nämlich eher weniger.

Aber das geht ja dem „Tatort“ generell so. Da müssen als Vertreter der lokalen Verortung in der Regel die Sekretärinnen (wie in Ludwigshafen) herhalten. Und für die Zahl der Schauspieler, die tatsächlich herkommen, wo ihre Kommissare im Dreck der jeweiligen Stadtgesellschaft wühlen, braucht man keine Hand. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.

Wir gratulieren Ballauf und Schenk zum Fünfundzwanzigsten. Und wünschen ihnen noch ein paar gute Drehbuchautoren, Regisseure, Kameraleute und Gegenspieler. Bis zum für den durchschnittlichen Fernsehzuschauer gesetzlich vorgesehenen Renteneintrittsalter. Vielleicht. Vielleicht trifft man sich dann ja mal in Kommern im Museum an der Wurstbratbude. Ist schön da.

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