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Meinung Umbenennung

Die Universität Tübingen wird nicht untergehen

Leitender Feuilletonredakteur
Die Alte Aula der Universität Tübingen Die Alte Aula der Universität Tübingen
Die Alte Aula der Universität Tübingen
Quelle: Friedhelm Albrecht/Universität Tübingen
Hat die Cancel Culture vielleicht doch etwas Gutes? Zu dieser Überlegung reißt der Streit um die Umbenennung der Universität Tübingen hin. Dass Karl Eugen es nicht verdient hat, als Namenspatron zu fungieren, hat allerdings andere Gründe als die von den Studenten angeführten.

Hat die Cancel Culture vielleicht doch ihr Gutes? Nie hätte man gedacht, dass wir uns mal zu dieser Überlegung hinreißen lassen würden. Aber wenn man die reflexhafte, einfallslose Verteidigung des Bestehenden mancher Zeitgenossen zur Kenntnis nimmt, dann kann man sich schon bisweilen fragen, ob wir dem neuen Willen, Überliefertes auf den Prüfstand zu stellen, nicht doch etwas abgewinnen können. Jüngstes Beispiel: die Universität Tübingen.

Da haben also Studentenvertreter einen Antrag zur Umbenennung ihrer alma mater eingebracht, über den im Senat der Universität am 21. Juli entschieden werden soll. Die jungen Leute stoßen sich am Namen Eberhard-Karls-Universität. Das sei geschichtslos, würde gar die Jahrhunderte alte akademische Institution annullieren, schwingt sich jetzt ein juristisches Mitglied des dortigen Lehrkörpers zur Ausrufung des Untergangs des Abendlandes auf.

Nun, ein Schwabe kann es nicht sein. Denn jeder Eingeborene, gar jeder Absolvent der „Landesuniversität“, wie diese hohe Schule lange Zeit mit Stolz genannt wurde, weiß: Der Name war schon immer Schall und Rauch. Man sprach und spricht in Tübingen vom Stift, vom Collegium Illustre, vom Brecht-Bau, ganz allgemein von Universität. Aber wer hätte jemals von sich behauptet: „Ich studiere an der Eberhard-Karls-Universität“?

Der Name ist auch keinesfalls so alt wie die Pflanzstätte selbst, die 1477 gegründet wurde. Und zwar vom Grafen Eberhard (im Barte), „Württembergs geliebtem Herr“ wie Justinus Kerner in seiner inoffiziellen Schwabenhymne „Preisend mit viel schönen Reden“ ihn nennt. Nun sind von dem gebildeten Autodidakten Eberhard, einem Humanisten avant la lettre, der eine Prinzessin aus dem italienischen Adelsgeschlecht der Gonzaga zur Frau nahm, leider auch antisemitische Äußerungen überliefert.

Ob diese wirklich die Waagschale so sehr nach unten ziehen können, wie jugendliche Moralisten jetzt meinen, sei einmal dahingestellt. Tatsache ist jedenfalls, dass schon einem seiner Nachfolger, dem nunmehr als Herzog das Land regierenden Karl Eugen, dem dann später Schiller sein „In tyrannos“ entgegenschleudern wird, der Mann offenbar nicht ganz genügend erschien. Jedenfalls fügte er 1769 der „Eberhardina“, wie sie bis dahin hieß, ein „Carolina“ hinzu, um sich selbst ein Denkmal zu setzen. Seit rund 250 Jahren also ist der Hybridname „Eberhard Karl“ erst in der Welt.

Lektion im Ambivalenzbewusstsein

Und es kann allerdings mit Recht bezweifelt werden, ob ausgerechnet Karl Eugen es verdient, Namenspatron der Tübinger Lehrstatt zu sein. Nicht etwa, weil er Landeskinder als Soldaten verkaufte, wie die studentischen Sittenwächter ihm jetzt ankreiden – das war leider gängige Herrschaftspraxis im 18. Jahrhundert –, sondern weil Karl Eugen ausgesprochen wenig von Tübingens alma mater und ihrer akademischen Freiheit hielt. Er gründete vielmehr ein Konkurrenzinstitut, die Karlsakademie. Die mauserte sich allerdings alsbald zu einer reformpädagogischen Musteranstalt von europaweit ausstrahlendem Niveau, war allerdings dem Erziehungsdiktator auf dem Thron vollständig untertan.

Was für eine schöne Lektion in Ambivalenzbewusstsein, das Ganze! Und an Ambivalenzbewusstsein hapert es ja wieder mal auf beiden Seiten – bei den studentischen Namensumstürzlern wie bei den bedingungslosen Verteidigern des Status quo. Wir werden aus Kindern anderer Zeiten nicht Vertreter unseres Zeitgeists machen. Vulgo: Alles Gute ist nie beisammen.

Graf Eberhard und Herzog Karl müssen als Menschen in ihrem Widerspruch gesehen werden. Von der Parteien Hass und Gunst verwirrt, schwankt ihr Charakterbild in der Geschichte. Und das ist auch gut so. Denn das belebt die Diskussion. Was hingegen weder schwanken noch wanken würde, falls man sie umbenennen sollte, ist die Universität Tübingen. Sie ist und bleibt ein deutscher Gedächtnisort allererster Güte.

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