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  4. Robert Badinter erzählt Georg Stefan Troller von der letzten Guillotine

Literatur Robert Badinter

„Vor Gebrauch kommt der Scherenschleifer und bringt alles auf Glanz“

Hatte als Justizminister viele Gegner: Robert Badinter (1928–2024) Hatte als Justizminister viele Gegner: Robert Badinter (1928–2024)
Legendärer Justizminister: Robert Badinter (1928–2024)
Quelle: AFP/JOEL SAGET
Robert Badinter war französischer Justizminister unter Mitterrand und drückte die Abschaffung der Todesstrafe im Parlament durch. Als unser Autor ihn 1981 traf, ging es um die letzte Guillotine. Die stand weiter im Zuchthaus, einsatzbereit.

Robert Badinter ist am 9. Februar dieses Jahres mit 95 Jahren gestorben. Eigentlich müsste dieser Badinter einer der glücklichsten Menschen Frankreichs gewesen sein. Fabelhaft aussehend, verheiratet mit einer der angesehensten Frauen des Landes, und jedenfalls einer der reichsten: der Feministin und Philosophin Elisabeth Bleustein-Blanchet. Zu ihren Erbteilen zählt die erfolgreiche Werbeagentur Publicis, darüber hinaus das Kaufhaus Drugstore am obersten Zipfel der Champs-Élysées gelegen. Übrigens der einzige Ort Frankreichs, wo sämtliche Zeitungen des Auslands ausliegen.

Anfang der 1980er-Jahre ist Robert Badinter einer der erfolgreichsten Strafverteidiger Frankreichs. Und noch dazu frisch von Staatspräsident Mitterrand zum Justizminister ernannt worden. Als solcher ist es ihm gelungen, allen Gegnern zum Trotz im Parlament die Absetzung der Todesstrafe durchzudrücken.

Auf Badinters Empfehlung dürfen wir die entscheidende Sitzung der Kammer mitfilmen. Mal mit Vernunftgründen, mal mit klassischer französischer Rhetorik gelingt es ihm, die unerwartete Mehrheit herauszuschälen. Er, der geborene Ostjude, Verkünder eines Gottes, der nicht so sehr auf Mitleid und Erbarmen beruht als auf Gerechtigkeit. Da sprang ein Funke über von der Französischen Revolution, ein Glaube an die Vernunft des Menschen und an eine Fähigkeit zur Besserung. Trotzdem war und blieb Robert Badinter einer der verhasstesten Menschen Frankreichs. Dazu kam noch die willkürliche Entlassung von Tausenden Leichtverbrechern aus den überfüllten Gefängnissen des Landes, die von nun an bei den Behörden den miesen Beinamen „les Badinters“ führen sollten.

Eine meiner galligsten Reportagen galt, im Jahre 1981, dem Aufmarsch von 2000 Polizisten (unter ihnen der ältere Le Pen) vor dem Justizministerium mit dem Sprechchor: „Ausländer raus“. Der sich nur auf Badinters Herkunft beziehen konnte. Wobei das diensthabende Wachpersonal respektvoll die militärischen Mützen zog.

Wir fragen den Minister, der die Todesstrafe abgeschafft hat, nach dem Aufenthaltsort der verrufenen Guillotine. Er zuckt gleichmütig die Achseln: „Wahrscheinlich in irgendeinem historischen Museum.“ Ob noch jemand im Lande sich nach ihr zurücksehne? Badinter mit zynischem Grinsen: „Der Hang zum Strang? Es ist und bleibt der alte Adam. Das Ritualopfer des Höhlenmenschen, um den Zorn der Götter zu wenden.“

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Zwei kurze Telefongespräche ergeben dann, dass Madame la Guillotine keineswegs in einem Museum steht, sondern da, wo sie immer gestanden hat: im Zuchthaus von Fresnes bei Paris. Der Direktor der Anstalt gleichmütig: „Und leider, leider ist da für Sie nichts zu holen, weil alles in Segmente zerlegt ist und sorgfältig verpackt.“

Da ich mein Frankreich kenne, bitte ich darum, wenigstens die Verpackungen filmen zu dürfen. Man öffnet uns ein Turmzimmer, und da stehen völlig unverpackt nicht nur eine, sondern gleich zwei der schlanken Tötungsmaschinen: eine in braun für normale Köpfe, eine in rot für die feineren Kameraden. Auch die Fallbeile dürfen wir mit den Fingern abtasten. Ziemlich stumpf zumeist. Der Direktor: „Keine Angst. Vor Gebrauch kommt der Scherenschleifer und bringt alles auf Glanz.“ Von einem künftigen Museum weiß er nichts. „Wer sollte das auch entscheiden. Minister kommen, und Minister gehen. Wer weiß, wann.“

Georg Stefan Troller, 1921 in Wien in eine jüdische Familie geboren, lebt in Paris. Zu seinen wichtigsten Werken als Filmemacher und Schriftsteller gehören rund 1500 Interviews, u. a. im Rahmen des „Pariser Journals“ und der „Personenbeschreibung“.

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