Man kann auch auf leiseren Sohlen durch die deutsche Filmgeschichte gehen und trotzdem seine Spuren hinterlassen. Wenn man jetzt hört, dass der Regisseur Michael Verhoeven im Alter von 85 Jahren in München gestorben ist, klingelt womöglich erst mal nur bei den Älteren was. Die ganz großen Erfolge liegen lange zurück: „Die weiße Rose“ (1982) über die Geschwister Scholl oder „Gefundenes Fressen“ (1977) mit Heinz Rühmann und Mario Adorf, mit dem Verhoeven oft arbeitete; Adorf war damals mit seiner Schwester verheiratet.
Der laute Knall, mit dem der experimentelle Antikriegsfilm „o.k.“ 1970 die Berlinale sprengte, ist lange verhallt. In bayerischen Wäldern hatte Verhoeven, der auch selbst mitspielt, Vietnam nachgestellt – und eine Geschichte erzählt, die nicht heutiger klingen könnte: Amerikanische Soldaten vergewaltigen ein vietnamesisches Mädchen und bringen sie schließlich um, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Der amerikanische Jury-Vorsitzende George Stevens zog sich aus Protest zurück, und auch ein deutscher Kollege rannte wegen des vermeintlichen „Antiamerikanismus“ aus dem Saal. Es folgten Solidaritätsadressen, Streit und schließlich ein Auseinandergehen der Jury, ohne dass man sich auf Preise geeinigt hätte. Das gab’s seither nie wieder, mal abgesehen von der schwachen Wiederholung dieses Jahr, im Streit um Israel und Palästina.
Man muss sich Verhoeven aber gerade gar nicht als Skandalnudel vorstellen. Er war niemand, der den Effekt um des Effekts willen suchte. Im Gegenteil. Auf die Schönheit seiner Frau Senta Berger angesprochen, mit der er seit vielen Jahrzehnten verheiratet war, sagte er nur, die sei ihm überhaupt nicht wichtig gewesen. Er habe von Anfang an gemocht, dass sie ihr Herz auf der Zunge trage. Er selbst sei eher der Typ Geheimniskrämer.
Ein wunderschönes O-Ton-Geständnis der beiden Liebenden ist 2007 im „Spiegel“ erschienen. Auch örtlich voneinander getrennt, erzählen sie da von ihrer Liebe. „Michael war ein ausgesprochen schöner junger Mann mit unglaublichen, großen, glitzernden grünen Augen und zwei Grübchen“, erinnert sich Senta Berger. „Er hatte kleine schöne Hände und eine freche Nase.“ Und fügt hinzu: „Ich bemühe mich, ihn zu verstehen, und er versteht, dass ich ihn nicht verstehe.“ Das wäre doch mal ein Motto für die Generation Z!
Verhoeven wiederum berichtet, dass es ihn nicht glücklich mache, mit seiner Frau zu mailen, was er neuerdings tue, aber nur im Notfall, denn: „Da ist keine Stimme dabei.“
Sie habe früh akzeptiert, dass er niemals Schuhe mit ihr kaufen gehen werde und selbst im Urlaub immer ein unfertiges Drehbuch auf dem Tisch liegen würde.
Als sie sich kennenlernten, war er Medizinstudent, hatte aber jede Menge Schauspielerfahrung; sein Vater Paul Verhoeven – nicht verwandt mit dem niederländischen Regisseur – leitete nach dem Krieg das Bayerische Staatsschauspiel. Als Kind hatte Michael in allerlei Filmproduktionen mitgespielt, darunter die Verfilmung von „Das fliegende Klassenzimmer“ von 1954. Später widmete er sich dem Kino wieder fulltime, schien dabei aber gewissermaßen den hippokratischen Eid auf die Gesellschaft zu übertragen – und machte immer wieder relevante Filme, die etwa die Rolle der Deutschen in der Nazizeit thematisierten („Das schreckliche Mädchen“, 1990, oscarnominiert) oder sogar Transsexualität („Enthüllung einer Ehe“, 2000). 2016 produzierte er mit der Gesellschaft Sentana – die er und seine Frau 1965 gegründet hatten, im Jahr vor ihrer Hochzeit – „Willkommen bei den Hartmanns“. Der große Erfolg der Migrationskomödie blieb in der Familie; Regie führte der Sohn Simon.
Der sagte jetzt der „Süddeutschen Zeitung“, er habe den liebevollsten, wunderbarsten und lustigsten Papa gehabt, den sich ein Kind nur wünschen könnte: „Er war unser Held, ohne jemals ein Held sein zu wollen.“
Michael Verhoeven ist, wie jetzt bekannt wurde, nach kurzer, schwerer Krankheit bereits am vergangenen Montag gestorben.